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Wirtschaft: Der öffentliche Nahverkehr muss vor Gericht

Berlin. Ein kleiner Verkehrsbetrieb in Ostdeutschland könnte Geschichte schreiben.

Berlin. Ein kleiner Verkehrsbetrieb in Ostdeutschland könnte Geschichte schreiben. Acht Jahre lang hatte die kommunale Nahverkehrsgesellschaft Altmark (NVG) mit ihren Linienbussen Fahrgäste im Landkreis Stendal transportiert, dann vergaben die Behörden die Konzession neu – an den privaten NVG-Konkurrenten Altmark Trans. NVG-Geschäftsführer Werner Schröder wollte diese Schlappe nicht kampflos hinnehmen und zog vor Gericht: Weil der Landkreis Jahr für Jahr Zuschüsse für die defizitär arbeitende Altmark Trans zahle, hätten die Behörden die Konzessionsvergabe wenigstens öffentlich ausschreiben müssen. Die Zuschüsse der Kommune, meint Schröder, stellen eine Beihilfe dar, und die müsse mit dem EU-Recht vereinbar sein.

Mit seiner Meinung steht Schröder nicht allein da. Beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), der den Streit nun entscheiden muss, hat er einen einflussreichen Verbündeten. In seinem Plädoyer Mitte März ließ Generalanwalt Philippe Léger große Sympathien für die Rechtsauffassung des NVG-Chefs erkennen. Im Gegensatz zu früheren Urteilen des Luxemburger Gerichts hält Léger die Zuschüsse nun für Beihilfen.

Konsequenz: Wollen die EU-Staaten solche Zuschüsse zahlen, müssten sie ihre Pläne in Brüssel anmelden. Wer sich nicht an diese Regeln hält, wird bestraft. Im Fall Stendal müsste das Gericht „die Rückforderung anordnen", drohte der Generalanwalt.

Noch ist unklar, ob das Gericht ihm dabei folgt. Die Richter lassen sich Zeit. Aus gutem Grund: Sollten sie sich wie üblich dem Generalanwalt anschließen, hätte das Konsequenzen für den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV). „Der ganze Nahverkehr steht Kopf", sagt NVG-Geschäftsführer Schröder, „denn im gesamten deutschen ÖPNV sind die Zuschüsse niemals notifiziert worden".

Verkehrsverband warnt vor Hysterie

Rollt auf die öffentlichen Verkehrsunternehmen eine Welle von Rückforderungen zu? Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) warnt vor Hysterie: Zwar sei der EuGH in der Praxis häufig dem Generalanwalts gefolgt, doch das könnte in diesem Falle durchaus anders sein. „Weite Teile der in Deutschland geübten ÖPNV-Finanzierungspraxis würden grundsätzlich in Frage gestellt", warnt der VDV.

Kaum ein Nahverkehrsunternehmen mit vollem Service schreibt schwarze Zahlen. Nur wer streng nachfrageorientiert arbeitet, macht Gewinn. Und auch das vor allem wegen der öffentlichen Zuzahlungen. Die Ausgleichsleistungen, die Busunternehmen für die Beförderung von Behinderten oder Schülern bekommen, können das Geschäft durchaus lukrativ machen. Aber: Nachts bleiben die Busse im Depot.

Anders in Berlin: Die U-Bahn verkehrt bis spät in die Nacht, anschließend kann man auf den Nachtbus umsteigen. Das hat seinen Preis. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) arbeiten chronisch defizitär. Sieben Jahre hat die BVG noch Zeit, sich für den europäischen Wettbewerb fit zu machen. So lange bekommt sie Geld vom Senat: 420,3 Millionen Euro fließen bis zum Jahr 2005 jährlich in ihre Kassen, je 318,6 Millionen in den beiden Folgejahren. Gesamtumfang des Hilfspakets: knapp 3,2 Milliarden Euro. So lange der Vertrag läuft, soll den Verkehrsbetrieben zudem noch die Konkurrenz vom Hals gehalten werden.

Bei der BVG sieht man dem Urteil aus Luxemburg deshalb entspannt entgegen. „Der Unternehmensvertrag wird nicht in Frage gestellt", sagt Vorstandssprecher Hilmar Schmidt-Kohlhas. Zudem seien die Verkehrsbetriebe ohnehin nicht betroffen, weil die Landeshilfen keine Beihilfen darstellten. Tatsächlich ist der Hilfsvertrag in Brüssel niemals offiziell angemeldet worden - mit Billigung der EU-Kommission, die sich Nachahmer ersparen wollte. Der Deal Brüssel-Berlin sieht stattdessen vor, dass das Land wie ein privater Investor versuchen darf, mit finanziellen Investitionen seine Tochter BVG flott zu machen. Schmidt-Kohlhas ist überzeugt davon, dass das gelingt und auch die BVG eines Tages schwarze Zahlen schreiben wird - spätestens am 31. Dezember 2007, wenn der Unternehmensvertrag ausläuft.

Die Zeit sei kürzer als man denke, mahnt dagegen Petra Reetz, Sprecherin des Berliner Stadtentwicklungssenators Peter Strieder. Um im Jahre 2008 Wettbewerb im Liniennetz zu haben, müssten die ersten Strecken früher ausgeschrieben werden, warnt Reetz. Das könnte 2007, vielleicht sogar schon 2006 der Fall sein. „Das Land wird dann den Anbieter wählen, der das beste Angebot macht,und das muss nicht unbedingt die BVG sein", heißt es in der Senatsverwaltung.

Ein Interessent hat sich bereits gemeldet. Die Deutsche Bahn würde über ihre Tochter Bex gern in das Berliner Geschäft einsteigen. Schon einmal hatte die DB Regio gegen den Senat geklagt, weil sie sich bei der Konzessionsvergabe übergangen fühlte. Schließlich hatte man sich aber doch geeinigt. Heute fährt Bex als Subunternehmerin einige Strecken im BVG-Auftrag. S-Bahn und Verkehrsbetriebe sprechen über eine gemeinsame Holding. „Wir haben keinen Krieg", beteuert ein Bahn-Sprecher. Doch bei aller Harmonie bleiben auch Gegensätze: „Wir wollen im Bereich öffentlicher Nahverkehr wachsen." Hier könne man mit festen Einnahmen kalkulieren, das sei „sehr lukrativ". Auch in Berlin. Heike Jahberg

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