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Wirtschaft: Der Ruf des "Turn-around-Genies" ist verblasst - das Imperium von James Henry Ting kämpft heute ums Überleben

Der Elektroingenieur James Henry Ting hatte vor zehn Jahren einen Traum: Er wollte weltweit auf Einkaufstour gehen, sich angeschlagene Firmen mit bekannten Markennamen zulegen und ein mächtiges Konglomerat schaffen. Binnen weniger Jahre gelang ihm dies weitgehend - doch heute steht er am Abgrund.

Der Elektroingenieur James Henry Ting hatte vor zehn Jahren einen Traum: Er wollte weltweit auf Einkaufstour gehen, sich angeschlagene Firmen mit bekannten Markennamen zulegen und ein mächtiges Konglomerat schaffen. Binnen weniger Jahre gelang ihm dies weitgehend - doch heute steht er am Abgrund. Und mit ihm der konkursreife deutsche Nähmaschinenhersteller Pfaff, den Ting über die zu ihm gehörende Singer-Gruppe kontrolliert. Die traditionelle Marke aus der Pfalz ist pleite, nachdem Banken und die Konzernmutter weitere Unterstützung verweigern.

Wer ist dieser James Ting, der gebürtige Chinese und heutige Kanadier? Zumindest bis zum Jahr 1989 nahm kaum jemand Notiz von ihm. Ting war ein unauffälliger Geschäftsmann. Von der Gestalt her schmächtig, die Harre zum braven Seitenscheitel gekämmt - so wirkte er unauffällig und diszipliniert wie die meisten Asiaten. Auffallend war zu dieser Zeit wohl nur seine überdimensionale Hornbrille. Doch im Frühjahr 1989 stand er schlagartig im Licht der Öffentlichkeit: Sein Unternehmen, die kanadische Semi Tech Corp., kaufte für 229 Mill. Dollar den weltweit bekannten Hersteller von Nähmaschinen, die Singer-Gruppe. Die nordamerikanische Wirtschaftswelt fragte sich damals: Wie verrückt muss ein Mensch sein, um so viel Geld für ein stark angeschlagenes Unternehmen auszugeben?

Ting sieht sich gern als Visionär. Er wuchs in Hongkong auf und wanderte 1973 nach Kanada aus, um an der Universität Toronto Elektrotechnik zu studieren. Der frisch eingebürgerte Kanadier und diplomierte Ingenieur startete Anfang der 80er Jahre seine Karriere in der Wirtschaft als Computerhersteller - wie damals üblich mit einer Garage nahe seiner Studentenbude als Produktionsstätte. Doch Jahre später reichte ihm der Verkauf von Rechnern nicht mehr: Er suchte ein Geschäft, das ihm ein "stabileres Cash-Flow brachte", wie er sagte. Sein erklärtes Ziel war es, abgewrackte Markenfirmen im Westen kaufen und sie auch in Fernost zu bekannten Unternehmen aufsteigen lassen.

Bei der Singer-Gruppe verlagerte er die Produktion in Billiglohnregionen wie Brasilien und Asien, eroberte neue Märkte in Fernost und holte den Maschinenbauer so aus den Verlusten. Von diesem Erfolg ermuntert griff er 1993 bei der heruntergewirtschafteten deutschen Pfaff AG in Kaiserslautern zu, die er für 122 Mill. DM seiner Holding zuführte. Auch dort regierte er aus seinem Firmensitz in Fernost mit harter Hand: Er setzte Entlassungen durch und baute mit aggressivem Marketing die Position Pfaffs in Asien und Lateinamerika aus. Was die Belegschaft bisweilen entsetzte, ließ die Beobachter entzücken: Der heute 48-jährige bekam von US-Wirtschaftsmagazinen den Titel "Das Turn-around-Genie" verliehen, als er Pfaff aus den roten Zahlen brachte. Ting baute Semi-Tech zur Holding aus, deren Unternehmen heute in über 100 Ländern vetreten sind und die 1998 einen Umsatz von 2,5 Mrd. Dollar machten. Neben Singer (49 Prozent Anteile) und Pfaff (72 Prozent) sind heute die Markenfirmen Akai (71 Prozent) und Sansui in seinem Imperium. Vor zwei Jahren strukturierte Ting um und machte die Pfaff AG zur Tochtergesellschaft von Singer.

Doch die Zeit des "Turn-around-Genies" scheint in den vergangenen Jahren abgelaufen zu sein. Die Krisen in Asien und Russland schlugen bei der Semi-Tech- Gruppe voll ein und bringen den Konzern bis heute in arge Bedrängnis. Singer traf es besonders hart - und weil die Kapitaldecke von Semi Tech schon immer stark vom Cash-Flow des Nähmaschinenkonzerns abhing, geht James Ting das Geld aus. Die Singer-Gruppe bescherte dem visionären Kanadier 1998 bei einen Umsatz von 1,06 Mrd. Dollar einen operativen Verlust von 171 Mill. Dollar Zudem hatte Singer zuletzt rund 660 Mill. Dollar Finanzschulden ausgewiesen.

Für die ebenfalls in der Klemme steckende Tochtergesellschaft Pfaff blieb da offenbar nichts übrig. Zwar genehmigte Ting den Deutschen 1996 eine Kapitalerhöhung, doch mit Finanzspritzen war er nach Ansicht von Beobachtern knauserig. Pfaff musste seine Expansion oft mit hohen Schulden finanzieren. Ein Grund, warum heute der Konkursverwalter Einzug in die Firmenzentrale nimmt. Nicht ohne Stolz sinnierte Elektroingenieur Ting Mitte der 90er Jahre: "Ohne mich wären Singer und Pfaff längst am Ende". Heute ist dies zumindest Pfaff auch mit ihm.

Bert Fröndhoff

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