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Wirtschaft: „Der Markt muss den Champion finden“

Ehemaliger EU-Kommissar Karel van Miert attackiert deutsch-französische Industriepolitik

Der frühere Wettbewerbskommissar der EU, Karel van Miert, hat industriepolitische Bestrebungen Frankreichs und Deutschlands scharf kritisiert. Dahinter stehe nur der Versuch, alte Wirtschaftsstrukturen „auf künstliche Art und Weise zu erhalten. Und am Ende ist es doch aus.“ Gegenüber dem Tagesspiegel sagte van Miert, es herrsche immer noch die Mentalität in Europa vor, bei „Schwierigkeiten sofort die öffentliche Hand zur Hilfe zu rufen“. Im aktuellen Fall Alstom kritisierte er vor allem die französische Regierung.

Paris hatte dem angeschlagenen Verkehrs- und Elektrokonzern staatliche Hilfe in Milliardenhöhe zugesagt. Die EU-Kommssion unter der Leitung von van Mierts Nachfolger Mario Monti genehmigte das Sanierungspaket unter der Auflage, dass Alstom Industriepartner für einzelne Geschäftsbereiche akzeptiert. Interesse hat Siemens. „Also gab es durchaus eine Möglichkeit, auf einem marktkonformen Weg einen europäischen Champion zu bilden“, sagte van Miert.

Frankreichs Staatspräsident Jaques Chirac will aus Alstom einen „europäischen Champion“ machen. Das war in Deutschland zunächst als Einladung an Siemens verstanden worden. Die deutsche Regierung hatte bei der Fusion der Pharmakonzerne Sanofi und Aventis die massive Einflussnahme durch Paris toleriert, wohl in der Hoffnung, dass der nächste Industriechampion unter deutscher Beteiligung entstehen könnte.

Van Miert hält von solchen Plänen nichts. „Das muss man den Industrieführern überlassen, die am meisten davon verstehen. Über rein politische Verabredungen funktioniert das nicht.“ Bei Alstom gehe es Paris darum „das Unternehmen mit öffentlichen Mitteln unter französischer Kontrolle zu halten“. Es gebe nur wenige positive Beispiele, bei denen staatliche Industriepolitik funktioniert habe. So etwa bei der Bildung der europäischen Airbus-Industrie.

Bundeskanzler Gerhard Schröder und Chirac wollen sich am 14. Juni in Aachen treffen, um über die Zusammenarbeit in der Industriepolitik zu sprechen. Nach einer klaren Absage Alstoms an Siemens vor wenigen Tagen steht eine früher geplante Beteiligung des Siemens-Chefs Heinrich von Pierer an diesem Treffen nicht mehr zur Debatte. Die Verärgerung in der rot-grünen Bundesregierung ist groß, auch wenn das Thema offiziell nicht kommentiert wird.

Zu den gemeinsamen Projekten von Berlin und Paris zählt die Schaffung eines neuen Postens für einen Superkommissar für Wettbewerbsfragen und Industriepolitik in Brüssel. Im Gespräch ist dafür EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen. Für Karel van Miert „ist das eine schlechte Idee, die sowieso nicht funktionieren wird“. Wettbewerbspolitik sei dazu da, Gesetze und Spielregeln einzuhalten. „Das ist kein politischer Kuhhandel“, kritisiert er.

Van Miert ist nicht grundsätzlich gegen Industriepolitik in der EU. Wenn es darum gehe, heimische Industriezweige gegen unlauteren Subventionswettbewerb aus dem Ausland zu schützen, könnten staatliche Hilfen toleriert werden. Oder wenn – wie beim Airbus – ein Konzept dahinter stehe. Dann dürften die Staaten die notwendigen Rahmenbedingungen etwa in der Forschungspolitik schaffen. „Das machen die Amerikaner doch auch.“ Die europäische Verteidigungs- und Werftenindustrie sei so ein Fall.

Diskutiert wird derzeit, nach der geplanten Fusion der deutschen Marinewerften von Thyssen und HDW französische und italienische Werften mit in den Verbund zu nehmen. „Aber das müssen Ausnahmen bleiben“, sagte van Miert. Es dürfe nicht dazu kommen, dass Schiffe wie vor zehn Jahren in Belgien zu 50 Prozent mit Steuergeld finanziert würden.

Van Miert hat allerdings große Zweifel, ob Deutschland und Frankreich Industriepolitik in diesem Sinne betreiben wollen. „Europa braucht nach wie vor eine starke Wettbewerbspolitik. Das ist sicher nicht im Sinne der Franzosen.“ Auch die Deutschen neigten immer häufiger dazu, die Wettbewerbsregeln auszusetzen. „Viele Regierungen in Europa meinen, man könne ohne Wettbewerbsregeln auskommen und machen nicht nur ein Auge, sondern gleich beide Augen zu.“

Nicht nur in der Industriepolitik, sondern auch in anderen Fragen sieht van Miert die deutsch-französischen Alleingänge sehr kritisch. Wenn kleine Staaten wie Irland Probleme mit der Einhaltung der Regeln des Stabilitätspakts haben, soll sich die Kommission darum kümmern. „Wenn es um Deutschland oder Frankreich geht, dann müssen die Spielregeln beiseite geschoben werden.“ Mit Blick auf die Erweiterung der Union um zehn neue Mitgliedstaaten sieht van Miert sogar Gefahren für den Zusammenhalt der Gemeinschaft: „Die große Mehrheit der alten und neuen Mitgliedsstaaten setzt auf zwischenstaatliche Vereinbarungen“, beklagt der Ex-Kommissar. „Sie unterminieren damit das System der Gemeinschaft, das die Union zu großen Erfolgen geführt hat. Das kann am Ende dazu führen, dass die Union nicht mehr funktionsfähig ist.“

Dieter Fockenbrock, Flora Wisdorff

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