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Deutsche Bahn: Alles auf eine Karte

Die Deutsche Bahn soll für das S-Bahn-Chaos Verantwortung übernehmen. Wie reagiert der Staatskonzern?

Das Chaos im Nahverkehr wird für die Berliner offenbar zur Normalität. Eine rasche Besserung der Situation werde es nicht geben, sagte ein Bahn-Sprecher. Zwar könne das Unternehmen nun 163 Doppelwaggons einsetzen, ein paar mehr als am Dienstag. Wann das gewohnte Angebot wieder in Kraft treten werde, sei aber derzeit unklar. Den Fahrgästen bleibt keine andere Möglichkeit, als auf U-Bahn, Bus, Fahrrad oder Auto umzusteigen.

Wie reagiert die Deutsche Bahn AG auf das Chaos?

Für den Staatskonzern ist die Situation in Berliner ein Desaster – und das nicht nur, weil sie für Reparaturen und Strafen Millionen zahlen muss. Die Bahn will auch in anderen Städten und Regionen Verkehrsaufträge gewinnen – „da ist Berlin die schlechteste Werbung, die man sich denken kann“, spottete ein Branchenkenner. Ohnehin hat die Bahn zuletzt nicht so viele Verkehrsaufträge gewonnen wie sonst üblich. Auch der Imageverlust dürfte dem ohnehin angeschlagenen Unternehmen zu schaffen machen. Die Bahn gibt sich reumütig und wirbt um Vertrauen. „Wir machen keine Abstriche bei der Sicherheit“, unterstrich ein Sprecher. Die Züge, die nun eingesetzt würden, seien „definitiv sicher“.

Im Unternehmen hat derweil die Suche nach organisatorischen Fehlern begonnen. Das Management hüllte sich zwar in Schweigen. Der Konzern-Aufsichtsrat bestellte am Mittwoch aber Volker Kefer zum Vorstand des neu geschaffenen Technikressorts. Damit gebe die Bahn die „richtige Antwort auf bestehende Herausforderungen“, erklärte Konzernchef Rüdiger Grube vieldeutig.

In Bahn-Kreisen hieß es, man werde prüfen, ob man bei der S-Bahn weitere personelle Konsequenzen ziehen müsse oder Entschädigungsforderungen stellen werde. Anfang Juli hatte der Konzern bereits die vierköpfige Führung um Tobias Heinemann ausgetauscht. Unklar ist, was aus den Managern wird. Ein Bahn-Sprecher konnte nicht sagen, ob sie beurlaubt oder weiter für die Bahn tätig sind.

Klar ist allein, dass Ulrich Thon, der frühere Technikchef der S-Bahn, mittlerweile für die Regionalverkehrssparte DB Regio in Frankfurt am Main arbeitet. Und das, „obwohl durch seine rigiden Sparmaßnahmen zu Jahresbeginn nachweislich Hunderte von Zügen wegen eingefrorener Fahrsperren ausfielen“, wie Claus Weselsky, der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, bemängelte. Fragen müsse man auch nach Aufsichtsratschef Hermann Graf von der Schulenburg. Dass er die S-Bahn kontrolliere, sei „nicht zu bemerken“. Die Bahn müsse nun „die Verantwortlichen benennen und zur Rechenschaft ziehen“, verlangte Weselsky. Bahn-Insider halten weitergehende Schritte für nötig. „Da muss eine ganz andere Kultur einziehen, man muss den Laden komplett umgraben“, hieß es in der Zentrale.


Ist wirklich der Sparkurs schuld?

In den vergangenen Jahren hat die S-Bahn viele Mitarbeiter abgebaut, Werkstätten geschlossen und Waggons verschrottet – unter diesem Sparzwang habe nun auch die Sicherheit gelitten, kritisieren Politik und Gewerkschaften. Schon vor Jahren, als sich die Bahn auf das Ziel Börsengang ausrichtete, hatte sie ihrer Tochterfirma S-Bahn enorme Anstrengungen verordnet. Das geht etwa aus der Mittelfrist-Planung hervor, die der Konzernaufsichtsrat Ende 2002 beschloss und die dieser Zeitung vorliegt. Damals war geplant, die Nettoinvestitionen von knapp 148 bis 2007 auf nur noch 20 Millionen Euro herunterzufahren. 2005 erneuerte das Aufsichtsgremium die Planung – demnach sollten die Investitionen bis 2010 auf nur noch drei Millionen Euro sinken. Der Gewinn sollte sich zwischen 2002 und 2010 dagegen enorm erhöhen. 2002 waren es noch gut zwölf Millionen Euro, bis 2007 waren knapp 68 Millionen vorgesehen. 2010 sollen es dann mehr als 125 Millionen Euro sein. Die Kapitalrendite sollte sich ähnlich explosiv entwickeln.

Branchenkennern zufolge wurde beim S-Bahn-Betrieb in anderen Städten auch gespart – aber nicht so heftig wie in der Hauptstadt. Aus historischen Gründen war die S-Bahn hier zudem relativ gut ausgestattet. Die Gewerkschaft Transnet forderte, die Instandhaltung neu zu organisieren. „Nach den gesamten Schwierigkeiten zeigt sich, dass der Schlüssel der Probleme im Abbau von Werkstattkapazitäten liegt“, befand Vorstand Reiner Bieck.

Die Bahn will dagegen nichts davon wissen, dass der Sparkurs schuld an allen Problemen der vergangenen Monate sei. Die Zugausfälle im Juli, als ein Rad gebrochen war, gingen zurück auf „falsch konstruierte Bauteile“, erklärte Bahn-Personenverkehrschef Ulrich Homburg kürzlich. „Dagegen hilft keine Instandhaltung, sondern nur besseres Material.“ Damit schiebt er den Schwarzen Peter dem S-Bahn-Hersteller Bombardier zu. Die neuen Probleme mit den Bremszylindern seien indes auf Versäumnisse innerhalb der Bahn zurückzuführen.

Gibt es auch bei anderen Zügen und Strecken Sicherheitsmängel?

Die Bahn hatte in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe technischer Probleme. Alles fing an mit dem Bruch einer ICE-Achse im Juli 2008 in Köln. Daraufhin verdonnerte die Aufsichtsbehörde, das Eisenbahn-Bundesamt, den Konzern zu häufigeren Überprüfungen der Achsen. Ein Chaos im Fernverkehr aufgrund fehlender Züge war die Folge. In den darauffolgenden Monaten fanden sich weitere Fehler bei Schnellzügen, die Bahn ringt seither mit der Industrie um die Frage, wer für den Schaden aufkommt. Denn womöglich müssen die Achsen sämtlicher ICE-Züge ausgetauscht werden. Ganz andere Probleme ereilten die Bahn in diesem Sommer: Gleich drei ICE mit mehreren hundert Reisenden mussten geräumt werden, weil Rauch aus den Triebköpfen quoll. Das Eisenbahn-Bundesamt hat nach eigener Beobachtung aber keine Hinweise, dass auch in anderen Sparten Züge nicht mehr die Sicherheitsvorschriften erfüllen. Allerdings gab es auch beim Regional- und beim Fernverkehr in den Instandhaltungswerken einen Sparkurs. So baute der Konzern auch deshalb zahlreiche Stellen ab, weil er weitaus weniger unterschiedliche Zugtypen benutzt als früher.


Wie verhält sich die Bundespolitik?

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) übte über seinen Staatssekretär Achim Großmann Druck auf das Unternehmen aus. Großmann sitzt im Aufsichtsrat, der am Mittwoch tagte. Die Bürger wollten wissen, wann in Berlin „wieder Zustände herrschen, die der westlichen Zivilisation angemessen sind – zumindest im Verkehr“, sagte Tiefensees Sprecher. Auch der verkehrspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Horst Friedrich, kritisierte, die Bahn habe ihre Monopolstellung in Berlin „schamlos ausgenutzt“. Das Problem sei, dass sich das Staatsunternehmen nicht genug am Markt orientiere.

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