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Wirtschaft: Der Pate

So tief wie er fiel kaum ein Manager, denn kaum einer stand so weit oben wie Heinrich von Pierer. Die Siemens-Korruptionsaffäre beendete seine Karriere

„Wenn ich durch das Unternehmen gehe, freuen sich die Mitarbeiter.“ Das sagte Heinrich von Pierer gern. So war es wohl auch. Der Manager war bei seinen Leuten beliebt. 38 Jahre lang arbeitete der Jurist bei Siemens, von 1992 bis 2005 als Vorstandsvorsitzender. Er war Mister Siemens. Noch viele Jahre hätte Pierer an der Spitze des Aufsichtsrats die Zukunft des Konzerns mit mehr als 400 000 Mitarbeitern weltweit mitbestimmen können. Das ist so üblich in vielen deutschen Aktiengesellschaften. Doch im 160. Jahr des Bestehens von Siemens ist nichts mehr so, wie es üblich war. Die Affäre um schwarze Kassen im Konzern hat das Unternehmen in eine schwere Krise gestürzt – und eine erfolgreiche Managerkarriere abrupt beendet.

Am 19. April gibt Pierer auf. Monatelang hat er sich verbissen gegen die immer lauter werdenden Forderungen nach seinem Rücktritt gewehrt. Er kämpfte um seinen Posten und um seine Reputation. Er wolle keine „Fahnenflucht“ begehen, sagte der 66-Jährige. Er habe sich nichts vorzuwerfen, seine Aufgabe sei es, die Affäre aufzuklären. Doch die Mitglieder im Aufsichtsrat stehen am Ende nicht mehr hinter ihm. Das Gremium will einen personellen Neuanfang.

Bleich und ernst soll er gewesen sein, als er seinen Posten zur Verfügung stellte. Seine Pflicht gegenüber dem Unternehmen müsse Vorrang vor eigenen Interessen haben, ließ er zum Abschied mitteilen. Und er beharrte darauf, von schwarzen Kassen im Unternehmen und von Schmiergeldzahlungen an die Arbeitnehmerorganisation AUB nichts gewusst zu haben. „Eine persönliche Verantwortlichkeit mit Blick auf die laufenden Ermittlungen war nicht Grundlage meiner Entscheidung.“ Die Münchner Staatsanwaltschaft führt ihn weder als Verdächtigen noch als Zeugen.

Seit seinem Rücktritt hatte Pierer immer wieder Gelegenheit, bleich und ernst zu werden. Denn in der Korruptionsaffäre gelangen immer neue Details ans Licht, und mit der Aufarbeitung wird der Konzern noch lange beschäftigt sein. „Staatsanwaltschaften und andere Ermittlungsbehörden in verschiedenen Jurisdiktionen der Welt ermitteln gegen die Siemens AG“ sowie gegen mehrere teils ehemalige, teils aktive Mitarbeiter „unter anderem wegen des Vorwurfs der Bestechung von Amtsträgern einschließlich Untreue, Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Diese Ermittlungsverfahren haben Korruptionsvorwürfe gegen zahlreiche Siemens-Geschäftsbereiche zum Gegenstand“, schreibt der Konzern in seinem Geschäftsbericht unter der Rubrik „Legal Proceedings“, Rechtsstreitigkeiten. 13 Seiten hat der Bericht. Siemens beziffert die fragwürdigen Zahlungen für die Jahre 2000 bis 2006 inzwischen auf rund 1,3 Milliarden Euro. Daraus folgen Steuernachzahlungen von 418 Millionen Euro. Doch damit sind die finanziellen Risiken nicht vollständig abgedeckt. Denn auch die gefürchtete US-Börsenaufsicht SEC ermittelt in Sachen Siemens. Sie kann empfindliche Geldstrafen verhängen. Hinzu kommt der schwer messbare Imageverlust. Es könnte passieren, dass Siemens in den USA von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen wird.

Das Ausmaß an dubiosen Zahlungen, die Vielzahl der Vorwürfe überall auf der Welt – von Griechenland bis Nigeria – und die Tatsache, dass nicht nur die als Erstes ins Visier der Staatsanwälte geratene Sparte Com betroffen ist: All dies macht es für viele Beobachter schwer zu glauben, dass die oberste Führungsspitze, dass Heinrich von Pierer von all den Machenschaften nichts gewusst haben soll. Dann müsste es unter ihm ein nahezu perfektes System der organisierten Unverantwortlichkeit gegeben haben.

Damit ist Schluss. Daran hat der neue Vorstandschef Peter Löscher keinen Zweifel gelassen. Mit einer neuen Führungsmannschaft, einer klaren Verteilung der Verantwortlichkeit und einer neuen Struktur will er aus Siemens einen sauberen Konzern machen. „Spitzenleistung auf höchstem ethischen Niveau“ fordert der neue Chef. Zu seinen Vorgängern – Pierer und Klaus Kleinfeld – äußert sich Löscher nicht.

Überhaupt ist es um Pierer ruhig geworden. Der Manager, der schon Helmut Kohl in Wirtschaftsfragen beriet, sich mit Gerhard Schröder gut verstand und sogar als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch war, ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Offiziell dient er Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vorsitzender des Rates für Innovation und Wachstum. Doch damit ist kein Staat zu machen. Viele Jahre stand Pierers Name für Macht und Erfolg. Nun steht er auch für einen der größten deutschen Korruptionsskandale.

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