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Wirtschaft: Der Osten kommt: Ohne Marke Briefe frankieren

Der Weg zum Firmensitz von Francotyp-Postalia ist beschwerlich. Die Ausflügler am S-Bahnhof Birkenwerder schwingen sich auf ihre Fahrräder.

Der Weg zum Firmensitz von Francotyp-Postalia ist beschwerlich. Die Ausflügler am S-Bahnhof Birkenwerder schwingen sich auf ihre Fahrräder. Doch wie gelangt man vormittags zum Gewerbegebiet? Der firmeneigene Bus-Shuttle fährt nur vor neun und nach 14 Uhr. Ein Taxi? Fehlanzeige. Da bleibt nur der Fußmarsch quer durch den Ort. Auf der Hauptstraße geht es vorbei an Ziemanns Garten- und Anglerbedarf, dem Asia-Imbiss und der Spielothek "Fair Play". Brandenburger Kleinstadtidylle pur. Schwerlasttransporter rauschen auf der viel befahrenen B96 an den Fußgängern vorbei.

Für die Leute in Birkenwerder ist der Lärm ärgerlich, für die hier ansässigen Unternehmen spiegelt sich darin es ein handfester Standortvorteil: "Die gute Verkehrsanbindung hat bei unserem Umzug den Ausschlag für Birkenwerder gegeben", sagt Wolfgang Thiel, Marketingchef bei Francotyp-Postalia. Neben der Bundesstraße biete die nahe gelegene Autobahn und der S-Bahnhof ideale Bedingungen für den Transport von Mensch und Material. Seit 1994 hat der Hersteller von Frankier- und Kuvertiermaschinen seinen Sitz in der beschaulichen 6000-Seelen-Gemeinde nördlich von Berlin.

Schon Anfang der neunziger Jahre reiften in der Geschäftsleitung Pläne, die Produktionsstätten in Offenbach und Berlin an einem Standort zusammenzulegen. "Ursprünglich wollten wir Berlin zur Zentrale ausbauen. Doch die restriktiven Baubestimmungen an unserem Sitz in Reinickendorf haben das verhindert", sagt Thiel. Da blieb nur der Weg ins Berliner Umland. Den Abschied aus der Hauptstadt versüßten Fördermittel des Landes Brandenburg in Höhe von 13 Millionen Mark. Die Gesellschafter von Francotyp-Postalia, die Industrieholding Gebr. Röchling, investierten 43 Millionen Mark für den Bau eines Verwaltungsgebäudes und einer Produktionshalle. Alle Maschinen und Zubehörteile, die das Unterehmen in alle Welt liefert, werden hier gefertigt. Rund 60 Prozent des Umsatzes von rund 290 Millionen Mark macht Francotyp-Postalia im Ausland. Weltweit beschäftigt das Unternehmen über 1000 Mitarbeiter. In Birkenwerder ist das Unternehmen mit 435 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber.

Der Ursprung der Francotyp-Postalia ist das Jahr 1923: In Deutschland herrscht Inflation. Die alten Frankiermaschinen, die nur einen festen Wert drucken konnten, wurden nutzlos. Francotyp profitierte von der Not. Die Firma präsentiert die erste Frankiermaschine mit einstellbaren Portowerten: die Francotyp Modell A.

"Francotyp hat viel zur Entwicklung des Standortes beigetragen. Davon profitieren auch Dienstleister wie Handwerker oder Reinigungsbetriebe im Ort", sagt SPD-Bürgermeister Kurt Vetter heute. Nicht so zufrieden ist Vetter mit den Steuereinnahmen "seines" Vorzeigebetriebs. "Wir hatten uns mehr erhofft", räumt Vetter ein. Sicherlich sei es auf lange Sicht gut, ein solch renommiertes Unternehmen am Ort zu haben. Mit hohen Einnahmen könne man aber nicht so schnell rechnen, da der Betrieb aufgrund hoher Abschreibungen kaum Gewinne erwirtschaftet hat. Vor der Wende stand auf dem Gelände des heutigen Gewerbegebiets ein verrotetes Pumpenwerk. Nach dem Fall der Mauer galt es, möglichst viele Firmen nach Birkenwerder zu locken, um Arbeitsplätze zu schaffen. "Francotyp war damals die Lokomotive. Heute sind 95 Prozent der Flächen im Gewerbegebiet vergeben."

Neben Flächen und hohen Fördermitteln im Umland vertrieben die vergleichsweise hohen Grundstückspreise in Berlin Anfang und Mitte der neunziger Jahre viele Firmen aus der Stadt. Das Ziel: Die Gewerbegebiete in Hennigsdorf, Velten oder Teltow. "Besonders produzierende Betriebe und Unternehmen, die große Flächen benötigen, haben Berlin verlassen; zum Beispiel Speditionen oder Bauunternehmen", sagt Heike Duus, Sprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie. Inzwischen sei der Exodus gestoppt. Die Bodenpreise sind überall im Keller und das Fördergefälle zwischen Berlin und Brandenburg ist beseitigt.

Marketingchef Thiel ist mit dem Standort Birkenwerder zufrieden: "Wir konnten hier auf der grünen Wiese eine moderne Fertigung aufbauen und bessere Arbeitsbedigungen für unsere Mitarbeiter schaffen." Inzwischen kommen rund 30 Prozent der Beschäftigten aus dem Umland, weitere zehn Prozent sind aus Berlin nach Brandenburg gezogen. Die Kennzeichen auf dem Parkplatz vor dem Firmengelände spiegeln märkische Vielfalt wieder: OHV für Oberhavel, OR für Oranienburg, HVL für Havelland oder B für Berlin. Thiel selbst, ein promovierter Physiker, zog mit seiner Familie von Kreuzberg in den Norden. Allerdings nur bis Heiligensee, das noch vor der Stadtgrenze liegt.

Thiel kommen die Marketing-Sprüche nicht eben leicht von den Lippen. Eine "Brücke zwischen Technik und Markt" wolle er schlagen, sagt der 49-jährige etwas zögerlich. Das Kerngeschäft von Francotyp-Postalia sind Frankiermaschinen. In den Poststellen von Unternehmen drucken sie das Porto auf Briefe und Päckchen - ohne Briefmarke. Die Abrechnung mit der Post läuft über das Rechenzentrum von Francotyp-Postalia. "Die Frankiermaschine teilt uns per Datenleitung das verbrauchte Porto mit. Wir ziehen es dann vom Konto des Kunden ab und leiten den Betrag an die Post weiter", erläutert Thiel. Vom Tischgerät "My-Mail" für 1800 Mark bis zum High-End-System "Jetmail Concorde" für 18 000 Mark hat Thiel alles im Angebot.

"Frankiermaschinen sind heute High-Tech", sagt Thiel. Die neueren Modelle enthalten digitale Druckwerke und ab 2003 muss jeder mit einer Maschine frankierte Brief einen zweidimensionalen Barcode enthalten. "Damit wird jeder Aufdruck einzigartig. Die Lesegeräte der Post würden eine Manipulation an den Frankiermaschinen sofort erkennen", erläutert Thiel.

Ein Fiasko erlebte Francotyp-Postalia bei seinem Engagement im Internet. Eine Beteiligung an dem amerikanischen Unternehmen E-Stamp, das eine elektronische Briefmarke für das Internet entwickelte, brachte keinen Erfolg. Jetzt muss der Marketingchef mit ansehen, wie die Deutsche Post ein konkurrierendes System einsetzt. Eine Bedrohung ist für Thiel die Internet-Briefmarke nicht: "Wir beobachten das. Wir haben mit E-Stamp Erfahrungen gesammelt und können bei Bedarf mit einem eigenen Produkt dagegenhalten."

Nicht nur der Internet-Flop sorgte im vergangenen Jahr bei den Neu-Brandenburgern für Verdruss. "Das Jahr 2000 entsprach nicht unseren Erwartungen", sagt Thiel. Als Tochterunternehmen einer Holding braucht das Unternehmen keine Ertragszahlen zu veröffentlichen. Fest steht aber: Nach einer zu stürmischen Expansion im Ausland wird das Unternehmen jetzt wieder auf Profitabilität getrimmt. Die drei ehemaligen Vorstände wurden von den Gesellschaftern gefeuert und durch zwei neue ersetzt. Die sollen es jetzt richten. Thiel: "Wir konzentrieren uns jetzt wieder mehr auf unseren Heimatmarkt Deutschland."

Maurice Shahd

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