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Wirtschaft: Der Mann, der mit Jennifer Lopez ging

Immer mehr talentierte junge Plattenproduzenten verlassen die großen US-Studios – um selbst berühmt zu werden

Von Jennifer Ordonez,

Studio City/Kalifornien

Es ging bereits auf drei Uhr morgens zu, doch die richtige Stimmung wollte sich in dem gemieteten Musikstudio in Kalifornien einfach nicht einstellen. Unter den Augen ihres Produzenten, der sich „7 Aurelius“ nennt, spielt eine Schönheitskönigin aus Puerto Rico gerade den Song „I need a Man“ ein, mit dem sie unter dem Künstlernamen „M" die Hitparaden erobern will. Erst als Aurelius mit einer transportablen Nebelmaschine aufläuft und den Dampf in den Aufnahmeraum bläst, springt der Funken auf die Zwanzigjährige über. „Jetzt kocht die Stimmung“, sagte Aurelius.

Das Album wird das erste sein, das unter seinem neuem Label Seventh Sign Records erscheint. Aurelius versteht etwas vom Musikgeschäft. Er weiß genau, wie Hits fabriziert werden. Der blond-gefärbte Dreißigjährige war Co-Produzent bei Charthits von Jennifer Lopez, dem Rapper Ja Rule und Eve. In 23 Wochen fanden sich im letzten Jahr solche Songs auf dem ersten Platz der amerikanischen Hitliste Billboard´s Top 100, an denen Aurelius mitgeschrieben und die er mitproduziert hat.

Außerhalb der Musikszene ist er dagegen weniger bekannt. Geht es nach Aurelius, soll sich das bald ändern. Wohl um dies zu beschleunigen, wird die Kamera zu Beginn des Videos dann auch auf den Mann gehalten, der ein stumpf gehämmertes „Aurelius“ in das Mikrofon fahren lässt. Nicht allzu lang ist es her, da waren es die Musiker, die im Mittelpunkt der Musikindustrie standen. Produzenten kannte man mit wenigen Ausnahmen dafür, dass sie hinter den Kulissen in spärlich beleuchteten Studios saßen und tagelang an den Aufnahmen ihrer Schützlinge herumtüftelten.

Eine neue Generation von Produzenten will von dieser Rollenverteilung nichts mehr wissen. Einige, die es gelernt haben, ihr Talent bei der Produktion von Hits in Ruhm, Reichtum und Einfluss umzumünzen, machen dabei den von ihnen produzierten Künstlern schon Konkurrenz.

Die Plattenindustrie kann diese Entwicklung nicht aufhalten. Viel zu verzweifelt sucht sie nach Hits, nachdem die Umsätze zwei Jahre hintereinander zurückgegangen sind. Oft haben die neuen Produzenten diese Lücken mit ihren Joint-Venture-Labels gefüllt, die auf der Zusammenarbeit mit einer großen Plattenfirma basieren.

Für die Musikindustrie bleiben die Allianzen gleichwohl risikoreich. Wenn die Kosten steigen und die Hits ausbleiben, können die Verluste rasch explodieren. Die großen Unterhaltungsfirmen sagen für das laufende Jahr Kostensenkungen und weniger Veröffentlichungen voraus. Auch die Joint-Venture-Projekte wollen sie verstärkt unter die Lupe nehmen: „Bei diesen ist das Risiko weitaus größer, so dass bei ihrer Einschätzung viel mehr Vorsicht angebracht ist“, sagt Lyor Cohen, Geschäftsführer bei Island Def Jam Music Group, einer Sparte von Vivendi Universal. Produzenten, die es verstehen, die wählerischen Massen in Kauflaune zu versetzten, werden von den erfolgshungrigen Plattenfirmen immer noch mit Angeboten überschüttet. Dann dürfen sie in wenigen Tagen Hunterttausende Dollar in die Produktion eines Superhits stecken.

Viel länger brauchen sie dazu auch nicht. Dank neuester Digitaltechnik entwirft man die Titel im Schnellbetrieb. Produzenten sind dabei eher Bastler, denen oft sogar jede musikalische Ausbildung fehlt. Doch sie können einen Song so zusammenbauen, dass er für die Hörer vertraut klingt und bei ihnen ankommt. Heute nutzen einige Produzenten ihre neue Macht, um sich ihre eigene unverwechselbare Marke zu schaffen. Sie schreiben die Songs selbst, singen den Refrain und tauchen im Video auf. Ein Beispiel ist das von Irv Gotti produzierte Album, „Irv Gotti Presents the Remixes“, auf denen Künstler wie Mary J. Blige zu hören sind. Hier hat sich Gotti gleich selbst auf dem Plattencover abbilden lassen.

Diese Art von Präsenz schwebt auch Aurelius vor. Noch bis vor kurzem arbeitete er für das Platten-Label Murder Inc. und damit für ein fremdes Joint Venture zwischen Irv Gotti und Island Def Jam. Zwar hat ihn dies um mehrere Hunderttausend Dollar reicher gemacht, doch nur selten habe er auch den Ruhm geerntet, sagt Aurelius. Jetzt sucht er nach einem Unterhaltungskonzern, der ihm sein eigenes Label finanziert. Das Joint Venture soll ihm in den nächsten drei Jahren zehn Millionen Dollar vorschießen, die er für Produktionskosten und Marketing ausgeben könnte. Letztendlich sieht sich Aurelius als modernes Ein-Mann-Wunder: Produzent, Label-Chef und Rap-Star – alles abgerundet durch die eigene Modemarke. Soweit kommt er nur, wenn er es schafft, möglichst schnell Kapital aus seinen letzten Hits zu schlagen. „Jeder Tag zählt, weil man an jedem Tag Geld verliert“, sagt sein Rechtsanwalt Peter Lopez. Zu viele hungrige Talente warten nur darauf, endlich so durchzustarten, wie es Aurelius vor zwei Jahren gelungen war.

Bis dahin hatte sich Aurelius mit kleineren Produktionen für das Label Rap-A-Lot Records verdingt. Im Herbst 2000 sollte sich das ändern. Da traf Aurelius bei einer Geburtstagsparty in Houston auf Irv Gotti, der bereits einige Hits für Hip-Hop-Größen wie Jay-Z und Ja Rule produziert hatte. Gottis eher unverbindliche Bemerkung, man könne bei Gelegenheit mal etwas zusammen produzieren, nahm Aurelius zum Anlass, auch ohne Einladung bei Gotti in New York aufzukreuzen. Nur neun Monate später landete das Produzenten-Duo den ersten Riesen-Erfolg „Always on Time“, der den Rapper Ja Jule an die Spitze der Top 100 schoss.

In der Folge schrieb Aurelius, der genau wie Gotti kein Musiker ist, an Songs und setzte seine Ideen auch musikalisch um, etwa indem er den harten Rap-Rhythmen melodische Instrumental-Elemente beimischte. Gotti selbst beschränkte sich auf die Einweisung anderer Produzenten und zeigte sich kaum im Studio. Nachdem die Sängerin Mariah Carey im vergangenen Sommer bei Sony rausgeflogen war, wollte sie der Chef von Island Def Jam, Lyor Cohen, unbedingt unter Vertrag nehmen. Schnell ließ er Aurelius zu ihr auf die Bahamas fliegen, wo dieser mehrere Songs mit ihr aufnahm.

Inzwischen hat Mariah Carey ein 20 Millionen Dollar schweres Joint Venture mit Island Def Jam und Aurelius einen Song auf ihrem neuen Album. Nur die gebührende Anerkennung sollte Aurelius weiterhin vermissen. Als die Songs von Gotti und Aurelius im letzten Sommer die ersten drei Plätze der US-SingleCharts eingenommen hatten, wurde Gotti von Billboard als der erste Produzent seit fast 25 Jahren gepriesen, der solch ein Kunststück fertig gebracht hatte. Über Aurelius sprach dagegen kaum jemand – obwohl dieser sagt, er habe bei zwei der drei Titel den Großteil der Arbeit geleistet. „Er hat jede Menge guter Einfälle“, sagt Gotti über ihn. „Doch er war unerfahren und ich habe ihm eine Chance gegeben. Deshalb bleibt es mein Schiff.“ Im letzten Sommer hat Aurelius dann Gottis Schiff verlassen.

Jennifer Ordonez[Studio City, Kalifornien]

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