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Wirtschaft: Der neue Schröder

Ein linker Politiker verspricht, Steuern und Sozialabgaben zu senken, und vollzieht damit einen Kurswechsel nach rechts. Der bisherige Wohlfahrtsstaat funktioniere nicht mehr, warnt er.

Ein linker Politiker verspricht, Steuern und Sozialabgaben zu senken, und vollzieht damit einen Kurswechsel nach rechts. Der bisherige Wohlfahrtsstaat funktioniere nicht mehr, warnt er. Wie vorhersehbar rufen SPD-Mitglieder Verrat, und die Opposition beklagt sich, er stehle ihre Ideen. Wenn dieses Szenarium vertraut klingt, liegt es daran, daß es dies schon einmal gab: in Großbritannien mit Premierminister Tony Blair und seinem "New Labour"-Kurs. Allerdings gewiß noch nie in Deutschland.In der rot-grünen Koalition von Kanzler Gerhard Schröder scheint sich etwas zu bewegen. Nach zehn Monaten an der Macht ist die Regierung zwar nicht mehr ganz neu - in einem Punkt ist sie es allerdings doch. Die ersten fünf Monate im Amt hatte Schröder nur im Schatten von Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD) gestanden. Doch nach dem Rücktritt Lafontaines im März hat sich manches verändert. Es begann, als der Kanzler im Mai mit viel Brimborium ein Manifest unterschrieb, mit dem er der Politik von Blair näherrücken wollte. Darin versprach Schröder viele notwendige Reformen wie Steuersenkungen, Deregulierung und eine Ausweitung der Kapitalmärkte. Im vergangenen Monat legte dann Lafontaine-Nachfolger Hans Eichel (SPD) ein Sparpaket vor, in dem Haushaltskürzungen von 30 Mrd. DM vorgesehen sind. Außerdem sollen künftig Arbeitslosenhilfe und Rentenbezüge an die Inflationsrate gekoppelt werden und nicht wie bisher an die Lohnentwicklung.Trotz zunehmender Kritik aus der SPD hielt Schröder am neuen wirtschaftspolitischen Kurs fest. Vor zwei Wochen hat er erstmals öffentlich eingeräumt, es sei möglicherweise ein Fehler gewesen, in den ersten Monaten der sozialistischen Politik von Lafontaine gefolgt zu sein. Dann geschah am vergangenen Dienstag etwas, das unter Lafontaine unvorstellbar gewesen wäre: Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) setzte die Staatsausgaben ins Verhältnis zum Bruttosozialprodukt. Er kündigte an, die Staatsquote von jetzt 48 Prozent bis zur Wahl im Jahr 2002 auf 45 Prozent zu senken, später sogar auf 40 Prozent.Das alles macht Mut, wenngleich es verwirrt. Schröder weiß, daß ihm noch ein oder sogar zwei schwere Kämpfe bevorstehen. Zuerst muß er den linken Flügel der SPD gewinnen, dann das deutsche Volk überzeugen. Umfragen zeigen, daß die Bevölkerung Bedenken hat, den Wohlfahrtsstaat aufzugeben. Doch keine deutsche Regierung will den Wohlfahrtsstaat "aufgeben", so daß der Aussagewert solcher Umfragen zweifelhaft ist. Schröder könnte die Bevölkerung von seinem neuen Kurs überzeugen, indem er sie daran erinnert, daß der Anstieg öffentlicher Ausgaben beschränkt werden muß, wenn Deutschland über sein niedriges Konjunkturplus von 1,5 bis zwei Prozent hinauskommen und die Arbeitslosigkeit senken will. Mit 10,5 Prozent liegt die Arbeitslosenquote in Deutschland über dem Durchschnitt in Euroland.Schröder dürfte außerdem einen neuen, mächtigen Verbündeten im Euro bekommen. Die europäische Währung ist vergangene Woche infolge des besseren Geschäftsklimas in Deutschland gestiegen. Wahrscheinlich hat die bessere Stimmung in der Geschäftswelt damit zu tun, daß die Regierung beginnt, die deutschen Wirtschaftsprobleme zu verstehen - so wie Müller es mit der versprochenen Budgetkürzung bewiesen hat. Schröder braucht seine Partei und die deutschen Wähler nur auf diesen Zusammenhang hinzuweisen, um seine Regierung auf den rechten Kurs zu bringen. Die meisten Wähler sind für gute Führung empfänglich.

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