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Wirtschaft: Der Tag des starken Euro wird kommen

LONDON .Stellen Sie sich vor, Sie hätten gerade ein neues Auto gekauft und als Sie vom Händler wegfahren wollen, merken Sie, daß es einen Platten hat und der Tank leer ist.

LONDON .Stellen Sie sich vor, Sie hätten gerade ein neues Auto gekauft und als Sie vom Händler wegfahren wollen, merken Sie, daß es einen Platten hat und der Tank leer ist.Der Euro, Europas neue, 16 Wochen junge Währung, ist in seinem kurzen Leben gegenüber dem Dollar um nahezu zehn Prozent gefallen.Die Experten waren sich einig: mit der vereinten Wirtschaftskraft von elf Nationen und einer neuen Zentralbank, die so unabhängig ist wie die Deutsche Bundesbank, konnte der Euro gar nicht verlieren.Große Dollaraktionäre würden eiligst große Teile ihrer Reserven in die neue Währung umwandeln.Der Euro, versprachen die Experten, würde mit dem Dollar um die Vormachtstellung beim Handel und finanziellen Transaktionen konkurrieren.Die europäische Wirtschaft werde alsbald boomen und ihre Unternehmen wettbewerbsfähiger werden.

Wie schnell sich das Bild ändern kann.Statt der Liebling der Welt zu werden, ist der Euro auf die Nase gefallen; Wirtschaftsexperten stufen die Wachstumsaussichten in Europa immer niedriger ein; einige Anlageverwalter äußern den Verdacht, daß die neue Europäische Zentralbank (EZB) vielleicht doch nicht so unabhängig und frei von politischem Druck ist, wie anfangs angekündigt; und die Aktienmärkte in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) waren - trotz den starken Gewinnen der letzten Jahre - zuletzt bestenfalls wackelig.Der Euro war eine "Phantasie, die auf etwas beruhte, das von den zugrundeliegenden Wirtschaften losgelöst war", sagt George Magnus, Wirtschaftsexperte bei Warburg Dillon Read in London."Er wurde über Bestand verkauft und wir im Bereich der Finanzdienstleistungen tragen dafür die Verantwortung.Ich denke, wir haben die wirtschaftlichen Grundlagen in Europa verkannt." Stephen Lewis, Wirtschaftsexperte bei der Monument Derivatives Ltd.in London, meint, wenn sich die schlechte Meinung des Marktes über den Euro nicht verbessere, sei das Risiko groß, daß von der Währung auf die wirtschaftliche Situation geschlossen werde - wie in den 70er-Jahren, als der schwache Dollar Symbol für die "hoffnungslose" amerikanische Wirtschaft wurde.Lewis bemerkt: "Es besteht in der europäischen Wirtschaft kein Mangel an Faktoren, die sich negativ für den Euro auswirken können: strenge Arbeitsgesetze, sozialistische politische Vorlieben und wachsende Probleme mit den Rentensystemen." Er sagt, der Euro könne "auf jeden Fall bis Ende des Quartals auf das Niveau des Dollar sinken." Die EWWU und ihre neue Währung haben aber auch Verteidiger."Die Einführung des Euro ist von äußerster Wichtigkeit", sagt der französische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn."Nach einer so kurzen Zeit kann man noch keine Schlüsse ziehen."

Ein schwacher Euro schneidet einige Wege ab.Er hat natürlich den europäischen Stolz verletzt.Er könnte außerdem Investoren außerhalb der EWWU davon abhalten, Geld in auf Euro lautende Anlagen zu stecken, weil sie weniger wert sein werden, wenn sie in Dollar, Pfund und Yen umgewandelt werden.Eine schwache Währung trägt für gewöhnlich auch zu inflationärem Druck bei - das ist derzeit aber kein Problem in Europa.Die gute Seite ist, daß ein schwacher Euro Produkte aus Deutschland, Frankreich, Italien und anderen Ländern der Währungsgemeinschaft auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger machen könnte.Sogar einige Gegner des Euro räumen ein, daß der Traum vom starken Euro noch nicht ausgeträumt ist.Dennoch hat der Euro für viele - insbesondere für die britischen, amerikanischen, japanischen und andere asiatische Anleger - einen schlechten Nachgeschmack hinterlassen.

"Der erste Eindruck ist sehr wichtig - ob es sich nun um eine Verabredung, um das erste geschäftliche Treffen oder um eine Währung handelt", meint Kirit Shah, Marktstratege am Sanwa International in London."Es wird sehr schwer für den Euro, den verlorenen Boden wieder gutzumachen, bevor der Konjunkturzyklus sich dreht oder es in den Vereinigten Staaten zu einem Börsenkrach kommt." Aus ökonomischer Sicht wird der Euro von dem langsamen Wirtschaftswachstum in Europa und der gleichzeitig boomenden amerikanischen Wirtschaft untergraben.Der sich vergrößernde Zinsunterschied macht den Dollar für internationale Anleger attraktiver.Auch der Kosovo-Konflikt trägt dazu bei.Er schmälert nicht nur das Ansehen des Euro, er droht auch einen großen Teil des Haushaltsbudgets zu verschlingen.Die Skeptiker führen weiter an, daß Europa unter einem Führungsvakuum leide.Seine politische Struktur sei deutlich schwächer als die der USA.Sie weisen in diesem Zusammenhang auf die Korruptionsvorwürfe gegen die Europäische Kommission, deren kürzlichen kollektiven Rücktritt und auch den Rücktritt des früheren deutschen Finanzministers Oskar Lafontaines hin.Wenngleich der Abgang des "roten Oskars" in Finanzkreisen überwiegend begrüßt wurde, verunsicherten sowohl der Rücktritt der Kommission als auch der Rücktritt Lafontaines die internationalen Anleger.

Einige glauben, die einzige vertrauenswürdige Institution sei die Europäische Zentralbank (EZB).Gleichzeitig heben sie aber hervor, daß keine Nation, kein Zusammenschluß von Nationen oder kein Unternehmen auf dem Fundament einer Geldinstitution gegründet werden könne.Einige Anleger zweifeln sogar die Vertrauenswürdigkeit der EZB an, nachdem diese nun eine unerwartet hohe Senkung der Zinsen veranlaßt hat.Auch der Balkankrieg birgt Risiken für den Euro."Wenn dieser Konflikt zu einem Vietnam für Europa wird, wird das erhebliche Auswirkungen haben: es wird schlecht sein für die Rentenmärkte, schlecht für die Aktienmärkte und schlecht für den Euro", meint Shah.Auch wenn die Kosten für die militärischen Operationen und die Sorge für die zahlreichen Flüchtlinge aus dem Kosovo alle NATO-Mitgliedsstaaten betreffen, wird der Krieg für die zurückgehenden Wirtschaften in Europa größere Konsequenzen als für die in den USA haben, eben weil sich das Wirtschaftswachstum in Europa verlangsamt."Eine Verschlechterung des Konfliktes hätte zweifellos negative Auswirkungen auf den Euro", sagt Emanuel Ferry, Wirtschaftsexperte bei BNP in Paris."Die Anleger könnten auf Sicherheit setzen und auf Dollar lautende Vermögenswerte gegenüber dem Euro bevorzugen."

Dennoch glauben viele, daß der Euro es schaffen wird, sich von dem Sturzflug zu erholen.Sie weisen darauf hin, daß auch der Dollar verwundbar ist, insbesondere durch einen starken Fall an der Wall Street, das pralle Leistungsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten, das vom Ausland finanziert werden muß, und einer schließlichen Verlangsamung des amerikanischen Wirtschaftswachstums und einer entsprechenden Zunahme des europäischen Wachstums."Der Tag des Euro wird kommen", meint Magnus, der voraussagt, daß die Kombination aus dem schwachen europäischen Industriesektor und einer rückläufigen Inflation die EZB zwingen wird, die Zinssätze weiter zu senken, während die Haushaltsdefizite größer werden.

Dennoch glauben viele Anlageberater, daß der Euro eine Verschmelzung von starken und schwachen Währungen sei.Simon Hildreth, Direktor bei der SSB Citi Asset Management Group, weist darauf hin, wie die DM gelitten habe, als sie nach der Wiedervereinigung 1990 mit der früheren ostdeutschen Währung zusammengelegt worden sei."Man kann nicht starke Währungen mit schwachen mischen und erwarten, daß dabei eine starke Währung herauskommt."

MICHAEL R.SESIT, CHARLES FLEMMING

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