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Vertritt die Waldbesitzer: Philipp Freiherr von und zu Guttenberg.

© Thilo Rückeis

Der Wald: Lieb und teuer

Der Wald kann vieles: Er dient der Erholung, als Kapitalanlage, schützt das Klima – und liefert Holz. Wie lange noch?

Wie nüchtern ein Todesurteil klingen kann. „Die ist hiebsreif“, sagt der Mann und schaut den hochgewachsenen Baum prüfend an. Seit gut 200 Jahren steht die Eiche an dieser Stelle, jetzt soll sie dem jungen Ahorn Platz machen. Doch die Eiche hat Glück. Sie steht im Berliner Grunewald, und hier hat Philipp Freiherr von und zu Guttenberg nichts zu sagen. In der Steiermark und in Franken, wo er seine Wälder hat, wäre das anders. Aber hier in Berlin wird die Eiche noch ein wenig weiterwachsen dürfen, bevor sie im Sägewerk landet.

Es ist ein kalter Herbstmorgen. Nebel liegt über dem Wald, die Sonne kämpft tapfer, aber vergeblich gegen den Dunst. Dennoch erscheint der Freiherr zum verabredeten Waldspaziergang im Blazer. „Hab meine Jacke vergessen“, sagt er, das mache aber nichts. Und weil er anschließend noch Termine hat, spaziert er nun in Jackett, Hemd, Krawatte, Einstecktuch und feinen Halbschuhen durch den Wald – zur Verblüffung der Hundebesitzer, die sich gegen die Kälte in dicke Outdoor-Jacken gewickelt haben. Und die sich fragen, warum ihnen der Mann irgendwie bekannt vorkommt.

Seit März 2010 spricht Philipp zu Guttenberg für die deutschen Waldbesitzer. Deren Verbände haben ihn zu ihrem Präsidenten gewählt, lang bevor die ersten Plagiatsvorwürfe gegen den großen Bruder, Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor, laut wurden. „KT“ lebt jetzt mit seiner Familie in den USA. Es gehe ihm gut, sagt Philipp. Man stehe sich „sehr nahe“, betont er, legt aber zugleich Wert darauf, dass beide immer schon ihre „eigenen Sachen gemacht“ haben. Und weil seine Sache die Forstwirtschaft ist, treffen wir uns zum Spaziergang vor Ort und reden über den Wald.

Der ist derzeit gefragt wie nie. Die Vereinten Nationen haben 2011 zum „Internationalen Jahr der Wälder“ gekürt. Ausgelöst durch den Kraftwerks-Gau in Japan ist 2011 aber auch zum Jahr der Energiewende geworden – statt Atomkraft setzt die Bundesregierung nun verstärkt auf erneuerbare Energien und damit auch auf Holz. 70 Prozent der erneuerbaren Energie kommt schon jetzt aus der Biomasse, 50 Prozent davon liefert das Holz. Tendenz steigend. Für die Waldbesitzer ist das eine gute Nachricht: „Die Nachfrage wird auf alle Fälle steigen“, glaubt zu Guttenberg.

Und jetzt auch noch die Euro-Krise. Aus Angst vor dem Kollaps der Finanzmärkte suchen immer mehr Menschen Beständigkeit und Sicherheit. Sie wollen Wald kaufen. Früher hätten sich mit diesem Thema insbesondere vermögende Familien beschäftigt, erzählt Dirk Meier Westhoff, Geschäftsführer der auf Land- und Forstgüter spezialisierten Maklerfirma Agrarboden aus Beckum. „Heute kommen auch Kaufinteressenten zu uns, die mit der Forstwirtschaft bisher nichts zu tun gehabt haben.“ Viele gehen leer aus: „Zur Zeit gibt es auf dem Markt viele Käufer, aber nur wenige Angebote“, berichtet Meier Westhoff. Am liebsten hätten die Leute Forste, die auch zur Jagd taugen. In Brandenburg braucht man dafür aber mindestens 150 zusammenhängende Hektar. Anschaffungen dieser Größenordnung bezahlt man nicht mehr aus der Portokasse. Zwischen 70 Cent und 1,50 Euro muss man im Westen für den Quadratmeter Wald auf den Tisch legen, im Osten sind es 30 bis 80 Cent. Früher war das billiger. 20 bis 30 Cent kostete der Quadratmeter Wald in Brandenburg vor zehn Jahren im Schnitt, heute sind es 40 bis 70 Cent, macht 400 000 bis 700 000 Euro für 100 Hektar – eine Fläche halb so groß wie der Berliner Tiergarten.

Zwei Millionen private Waldbesitzer gibt es in Deutschland, darunter die alten Adelshäuser derer zu Thurn und Taxis, Heinrich Fürst zu Fürstenberg oder eben die Familie von und zu Guttenberg. 4000 Hektar besitzt Philipp in der Steiermark, 1000 weitere in Franken. Das Land wird von Generation zu Generation weitergegeben. „Wenn ich morgen einen Baum pflanze, dann investiere ich Geld, dessen Erträge ich erst in 80 bis 100 Jahren bekomme“, erzählt der dreifache Familienvater. Wenn überhaupt. 200 Jahre darf eine Eiche wachsen, bis sie geschlagen wird, 130 Jahre eine Buche. Nadelbäume können dagegen schon nach 50 bis 80 Jahren gefällt werden. Außerdem ist ihr Holz in der Bauwirtschaft beliebt. Kein Wunder, dass noch immer viele Monokulturen von Fichten und Kiefern in deutschen Wäldern stehen. Die Länder arbeiten dagegen an – indem sie nach Sturmschäden finanzielle Hilfe nur dann leisten, wenn der Waldbesitzer Laubbäume pflanzt. Ein bis zwei Prozent Rendite macht Philipp zu Guttenberg mit dem Holzverkauf im Jahr. Damit eine Familie von der Holzernte leben kann, brauche man eine große Fläche. Ein Städter, der drei Mal im Jahr in den Wald geht, könne das nicht verstehen, sagt der Waldbesitzer und guckt streng.

Im Moment laufen die Geschäfte gut. Nach 20-jähriger Talfahrt gehen die Holzpreise nach oben. Rund 100 Euro bekommen die Waldbauern derzeit pro Kubikmeter Holz – damit könne man „kostendeckend arbeiten und die notwendigen Investitionen tätigen“, sagt zu Guttenberg. Andere sind euphorischer: „Holz war noch nie so teuer wie im Moment“, freut sich Waldbesitzer Markus Kreusch, der im Internet unter www.wald-prinz.de Tipps für den Erwerb und die Pflege von Wald gibt. Selbst Rolf Meier macht jetzt Geschäfte. Er gehört zu den vielen Waldbesitzern, die nur kleine Parzellen haben. Eigentlich ist Meier Verwaltungsmensch, den Wald hat er von seinen Eltern geerbt. Einen Hektar besitzt er im Teutoburger Wald in der Nähe von Detmold. Zu wenig, um wirklich Geld damit zu verdienen. 400 Euro hat ihm der Wald vor zwei Jahren gebracht, erinnert sich der 63-Jährige. Doch die Zeiten sind jetzt besser. Auf Geheiß des Försters muss Meier nun 80 Bäume fällen lassen, „dieses Mal behalte ich mehr übrig“, glaubt er.

Rund sieben Milliarden Bäume stehen in unseren Wäldern, umgerechnet 85 pro Bürger. Noch wird das meiste Holz zu Möbeln oder Papier verarbeitet, doch die energetische Nutzung nimmt zu. Mehr als 40 Prozent des Holzes werden bereits heute in Kraftwerken oder in Pellet-Heizungen verfeuert. Auch die großen Energieversorger sind interessiert. In Gropiusstadt steht ein Holz-Heizkraftwerk von RWE, das 20 000 Wohnungen in Neukölln mit Wärme versorgt, zehn weitere Biomasse-Kraftwerke, die mit Holz arbeiten, sind bei RWE in Planung. In den drei Berliner Kraftwerken Moabit, Reuter und Klingenberg hat Konkurrent Vattenfall der Kohle testweise Holz beigemischt und verbrannt. In Moabit wird das Projekt weiter betrieben, 40 Prozent der Kohle sollen durch Holz ersetzt werden. Der Clou: Weil Bäume CO2 speichern, während sie wachsen, ist der Einsatz von Holz klimaneutral. „Für die Menge Holz, die wir in unseren Kraftwerken verbrennen, brauchen wir daher keine Emissionszertifikate“, berichtet Vattenfall-Sprecher Hannes Stefan Hönemann.

Zwischen 60 und 100 Millionen Kubikmeter Holz werden jedes Jahr in deutschen Wäldern geschlagen. Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) will die Verwertung jetzt an der oberen Grenze festschreiben. Aigner, selbst Waldbesitzerin, hat in ihrer „Waldstrategie 2020“ festgelegt, dass jedes Jahr 100 Millionen Kubikmeter Holz aus dem Wald geholt werden sollen. Naturschützer sind empört. Sie weisen darauf hin, dass der Wald CO2 speichert und so einer der wichtigsten Klimaretter ist. Die Waldstrategie sei ein „reines Gefälligkeitspapier für die Holzindustrie“, schimpft Hubert Weiger, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz. Doch die Ministerin lässt das kalt. Der deutsche Wald wachse jedes Jahr um 120 Millionen Kubikmeter, gibt Aigner zu bedenken. Selbst wenn man die Verwertung erhöhe, würden die Reserven weiter wachsen.

Berlin ist der größte kommunale Waldbesitzer Deutschlands. 28 500 Hektar gehören dem Land, davon liegen aber 12 000 in Brandenburg. Fast der gesamte Berliner Wald ist in öffentlicher Hand. Zwar werden auch hier Bäume geschlagen und verkauft, doch mit Augenmaß. „Der Wald hat für uns einen unermesslichen Wert“, sagt Marc Franusch von der Berliner Forstverwaltung. Die Wälder in Spandau, Tegel, Köpenick und der Grunewald filtern Schadstoffe aus dem Wasser, sorgen für gesundes Trinkwasser, gute Luft und ein angenehmes Klima. Franusch freut sich, dass es den Bäumen seit dem heißen Sommer 2003 jetzt wieder besser geht. Nur die Eichen leiden, fast zwei Drittel sind krank.

Doch unsere wirkt gesund, der Eichenprozessionsspinner hat sie verschont, der Waldbesitzerverbandschef auch. Der Spaziergang ist zu Ende. Freiherr zu Guttenberg verlässt den Wald so, wie er gekommen ist. Die Krawatte sitzt perfekt, die Schuhe sind sauber. Adel verpflichtet.

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