zum Hauptinhalt
Kämpfer für den Euro. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sparte während seiner Amtszeit, die 2003 begann, nicht mit Kritik an der Disziplinlosigkeit der Euro-Länder. Foto: dpa

© dpa

Wirtschaft: Der Preuße

Jean-Claude Trichet leitet zum letzten Mal die Sitzung des EZB-Rats – in Berlin

Frankfurt am Main/Berlin – Das Blitzlichtgewitter ist heller und dauert länger als sonst. Rund 200 Journalisten, Fotografen und Kameraleute sind am Donnerstag zur Pressekonferenz des scheidenden EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet in die Hauptverwaltung der Bundesbank in Berlin gekommen. Zweimal im Jahr tagt der EZB-Rat nicht am Hauptsitz der Euro-Notenbank in Frankfurt. Es will der Zufall, dass die letzte Zinssitzung der Währungshüter unter Trichets Ägide in der deutschen Hauptstadt stattfindet.

Deutschland, das Land, dessen Sprache und Kultur der Franzose so sehr bewundert, ist zugleich das Land seiner größten Kritiker. Der vielleicht prominenteste unter ihnen sitzt am Tag des Abschieds direkt neben Trichet: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der Hausherr. Die beiden tauschen Höflichkeiten aus: Weidmann lobt Trichets Fähigkeit, mit Öffentlichkeit und Finanzmärkten zu kommunizieren, seine französische Liebenswürdigkeit, ja sogar seine Eleganz. Trichet lobt Weidmanns Französischkenntnisse. „Lieber Jean-Claude“, „lieber Jens“ – das ist der Umgangston auf der Bühne, der die fast unüberbrückbar scheinenden Differenzen zwischen Bundesbank, dem EZB-Präsidenten und dem Rest des EZB-Rats überspielen soll.

Die letzten Monate haben Spuren hinterlassen. Tiefe Furchen haben sich in das Gesicht des ersten Mannes der EZB gegraben. Die durch die Staatsschuldenkrise hervorgerufene, kritische Lage auf den Finanzmärkten und bei den Banken hat die Notenbank unter Druck gesetzt – und zu Maßnahmen veranlasst, über die Trichet selbst alles andere als glücklich ist. Das gilt vor allem für den Kauf von Staatsanleihen der Krisenstaaten Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien. Faktisch stützt sie damit die jeweiligen Haushalte, denn sie senkt die Zinslast. Eigentlich ist ihr dieser Weg untersagt. Papiere im Volumen von 150 Milliarden Euro liegen mittlerweile bei der Notenbank. Ohne diese Notkäufe, sagen Experten, wäre es im Mai 2010 und im August 2011 zu dramatischen Verwerfungen auf den Finanzmärkten gekommen.

Nach Trichets Meinung hatte die EZB keine Wahl. „Dass wir gehandelt haben liegt daran, dass die Regierungen nicht ordentlich gewirtschaftet und nicht aufgepasst haben“, sagt er. Immer wieder erinnerte er daran, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt über Jahre hin von praktisch allen Ländern missachtet wurde, die Defizite zu hoch waren und die Schuldenberge immer weiter gewachsen sind.

Der bei seinem Amtsantritt hochgelobte Trichet mahnte schon in seiner ersten Pressekonferenz Anfang November 2003, dass der Stabilitätspakt an einem „kritischen Punkt“ angelangt sei. Monat für Monat wiederholte er diese Mahnung. Lange blieben die Appelle ohne Wirkung. „Ich erinnere daran, dass 2004 und 2005 einige bedeutende Regierungen in Europa die Schwächung des Stabilitätspaktes gefordert haben – die französische, die deutsche und die italienische.“ Schon 2007 hatte die Notenbank mit Milliardenspritzen für die schwer angeschlagenen Banken und mit der Senkung des Leitzinses auf das Rekordtief von 1,0 Prozent das Schlimmste verhindert. Die Verantwortung für die Krise damals wie heute lässt sich Trichet nicht anhängen.

Die Bilanz des Franzosen kann sich sehen lassen – auch aus deutscher Sicht. Die Inflationsrate in Deutschland liegt seit Gründung der Euro-Zone 1999 im Jahresschnitt mit 1,5 Prozent deutlich unter dem Niveau zu D-Mark-Zeiten. Auch in der Eurozone hat die EZB mit durchschnittlich zwei Prozent die Stabilitätsvorgaben erfüllt. Hinter dem Dollar hat sich der Euro als zweitwichtigste Währung etabliert. Nicht ohne Grund wurde Opern- und Poesiefreund Trichet im Frühjahr mit dem Karlspreis geehrt.

Das Wissen und die Fähigkeiten des 1942 in Lyon geborenen Franzosen sind unstrittig. Nach dem Bergbaustudium folgten Diplome in Politik und Ökonomie, dann die Eliteverwaltungsschule ENA, bevor er 1971 ins Finanzministerium wechselte. Von 1993 bis 2003 führte Trichet die französische Notenbank und erwies sich als unbeugsamer Verfechter einer unabhängigen und stabilitätsorientierten Geldpolitik. Trichet sei ein „Preuße“, schimpfte man in Frankreich. Er war eng in die Vorbereitung der Währungsunion eingebunden und folgte dem Niederländer Wim Duisenberg 2003 auf den Präsidentenstuhl der EZB.

Nach seiner achtjährigen Amtszeit bleiben trotzdem Schrammen und – wie der Rücktritt von Chefvolkswirt Jürgen Stark zeigt – Konflikte im EZB-Rat. Trichet wird bis zu seinem letzten Arbeitstag am 31. Oktober für seine Sache, den Euro, ringen. Mit Erfolg, auch in der „schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“, ist er überzeugt. Dazu gehören auch geheime Brandbriefe an Regierungen der Krisenstaaten, zuletzt nach Rom und Madrid. Damit keine Zweifel an der Position und der Unabhängigkeit der EZB in der Zeit nach Trichet aufkommen, waren die Briefe nicht nur von Trichet unterzeichnet, sondern auch von Mario Draghi, dem künftigen EZB-Präsidenten. mit dpa

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false