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Wirtschaft: „Der WM-Titel wäre gut für den Aufschwung“

Herr Hundt, Fußball und Aufschwung – wie hängt das zusammen? Ein Zusammenhang zwischen Erfolg im Fußball und wirtschaftlicher Entwicklung ist historisch betrachtet nicht zu leugnen.

Herr Hundt, Fußball und Aufschwung – wie hängt das zusammen?

Ein Zusammenhang zwischen Erfolg im Fußball und wirtschaftlicher Entwicklung ist historisch betrachtet nicht zu leugnen. Die Weltmeisterschaft von 1954 zum Beispiel hatte für Deutschland eine weit über den sportlichen Erfolg hinausgehende Bedeutung.

Wir waren wieder wer.

Ja. Mit dem Ereignis kam Deutschland wieder ins internationale Rampenlicht. Das brachte mehr Selbstsicherheit für die Deutschen. Für andere Länder gilt das genau so. Südkoreas Präsident hat zum Beispiel schon nach dem Einzug ins Achtelfinale vom glücklichsten Tag in der Geschichte des Landes gesprochen. Die wichtigste japanische Wirtschaftszeitung verglich das gute Abschneiden des Gastgeberteams mit dem Aufstieg Japans zu einer führenden Industrienation.

Was passiert mit unserer Wirtschaft, wenn Völlers Team Weltmeister wird?

Der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft hätte heute nicht dieselbe Auswirkung wie 1954. Aber es würde einen positiven Impuls für die Stimmung in der Bevölkerung und auch für das Konsumverhalten geben.

Der DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun hat beobachtet, dass er von den Taxifahrern dieser Welt in den letzten Jahren kaum noch auf Fußball angesprochen wurde, weil die deutsche Mannschaft so schwach war. Brauns These: Wenn ein Land in die Mittelmäßigkeit zurückfalle, dann betreffe das viele Bereiche gleichzeitig.

Diese Einstellung teile ich, was Bildung und Innovationen anbelangt. Deutschland wird derzeit leider auch seiner wirtschaftlichen Verantwortung nicht mehr gerecht. Im Fußball sehe ich das etwas anders. Als erfolgreiche Fußballnation haben wir vieles unternommen, um andere Länder zu ertüchtigen. Heute haben wir ja die schöne Situation, dass auch in Afrika und Asien toller Fußball gespielt wird.

Die Globalisierung bewirkt also im Fußball – anders als in der Wirtschaft – eine Niveauangleichung?

Ja, auf hohem Niveau. Die europäischen Nationen haben Entwicklungshilfe geleistet. Afrikanische Länder haben heute englische, französische oder deutsche Trainer.

Ist es in Ordnung, dass die Nationalität des Trainers egal ist, aber die Spieler alle die Staatsangehörigkeit der betreffenden Nation haben müssen?

Die Nationalität muss Voraussetzung bleiben für den Länderwettstreit. Im Vereinsfußball besteht ein Problem: So sehr ich begrüße, wenn die Freizügigkeit in der globalisierten Welt verwirklicht wird, so sehr leidet doch die Identifikation der Bevölkerung mit der Mannschaft. In meiner Jugendzeit in den 50er Jahren stammten beim VFB Stuttgart alle elf Spieler aus Stuttgart und Umgebung. Heute haben wir Bulgaren, Brasilianer und andere Nationalitäten und kaum noch einen aus der Region.

Die Nationalelf bietet Ersatz.

Die Bedeutung der Nationalelf ist wieder gestiegen. Es gab Zeiten, in denen es für Fußballer nicht besonders reizvoll war, in der Nationalelf zu spielen. Das hatten wir auch schon Mitte der 80er Jahre, bevor Beckenbauer als Teamchef einsprang. Dies hängt stark von den handelnden Figuren ab. Völler ist ein Typ, der die Spieler und Massen anspricht.

Das Führungspersonal ist entscheidend für die Leistungsstärke der Mannschaft?

Leitfiguren oder Identifikationsfiguren sind sehr wichtig. Oliver Kahn ist zum Beispiel eine solche Identifikationsfigur, teilweise auch eine Reizfigur. Das braucht der Fußball.

Einer der wichtigsten gesellschaftlichen Trends ist die Individualisierung. Wie passt das mit dem Selbstverständnis der Nationalelf zusammen, die so gerne vom „der Star ist die Mannschaft" schwadroniert?

Im Fußball hat die Individualisierung insbesondere in den Vereinsmannschaften stattgefunden. Die Vereinsmannschaft spielt ihr Spiel, die Spieler duschen sich und dann geht jeder seinen Weg. Früher ging man hinterher in die Kneipe, hat den Erfolg gefeiert oder sich nach der Niederlage getröstet.

Das Team braucht Führungsspieler und einen Verband, der von Funktionären geleitet wird. Die deutsche Wirtschaft funktioniert als Verbändedemokratie, in der auch die Funktionäre großen Einfluss haben. Wie wichtig sind Hierarchien und Funktionäre für den Erfolg?

Beide sind wichtig, sie tragen zur gesellschaftlichen Akzeptanz und Attraktivität eines demokratischen Systems oder einer Sportart bei. Um beim Sport zu bleiben: In Österreich und der Schweiz hat der Fußball eine weit niedrigere gesellschaftliche Bedeutung als in Deutschland. Das hängt mit den Erfolgen und den handelnden Personen zusammen.

Die deutsche Verbandsdemokratie ist nicht gerade auf einen ständigen Reformprozess angelegt. In der deutschen Wirtschaft fehlen Fachkräfte, weil die Aus- und Weiterbildung vernachlässigt wurde. Analog dazu wird seit Jahren die Nachwuchsarbeit des Fußballverbandes kritisiert.

Die Defizite sind richtig beschrieben, aber sie sind vor allem auch auf politische Fehlleistungen zurückzuführen. Unser schwaches Wirtschaftswachstum ist die Folge einer unzulänglichen Politik seit vielen Jahrzehnten.

Die deutsche Wirtschaft bekommt vom Kanzler eine Green Card für ausländische Computerfachleute und die deutschen Fußballclubs erhalten sich mit ausländischen Kickern die Wettbewerbsfähigkeit.

Ich leugne ja nicht, dass es in der Wirtschaft genauso wie im Fußball auch Defizite gibt. Das hängt aber vor allem damit zusammen, dass das Interesse des Nachwuchses nicht ausreichend groß ist.

Die Jungen sind selbst schuld, wenn sie keine Chance kriegen?

In den Vereinen haben wir ein zunehmendes Defizit an deutschen Jugendlichen. Ausländische Kinder und Jugendliche interessieren sich mehr für Fußball.

Wie kommt das?

Die Deutschen sind häufig materiell besser gestellt, haben zu Hause einen Computer und beschäftigen sich mehr mit Computerspielen oder dem Internet. Materiell weniger gut gestellte Ausländerkinder gehen auf den Bolzplatz und spielen Fußball. Inzwischen haben wir eine große Anzahl von Spielern auch im Profibereich, die Ausländer waren und einen deutschen Pass besitzen. Das ist gut und bereichert den Fußball.

Müsste man dies nicht stärker herausstellen, zum Beispiel bei der Zuwanderungsdebatte?

Auf jeden Fall. Oliver Neuville ist Sohn einer Italienerin und eines Deutschen, der im Tessin aufgewachsen ist. Mit Asamoah spielt erstmals ein Schwarzer für Deutschland – eine fantastische Entwicklung.

In vier Jahren feiern wir die WM im eigenen Land. Wie werden wir uns der Welt zeigen?

Wir müssen uns als ein international aufgeschlossenes Land mit großer Gastfreundschaft darstellen, das sehr sportorientiert ist.

Müssen wir auch gewinnen?

Das ist sekundär. Wenn wir dieses Jahr Weltmeister werden, müssen wir 2006 nicht schon wieder vorne stehen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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