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Wirtschaft: Der Stimmungsminister

Für Wolfgang Tiefensee droht die Bahn-Privatisierung zum persönlichen Desaster zu werden

Berlin - Der Motor heult auf, der Minister grinst. Wolfgang Tiefensee sitzt am Steuer der Luxuslimousine und gibt Gas. Ein paar Meter rollt das Auto in der Eingangshalle seines Ministeriums vorwärts, auf die Fotografen und Kameraleute zu. Tiefensee blickt durch die heruntergelassene Seitenscheibe starr in ihre Richtung und grinst weiter. „Gute Bilder?“, raunt er hoffnungsvoll. Der Minister genießt die Blitzlichter. Dann bremst er.

Die Übergabe eines mit Wasserstoff angetriebenen Autos an den Fuhrpark des Verkehrsressorts am vergangenen Donnerstag war mal ein Termin nach dem Geschmack des SPD-Politikers. Überall freundliche Mienen, keine kritischen Fragen. Ärger hatte Tiefensee in dieser Woche ansonsten genug. Das Satellitensystem Galileo kommt nicht in Gang, bei der Privatisierung der Deutschen Bahn knirscht es gewaltig. Das wichtigste wirtschaftspolitische Projekt dieser Wahlperiode könnte komplett ins Wanken geraten. Und Tiefensee zeichnet dafür verantwortlich. „Eine weitere Pleite kann er sich nicht leisten“, ist sich ein Parlamentarier sicher.

Seit Tiefensee im Herbst 2005 den Posten an der Invalidenstraße übernommen hat, will ihm nicht mehr viel gelingen. Dabei war die Karriere des 52-Jährigen bis dato bemerkenswert: Studium der Elektronik, 1979 Ingenieur, 1992 Bildungsdezernent in Leipzig, 1998 Oberbürgermeister. An der Pleiße erwarb er sich einen legendären Ruf, die Ansiedlungen von BMW, Porsche oder DHL wurden ihm zugeschrieben, die Wahlergebnisse waren traumhaft. Tiefensee, eloquent, charmant, ohne politischen Makel, galt als Wunderkind des Ostens. So einen wollte Gerhard Schröder 2002 für sein Kabinett. Doch Tiefensee lehnte ab, nach langem Zögern. Leipzig sei ihm wichtiger, verkündete er und stürzte sich in die Olympia-Bewerbung für die Spiele 2012. Nach seinem Cellosolo mit „Dona nobis pacem“, mit Bildern vom Fall der Mauer im Hintergrund, war die Jury gerührt und servierte Städte wie Hamburg und Stuttgart ab.

Das war vor vier Jahren. Doch jetzt droht der Virtuose das wichtigste Stück zu vergeigen. Die Ministerien für Wirtschaft, Verbraucherschutz und Inneres lehnen den Gesetzentwurf zur Bahnprivatisierung aus Tiefensees Haus als verfassungswidrig ab. Hier könnte man sagen, die Unionsminister in der Regierung machen Front gegen einen SPD-Kollegen. CDU und CSU haben andere ordnungspolitische Vorstellungen. Aber sogar das Justizressort von Tiefensees Parteigenossin Brigitte Zypries sieht kaum Chancen, dass dem Minister beim Gesetz das Kunststück gelingt, alle Gegensätze auszutarieren.

Ob Bundespräsident Horst Köhler unter dieses Gesetz seine Unterschrift setzt, ist also mehr als fraglich. Ein Börsengang des letzten großen Staatskonzerns noch in dieser Wahlperiode wäre dann kaum mehr möglich. Schon einmal scheiterte ein Werk des Verkehrsministeriums an Verfassungsbedenken des Bundespräsidialamts – bei der Privatisierung der Flugsicherung. Tiefensee ficht das nicht an. „Der will mit dem Kopf durch die Wand“, sagt ein Abgeordneter.

Dabei lief der Prozess der Privatisierung bislang wenig glücklich. Von Anfang an stand Tiefensee im Ruf, der verlängerte Arm von Bahnchef Hartmut Mehdorn zu sein. Der will unbedingt das Schienennetz behalten, obwohl viele Fachleute davon abraten. Noch während im vergangenen Jahr die Beratungen der Bundestags-Verkehrsexperten über die Art und Weise des Börsengangs liefen, preschte Tiefensee vor. „Die Würfel sind gefallen für das integrierte Modell“, verkündete er urplötzlich per Zeitungsinterview. Damit machte er sich keine Freunde in den Fraktionen. Denn viele in der Union, aber auch in der SPD, bangen um Gleise in ihren Wahlkreisen, Arbeitsplätze oder auch den Wettbewerb. Nur ein Formelkompromiss überdeckte im vergangenen November den Riss quer durch die Fraktionen: Der Bund sollte das Netz behalten, die Bahn es aber nutzen und in ihre Bilanz aufnehmen dürfen. Schon damals zweifelten viele an der Umsetzbarkeit. Nun bricht der mühsam zugekleisterte Riss wieder auf. „Da sind aber auch viele andere Interessen aus der Wirtschaft am Werk“, argwöhnt ein Gewerkschafter. Gleichwohl gilt Tiefensee als der Schuldige.

Ehemalige Weggefährten glauben, die Berliner Bühne sei eine Nummer zu groß für den Sohn eines Kapellmeisters. „In Leipzig konnte man vieles beim Vier-Augen-Gespräch auf dem Marktplatz regeln“, sagt einer. „Die Hauptstadt ist komplizierter.“ Vielen seiner Aussagen mangele es an Substanz, murren Lobbyisten.

Ein richtiges Thema, mit dem er glänzen kann, hat er bislang nicht gefunden. Neubau des Berliner Schlosses, Aufbau Ost, Liberalisierung des Luftverkehrs – vieles blieb blass. Für die Schiene ist zudem dringend mehr Geld nötig – sonst stößt das Exportwachstum der Unternehmen bald an Grenzen, warnen hohe Bahn-Manager. Doch trotz Tiefensees guter Drähte ins Kanzleramt sieht es noch nicht nach einem Geldsegen für sein Ressort aus. Dafür macht der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück Druck auf seinen Kabinettskollegen, dass alles schnell klappt mit dem Bahn-Börsengang, weil er sich Geld für die Staatskasse erhofft.

Die Ungeduld wächst auch in der SPD-Fraktion. „Ende Mai will ich einen praktikablen Gesetzentwurf sehen“, drängt Uwe Beckmeyer, der verkehrspolitische Sprecher. Sonst verschiebe sich der Zeitplan für die Bahn-Privatisierung immer weiter nach hinten. In der Union hat man da kaum noch Hoffnungen. Verkehrsexperte Hans-Peter Friedrich sieht nicht, wie im Kabinett eine schnelle Einigung herbeigeführt werden könnte.

Offiziell infrage stellen will Tiefensee in der SPD noch niemand. Das mag aber auch daran liegen, dass es kaum andere für den Aufbau-Ost-Posten gibt. Aber auch aus der Union wird nur der Gesetzentwurf angegriffen, nicht die Person.

Den Minister selbst rührt die Kritik an seiner Arbeit nicht an. „Ich bin zuversichtlich, dass wir das bis zum Sommer schaffen“, sagt er lächelnd. „Das ist die Aufgabe, die ich mir gestellt habe.“

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