zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Der Pharma-Markt ist ein europäischer Flickenteppich

MANNHEIM .Was wird aus der Pharmaindustrie, wenn der Euro kommt?

MANNHEIM .Was wird aus der Pharmaindustrie, wenn der Euro kommt? Die Arzneimittelhersteller und der Großhandel sehen der gemeinsamen Währung mit gewisser Gleichgültigkeit entgegen.Sie begrüßen den Euro als einen Beitrag zur Vereinfachung des Zahlungsverkehrs und der Minderung von Wechselkurs- und Investitionsrisiken.Aber den ärgsten Konflikt der Industrie - die lästige Kombination von administrierten Preisen und freiem Warenverkehr - wird die neue Gemeinschaftswährung allenfalls teilweise entschärfen.

Wie im gesamten Gesundheitswesen ist auch im Pharma-Markt ein einheitlicher europäischer Binnenmarkt bisher nur in Ansätzen vorhanden.Arzneimittel benötigen eine Zulassung durch die jeweils nationalen Gesundheitsbehörden, und vor allem müssen ihre Erstattungspreise und -modalitäten nach wie vor mit den einzelnen nationalen Versicherungsträgern ausgehandelt werden.Während sich die großen Hersteller längst zu global ausgerichteten Unternehmen entwickelt haben, ist der europäische Pharmamarkt ein bunter Flickenteppich geblieben, mit weitgehend abgeschotteten Einzelmärkten und erheblichen Unterschieden, was die Produktsortimente und -preise betrifft.

Diese Heterogenität wurzelt in der unterschiedlichen Historie und Ausrichtung der Gesundheitssysteme und nicht zuletzt auch in unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten.Vor allem die südeuropäischen Länder bewilligen bei neuen Arzneimitteln häufig nur niedrigere Preise, während die nördlichen EU-Länder, so vor allem Großbritannien, Deutschland und die Niederlande, größere Freiräume in der Preisgestaltung bei Neuzulassungen gewähren.Zusätzlich verstärkt werden die anfänglichen Preisdifferenzierungen durch spätere, administrativ verfügte Preissenkungen sowie durch Wechselkursschwankungen.

Bei einer Reihe von Produkten, vorwiegend patentgeschützten Arzneimitteln, erreichen die so entstandenen Preisdifferenzen innerhalb Europas mehr als 20 Prozent, was es wiederum für sogenannte Parallel- und Reimporteure interessant macht, Arbitragegeschäfte auf der Großhandelsebene abzuwickeln.Auf Parallelimporte entfällt von dem rund 30 Mrd.DM großen deutschen Pharmamarkt nach Branchenschätzungen ein Anteil von rund zwei Prozent und europaweit von etwa einem Prozent des Marktes.

Das erscheint wenig, aber bei den relevanten Produkten erreichen diese Importe deutlich höhere Anteile.Von Krankenkassen und Gesundheitspolitikern werden Parallelimporte als willkommenes Instrument zur Kostensenkung begrüßt.Dagegen klagen die Pharmahersteller, daß sich über diese Einfuhren das jeweils niedrigste Preisniveau über die gesamte Europäische Union hinweg ausbreitet.Und dieses Problem, warnen die Pillen-Produzenten, könnte sich mit der Osterweiterung der EU noch dramatisch verschärfen.

Die Einführung einer gemeinsamen Währung wird nach Erwartung der Branche die Grundkonstellation im Pharmasektor nicht ändern und damit eine Harmonisierung der Märkte kaum vorantreiben."Diejenigen, die Preisdifferenzen nutzen, konnten sich auch bisher schon einen Überblick über das Gefälle verschaffen", gibt Ulrich Vorderwülbecke, Geschäftsführer des Verbandes forschender Arzneimittelunternehmen (VFA), zu bedenken.

Etwas größere Transparenz verspricht der Euro dagegen auf der Endverbraucherstufe, das heißt für den Kunden der Apotheken.Aber auch hier bleibt zu beachten, daß ein direkter Preisvergleich für den Verbraucher durch divergierende Steuersätze und Handelsspannen, durch Unterschiede in Aufmachung und Packungsgrößen sowie vielfach auch durch unterschiedliche Handelsnamen für gleiche Wirkstoffe erheblich erschwert wird.

Allerdings schließen Branchenkenner nicht aus, daß der Euro über die höhere Transparenz der Apothekenabgabepreise mittelfristig doch eine indirekte politische Wirkung auf die Sozialversicherungsträger entfalten könnte."Die bisherigen Hochpreisländer werden sich wohl tendenziell in Richtung niedrigerer Preise bewegen, und die Niedrigpreisländer in Richtung höherer Preise", erwartet Bernd Scheifele, der Präsident des Bundesverbandes des pharmazeutischen Pharmagroßhandels (Phagro).Doch noch ist das Zukunftsmusik.

Und ob die Industrie selbst einen solchen Trend durch ihre eigene Preispolitik unterstützen wird, ist nur schwer zu erkennen.Zwar verweisen Manager immer wieder auf das Bestreben, möglichst einheitliche Abgabepreise für neue Produkte zu setzen.Doch sind vor allem europäische Unternehmen, wie Vorderwülbecke einräumt, selten bereit, auf eine Zulassung zu verzichten, wenn sie ihre Preisvorstellungen gegenüber den nationalen Kostenträgern nicht durchsetzen können.

Richard Sykes, der Chairman des britischen Pharmariesen Glaxo Wellcome, spricht sichsogar ganz dezidiert für eine Differenzierung von Arzneimittelpreisen aus.Allein die sei nämlich ein volkswirtschaftlich sinnvolles Instrument, argumentiert er.Schließlich gewährleiste sie sowohl wohlhabenden als auch ärmeren Ländern die Versorgung mit hochwertigen Medikamenten.Gleichzeitig sichere sie der Industrie eine angemessene Refinanzierung ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.

Letztlich dürfte von Seiten der Hersteller also wenig Initiative in Richtung einer Preis- und Produktharmonisierung ausgehen - zumindest solange die Gefahr besteht, daß diese auf Basis der "falschen", nämlich - aus Herstellersicht - zu niedrigen Preise erfolgt.Die gemeinsame Währung wird die bestehenden Interessenkonflikte im europäischen Pharmasektor sicherlich noch sichtbarer machen.

Aber die entscheidenden Weichen für ein Zusammenwachsen der Pharmamärkte in Europa müssen von den Sozial- und Gesundheitspolitikern gestellt werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false