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Die vierte Generation des ICE soll das Bahn-Reisen komfortabler machen.

© dpa

Deutsche Bahn: Bahn sucht Zukunftsstrategie

Mehr Passagiere, aber weniger Gewinn: Im Personenverkehr läuft es nicht rund für die Bahn. Und jetzt droht auch noch neuer Ärger um Stuttgart 21.

Berlin - Kaum ein Tag vergeht, an dem die Deutsche Bahn ihren Kunden nicht etwas Neues bietet. Allein in den vergangenen zwei Wochen: ein größeres Angebot im ICE-Internetportal, eine neue Zug-Simulator-App, eine bunt gestaltete Regional-Lok und gleich zwei Jubiläen – zehn Jahre Berliner Hauptbahnhof, 25 Jahre ICE.

Falsche Wagenreihung, defekte Kaffeemaschinen, Verspätungen und Zugausfälle

Näher am Kunden, komfortabler und pünktlicher will die Bahn werden. So predigt es Vorstandschef Rüdiger Grube, zuletzt am vergangenen Donnerstag beim ICE-Festakt in der Berliner Bahn-Werkstatt in Grunewald. „Zukunft Bahn“, Grubes Umbau- und Modernisierungsprogramm, soll Schluss machen mit dem Ärger der Reisenden über falsche Wagenreihung, defekte Kaffeemaschinen, Verspätungen und Zugausfälle. Wer es genau wissen will, kann sich sogar per WhatsApp über die Fortschritte auf dem Laufenden halten. Der Konzern verspricht „ein bis zwei Meldungen pro Woche“.

Nicht dazu gehörten die jüngsten Geschäftszahlen, die vor dem Wochenende durchsickerten. Sie zeigen, dass die Bahn, die 2015 einen Verlust von 1,3 Milliarden Euro machte, noch kein Rezept gegen den Abwärtstrend gefunden hat. Im Gegenteil: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat der Konzern nach Tagesspiegel-Informationen zwischen Januar und März 160 Millionen Euro weniger Umsatz (9,75 Milliarden Euro) und rund 50 Millionen Euro weniger Gewinn vor Zinsen und Steuern (384 Millionen Euro) erwirtschaftet. Sowohl die Güterverkehrssparte DB Cargo als auch der Personenfernverkehr verdienten im Vorjahresvergleich weniger – je 33 Millionen Euro.

Stuttgart 21 soll voraussichtlich rund eine halbe Milliarde Euro mehr kosten

Nun ist der Vorstand zu weiteren Einschnitten gezwungen. Neben den Kürzungsplänen im krisengeschüttelten Schienengüterverkehr stehen nach Reuters-Informationen auch ein Viertel der rund 100 Instandhaltungswerke vor dem Aus. Ferner sollen fast 200 Lokomotiven an den japanischen Toshiba-Konzern verkauft werden, der ins Geschäft mit dem Lok-Verleih in Europa einsteigen will.

Hinzu kommen neue Probleme beim umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21, das voraussichtlich rund eine halbe Milliarde Euro mehr kosten soll – doch niemand will diese Zusatzkosten bezahlen. Das Land Baden-Württemberg und der Bund betonten am Wochenende, dass die Bahn und Projektpartner die Mehrkosten tragen sollen. Zuvor war bekannt geworden, dass das Projekt wohl erst zwei Jahre später fertig wird. Auch der finanzielle Puffer ist fast aufgebraucht.

„Über die mageren Quartalszahlen wird zu reden sein“

Stuttgart 21 wird deshalb auch Thema sein, wenn sich der Aufsichtsrat in dieser und in der kommenden Woche mit der Zukunft der Bahn beschäftigen. Auf der Strategiesitzung am Mittwoch wird zunächst der Vorstand erwartet. Er soll dem Gremium erklären, wie es mit dem Güterverkehr weitergeht. Erwartet werden insbesondere Erläuterungen, wie sich die geplante Schließung von bundesweit 215 (von 1500) Verladestationen mit der Wachstumsstrategie des Unternehmens verträgt. „Aber auch der Personenverkehr ist nicht aus der Schusslinie“, sagte ein Aufsichtsratsmitglied dem Tagesspiegel. „Über die mageren Quartalszahlen wird zu reden sein.“

Eine Woche später kommen die 20 Aufsichtsräte erneut zu ihrer regulären Sitzung zusammen. Dauerthema auf der Tagesordnung: der Personenfernverkehr und die geplanten Teilverkäufe der Auslandstöchter Arriva und Schenker. Letzteres soll – frühestens 2017 und 2018 – Geld in die Kassen des mit fast 20 Milliarden Euro verschuldeten Konzerns spülen.

Mehr Kunden, aber Umsatz und Gewinn liegen unter Plan

Im Personenfernverkehr kämpft die Bahn mit hausgemachten Problemen (Pünktlichkeit, Baustellen, Service) und widrigen Wettbewerbsbedingungen (Fernbusse, Billigflieger, Spritpreise). Zwar ist die Zahl der Fahrgäste von Januar bis März nach Tagesspiegel-Informationen auf 32 Millionen gestiegen – ein Plus zum Vorjahr von zwei Millionen –, Umsatz und Gewinn liegen aber unter Plan. Dies dürfte an höheren Investitionen in Service und Qualität liegen, aber auch an vielen Billigtickets und Sonderangeboten. Diese hatten schon 2015 die Züge gefüllt, Umsatz und Ergebnis aber belastet.

Fragt man die Bahn nach Preissenkungen, heißt es „abwarten“. Im Herbst würden mögliche Anpassungen geprüft. Bis Ende 2016 sollen die Preise stabil bleiben. „Wir müssen die, die sonst nicht Zug fahren, in die Bahn holen“, heißt es im Unternehmen. So machte die Bahn auch im Wettbewerb mit den Fernbussen Boden gut. Die Zahl der Fernbuspassagiere ist nach einer Umfrage des Instituts YouGov im vergangenen Jahr kaum gestiegen.

„Man muss an der Qualität der Züge zweifeln“

Spielraum für mehr Qualität und wieder höhere Preise bieten neue Züge, die die Bahn bestellt hat. „Die Qualitätsoffensive kann aber erst richtig anlaufen, wenn die ICE 4-Züge da sind“, sagt Christian Böttger, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin. Das ist erst 2017 der Fall. Bis dahin gilt es, die älteren Waggons in Schuss zu halten. Aber: „Man muss an der Qualität der Züge zweifeln“, sagt Böttger und berichtet von einem Erlebnis, das dem Klischee entspricht: „Die Kaffeemaschine im ICE funktionierte – aber es waren keine Tassen mehr da.“ Henrik Mortsiefer

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