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Frauen gehen öfter zum Arzt, glauben die Versicherer und kassieren höhere Beiträge für die private Krankenversicherung.

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Wirtschaft: Der Preis der Gleichheit

Der Europäische Gerichtshof fordert Unisex-Tarife bei Versicherungen. Jetzt zahlen alle mehr

Berlin - Wenn eine 30-jährige Frau bei einer großen privaten Krankenkasse einen Vertrag abschließen will, zahlt sie dafür 499 Euro im Monat. Ein gleichaltriger Mann müsste nur 445 Euro bezahlen. Dieses Beispiel hat der Bund der Versicherten errechnet. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Montag ist diese Form der Diskriminierung ab Ende des kommenden Jahres verboten. Die Versicherungen dürfen die Geschlechter dann nicht mehr unterschiedlich behandeln und müssen Unisex-Tarife anbieten. Während die EU-Kommission und die Verbraucherschützer das Urteil als Sieg der Gleichstellung und der Gerechtigkeit feierten, reagierten die großen Versicherungskonzerne empört. Allianz-Deutschland-Chef Markus Rieß drohte damit, dass Männer und Frauen künftig mehr bezahlen müssten: „Klar ist, dass das Urteil Versicherungen verteuern wird“, sagte Rieß.

Wie viel ein Kunde für eine Versicherung bezahlen muss, hängt davon ab, wie hoch der Anbieter das Risiko einschätzt, dass er für den Schaden aufkommen muss. „Frauen leben länger und gehen häufiger zum Arzt“, so erklärt eine Sprecherin der Düsseldorfer Ergo-Versicherung, zu der auch die Deutsche Krankenversicherung (DKV) gehört, den eklatanten Unterschied bei privaten Krankenversicherungen. Bei der DKV zahlten Frauen im Durchschnitt 30 bis 50 Euro mehr als Männer.

Diskriminiert wird aber auch das andere Geschlecht: Junge Autofahrerinnen müssten weniger für ihre Kfz-Haftpflicht bezahlen, weil die Schadensquoten bei jungen Frauen geringer seien als die bei gleichaltrigen Männern, schrieb Allianz-Chef Markus Rieß kürzlich in einem Beitrag für die Zeitung „Euro am Sonntag“. Auch bei den Risikolebensversicherungen würden Frauen bevorzugt. Eine Nichtraucherin, die vom 35. bis zum 67. Lebensjahr eine Summe von 100 000 Euro für den Fall ihres Todes absichern will, zahlt dafür bei der Allianz 18,47 Euro im Monat. Männer müssen fast zehn Euro mehr bezahlen. Der Grund: Die durchschnittliche Lebenserwartung eines neugeborenen Jungen beträgt 77,3 Jahre, die eines Mädchen 82,5 Jahre. Die Versicherer halten es darum für wahrscheinlicher, dass ein Mann vor seinem 65. Lebensjahr stirbt und sie die 100 000 Euro zahlen müssen.

Für Lars Gatschke vom Bundesverband der Verbraucherzentralen ist das „statistische Sippenhaft“. Geschlechterspezifische Tarife seien ungerecht, weil der Unterschied zwischen Mann und Frau zwar signifikant, aber nicht relevant sei. „Wenn in einem Jahr in einem Dorf viele Störche sind und im nächsten Jahr werden dort viele Kinder geboren, ist das statistisch signifikant, aber niemand glaubt, dass es da einen Zusammenhang gibt“, erklärt Gatschke. Auch er geht davon aus, dass die  Beiträge jetzt für alle Versicherten steigen werden – nicht nur für das jeweils bevorzugte Geschlecht. „Wir befürchten, dass sich die Versicherer jetzt noch mal zusätzlich einen Schluck aus der Pulle genehmigen werden“, sagt Gatschke. Das sieht die Gegenseite naturgemäß anders: „Geschlechtsspezifische Statistiken sind und bleiben ein unverzichtbares Mittel, um den gewünschten Versicherungsschutz für alle Kunden möglichst günstig und risikogerecht anzubieten“, schreibt Allianz-Chef Prieß.

Die EU-Gleichstellungsrichtlinie verlangt Unisex-Tarife bei Versicherungen eigentlich schon seit dem 21. Dezember 2007. Formuliert waren allerdings noch Ausnahmen, die der Gerichtshof jetzt für ungültig erklärte. Die Versicherungen hätten aber Zeit bis zum 21. Dezember 2012, um sich darauf einzustellen. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft betonte am Dienstag, bestehende Verträge seien nicht von dem Urteil betroffen. mit dpa

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