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Ohne Pause. Zwei von drei Berufstätigen sind auch nach Büroschluss per Handy oder Internet für Chef oder Kunden da. Foto: picture-alliance

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Wirtschaft: Der Stand-by-Manager

E-Mail, SMS, Anrufe – ständige Erreichbarkeit kann krank machen. Dabei gibt es clevere Teilzeitmodelle, die Arbeits- und Privatleben ausbalancieren

Chan hat zwei Köpfe und vier Hände und ist ein echter Exot unter deutschen Managern. „Chan“, das sind die Initialen der Vornamen von Christiane Haasis und Angela Nelissen, die sich in der Deutschland-Zentrale des Konsumgüterkonzerns Unilever die Position der Marketingchefin für die Gewürzmittel-Sparte teilen.

Die beiden Managerinnen arbeiten in den nächsten drei Jahren nur noch Teilzeit – zu je 60 Prozent. Wer „Chan" anmailt, erreicht entweder Haasis oder Nelissen, je nach Wochentag. Nur dienstags sind beide im Hamburger Büro, etwa für Meetings mit ihren 40 Mitarbeitern. Haasis schätzt ihre Drei-Tage-Woche, weil sie vor gut einem Jahr eine Tochter bekommen hat, und Nelissen kann so neben dem Beruf mit ihrer Familie, vor allem mit ihrem Vater, mehr Zeit verbringen.

Beruf und Privatleben in Balance? Davon können die meisten Führungskräfte nur träumen. Die Zahl ihrer Arbeitsstunden hat sich laut einer Umfrage des Verbandes „Die Führungskräfte“ bei den rund 20 000 Mitgliedern weiter erhöht. Die Auswertung zeigt, dass im Vergleich zum Vorjahr besonders die leitenden Angestellten, sowie Vorstände und Geschäftsführer noch mehr arbeiten. So ist der Median der von Managern in Firmen mit 500 bis 5000 Mitarbeitern geleisteten Wochenstunden um vier auf 60 gestiegen. Das heißt, 50 Prozent der Manager hierzulande arbeiten weniger als 60 Stunden, die andere Hälfte mehr.

Der Druck auf die Manager, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche verfügbar zu sein, macht sich bemerkbar: Der Krankenstand steigt. Laut dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK), haben psychisch bedingte Krankschreibungen in den vergangenen zehn Jahren um 40 Prozent zugenommen. TK-Chef Norbert Klusen vermutet: „Wegen Handy und Notebook sind Arbeitnehmer pausenlos erreichbar.“ Das belaste vor allem Führungskräfte. Zwei Drittel der Berufstätigen sind nach Büroschluss für Kunden oder Chef per Internet oder Handy erreichbar, bestätigt eine Studie des Branchenverbandes Bitkom.

Dass diese Entwicklung zum Standby-Manager so nicht weitergehen kann, zeigt auch eine Ankündigung der Deutschen Telekom: Personalvorstand Thomas Sattelberger will, dass seine Angestellten entschleunigen: „Wir haben beschlossen, dass Mitarbeiter E-Mails am Wochenende nicht beantworten müssen – außer in Not- und Krisensituationen. Das Unternehmen kann und soll nicht komplett über die Zeit der Menschen verfügen.“ Über Teilzeit-Modelle für Führungskräfte denkt der Telekommunikationskonzern auch nach – damit ihm nicht irgendwann die Talente ausgehen.

Um gute Leute zu halten, müssen Chefs darauf eingehen, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer ihr Beruf- und Privatleben besser vereinen und variabler gestalten als frühere Generationen. So beobachtet etwa Katrin Peplinski, zuständig für die Familienfreundlichkeit der Ergo-Versicherungsgruppe mit 15 000 Mitarbeitern, dass auch Vertriebler die Partnermonate für Väter nehmen – vor einigen Jahren noch undenkbar. Und auch die Option, Boni in Freizeit umzuwandeln, wird zunehmend von Männer genutzt: oft ein Versuch, der Tretmühle für ein paar Tage länger zu entfliehen – ohne bei Kollegen und Vorgesetzten als Weichei aufzufallen.

Zwar steigt speziell unter Beratern die Zahl mobiler Arbeitsplätze, mit denen sich Aufgaben und Familienleben oder Freizeitaktivitäten flexibler unter einen Hut bringen lassen. Manch einer versucht auch, die Wochenarbeitszeit gleich in nur vier Tage zu quetschen. Vereinzelt ermöglichen es Arbeitgeber wie die IT-Beratungsfirma Accenture bereits, dass Mitarbeiter die angehäuften Überstunden in Flauteperioden abfeiern.

Und schließlich häufen sich die Meldungen über Aussteiger auf Zeit unter den Managern der Finanzindustrie wie Hermann Prelle, Co-Chef des UBS-Investmentbanking oder Robert Karofsky, Co-Chef Global Markets bei der Deutschen Bank in New York. Sie klinken sich jeweils für ein Jahr aus. Dahinter stecken oft persönliche Gründe, etwa der Wunsch zu reisen oder sich weiterzubilden. Die Rückkehr ins Tagesgeschäft gelingt aber nicht immer.

Doch alle diese Ansätze versprechen keine regelmäßige Entlastung. Echte Teilzeit-Angebote für Führungskräfte „muss man in Deutschland mit der Lupe suchen“, weiß Gerold Frick, Geschäftsführer des Personalerverbandes DGFP, der rund 43 000 Mitglieder hat. Das liegt auch an den Vorbehalten der Führungskaste selbst: „Die Arbeitsdichte, die Zahl der geführten Mitarbeiter und das Tempo der Entscheidungen hat so stark zugenommen, das lässt sich nicht in Teilzeit schaffen“, ist immer wieder zu hören.

„Alles eine Frage der Organisation“, findet dagegen das Managerinnen-Duo Nelissen und Haasis. Am Rande ihrer Freizeit bleiben Blackberry und Handy eingeschaltet, damit die Übergabe klappt. Die beiden Hälften von „Chan“ sind seit jeweils 18 Jahren bei Unilever, ihre Teilzeitlösung haben sie privat ausgeheckt und dann ihrem Arbeitgeber schmackhaft gemacht. „Das war leichter als gedacht“, sagt Nelissen.

Kein Wunder, zum geringen Aufpreis gegenüber einer Vollzeitkraft werden nun sogar 120 Prozent Leistung erbracht und führungslose Zeiten wegen Krankheit oder Urlaub sind vorbei. Außerdem ergänzen sich „Chans“ Stärken: die eine ist fit in Personalthemen, die andere besonders analytisch begabt. Andererseits: Unterläuft einer ein Fehler, hängt die andere mit drin.

Nur wenige Positionen standen für die Diplomkauffrauen zur Wahl. „Im Verkauf wäre unser Modell Kunden gegenüber schwerer zu vermitteln gewesen“, sagt Nelissen. Dennoch will der Konsumgüterhersteller allen Mitarbeitern ermöglichen, einen Teilzeit-Partner zu finden. Dazu entsteht eine Datenbank, in der Interessenten ihr persönliches Teilzeit-Wunschprofil eingeben.

Kann „Chan“ aber auch Karriere machen? Angela Nelissen lacht: „In der sechsköpfigen Geschäftsleitung gibt es nur noch eine Position, die für uns beide in Frage käme.“ Sie hat aber ein anderes Ziel vor Augen: „Ich bin erst zufrieden, wenn sich auch zwei gestandene männliche Manager einen Job teilen.“ (HB)

Claudia Obmann

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