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Richard Lutz führt die Geschäfte derzeit kommissarisch. Nach dem Willen der Koalition soll er das künftig dauerhaft tun.

© imago/Stefan Zeitz

Deutsche Bahn: Was für Richard Lutz als Bahnchef spricht

Warum Finanzvorstand Richard Lutz die Bahn dauerhaft führen soll – und nicht Ronald Pofalla. Und geht BVG-Chefin Nikutta zur Bahn?

Während Bahnkunden mit Bummelzügen durch die Gegend zuckeln oder stundenlang auf ihren Anschluss warten, macht die Regierungskoalition bei der Besetzung des Chefpostens bei der Bahn Tempo. Das mag daran liegen, dass man sich auf die einfachste aller Lösungen geeinigt hat. Am Dienstag bestätigte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CDU), dass Bahn-Finanzvorstand Richard Lutz, der seit dem Weggang von Rüdiger Grube die Geschäfte bereits kommissarisch führt, dauerhaft an der Spitze bleiben soll. „Bahnchef“ soll nicht nur für wenige Monate, sondern für mehrere Jahre der erste Vorname des 52-Jährigen sein. Eine Überraschung.

Wer abgehängt ist

Für den Posten waren zuletzt weit schillerndere Namen genannt worden. Ronald Pofalla etwa, der einst vom Kanzleramt in den Staatskonzern wechselte und nun im Vorstand das wichtige Infrastrukturressort besetzt. Dem CDU-Politiker werden seit Langem Ambitionen auf das Chefamt nachgesagt. Wie es dazu kam, dass es Pofalla nun doch nicht wird, kursieren verschiedene Versionen. Eine besagt, dass Pofalla durchaus Chef werden wollte, sein Ziel aber nicht hat durchsetzen können.

Die andere Lesart geht so, dass Pofalla – politisch klug – selber erkannt habe, dass für die SPD im Wahljahr ein Bahnchef mit CDU-Parteibuch nicht akzeptabel ist. Zudem soll es auch Bedenken der Arbeitnehmervertreter gegeben haben. Pofalla soll daher selber den parteilosen Lutz ins Spiel gebracht haben.

Entscheidung im Eiltempo: Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU).
Entscheidung im Eiltempo: Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU).

© dpa

„Mit der Entscheidung für Lutz will sich die Bundesregierung möglichst lautlos über die Wahl retten und das Thema Bahn jetzt klein halten, damit sie dann in ein oder zwei Jahren Pofalla endlich an die Spitze setzen kann“, sagte die verkehrspolitische Sprecherin der Linken, Sabine Leidig, dem „Handelsblatt“. Nicht mehr die Rede ist vom Schweizer Bahnchef Andreas Meyer und dem Leiter der Siemens-Zugsparte, Jochen Eickholt, deren Namen ebenfalls in Zusammenhang mit der Grube-Nachfolge genannt worden waren.

Neue Vorstandsressorts

Glaubt man dem „Handelsblatt“, soll Lutz nicht nur Bahnchef werden, sondern auch Finanzvorstand bleiben. Ihm sollen jedoch zwei neue Vorstandsressorts und -mitglieder an die Seite gestellt werden. Ex-Siemens-Manager Siegfried Russwurm wird als Vorstand für Technik/Digitales gehandelt, BVG-Chefin Sigrid Nikutta als neue Chefin der Gütersparte. Erfahrung würde Nikutta als Ex-Leiterin des Cargo-Bereichs der Bahn in Polen durchaus mitbringen, allerdings ist der Güterbereich ein undankbares Feld. Zwar hätte die Managerin die Verantwortung für die Hälfte des Bahnumsatzes, also mehr als 20 Milliarden Euro, aber der Bereich ist seit Jahren defizitär und eine der großen Baustellen im Konzern.

Nikutta wollte sich am Dienstag zu ihren Zukunftsplänen nicht äußern. Nach Tagesspiegel-Informationen aus Aufsichtsratskreisen ist die BVG-Chefin aber für den Vorstandsposten angefragt worden. Neben ihrer Bahnerfahrung spricht auch ihr Geschlecht für sie: "Dobrindt will unbedingt eine Frau im Bahn-Vorstand", hieß es am Dienstag. Es wird erwartet, dass bis Samstag, wenn sich der Aufsichtsrat trifft, mehr Klarheit herrscht.

Die Bahn: 40 Milliarden Euro Umsatz, über 300.000 Beschäftigte weltweit.
Die Bahn: 40 Milliarden Euro Umsatz, über 300.000 Beschäftigte weltweit.

© imago/Westend61

Wie die Bahn dasteht

Seit dem Katastrophenjahr 2015, als die Bahn einen Milliardenverlust hinnehmen musste, hat sich das Unternehmen hochgearbeitet. Für 2016 vermeldete Grube im Januar dieses Jahres ein positives Betriebsergebnis. Vor Steuern und Zinsen verdiente der Konzern, der weltweit 300.000 Menschen beschäftigt, nach GrubesAngaben 1,8 Milliarden Euro. Allerdings sieht die Zahl besser aus, als die Lage wirklich ist. Im Fernverkehr jagen die Fernbusse dem Schienenunternehmen Kunden ab. Viele Plätze in den Zügen sind mit Reisenden besetzt, die nicht voll zahlen, sondern Schnäppchentickets haben.

Zwar sind die Züge mit einer Pünktlichkeitsquote von 78,9 Prozent berechenbarer geworden, das selbst gesteckte Ziel von 80 Prozent wird aber noch immer nicht erreicht. Um die Verschuldung zu begrenzen, erhält die Bahn vom Bund einen Zuschuss von einer Milliarde Euro. Zudem erlässt ihr die Politik Dividendenzahlungen an den Staat im Wert von 1,4 Milliarden Euro.

„Die Bahn muss weg von Großprojekten“, sagte Michael Cramer, verkehrspolitischer Experte der Grünen im Europaparlament, dem Tagesspiegel. Sie müsse Lücken im Schienennetz schließen und kundenfreundlicher werden. Dass es in den modernisierten ICE-3-Zügen keine Möglichkeit geben soll, Fahrräder mitzunehmen, hält Cramer für einen Skandal. Der Fahrgastverband Pro Bahn teilt die Kritik an der Bahn, sieht aber auch den Bund in der Pflicht. Der müsse mehr Geld in das Schienennetz investieren. „In der Schweiz wird pro Einwohner fünf Mal so viel in die Bahn investiert wie in Deutschland“, sagte Verbandssprecher Karl-Peter Naumann dem Tagesspiegel. Statt Sonntagsreden zu halten, müsse die Politik den Schienenverkehr ausbauen.

Wer ist Lutz?

Richard Lutz sei aber „ein guter Mann“, meint Naumann. „Er kennt die Bahn schon sehr lange und bewahrt stets die Ruhe.“ Für den Grünen-Verkehrspolitiker Oliver Krischer steht Lutz dagegen als Eigengewächs der Bahn für die „Verwaltung des Status quo“.

Der Pfälzer ist seit 1994 bei der Bahn in der Finanzabteilung, seit 2010 ist er Finanzvorstand. Schon sein Vater war bei der Bahn. Er arbeitete im Bahn-Ausbesserungswerk in Kaiserslautern. Obwohl auch Lutz wie Grube aus kleinen Verhältnissen kommt, hat er damit niemals kokettiert. Der designierte Bahnchef ist keiner, der ins Rampenlicht drängt. Doch das wird er in seinem Job kaum vermeiden können. Möglicherweise hilft ihm seine Vergangenheit als Schachspieler. Lutz war einer der besten Nachwuchsspieler in Deutschland. Züge im Voraus berechnen zu können, kann als Bahnchef nicht schaden.

Erst mal doch nicht Chef: Ronald Pofalla.
Erst mal doch nicht Chef: Ronald Pofalla.

© dpa

Wie es jetzt weitergeht

Dass Lutz es machen soll, haben nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa Verkehrsminister Dobrindt, Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD), Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (beide CDU) ausgetüftelt. Dobrindt will den Aufsichtsrat am Samstag offiziell informieren, bestätigte ein Ministeriumssprecher am Dienstag. Das Kontrollgremium soll der Personalie dann am Mittwoch nächster Woche – einen Tag vor der Jahrespressekonferenz der Bahn – zustimmen. Noch ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Mitglieder im Aufsichtsrat gegen die Personalvorschläge stimmen. Für Dobrindt wäre das ein massiver Gesichtsverlust.

Glaubt man dem „Handelsblatt“, war der Chef des Bahn-Aufsichtsrats, Utz-Hellmuth Felcht, an der Entscheidung über die Nachfolge an der Konzernspitze nicht beteiligt. Felcht gilt als angeschlagen, seitdem Ex-Bahnchef Grube im Januar aus Verärgerung über Probleme mit seiner Vertragsverlängerung den Vorstandsjob überraschend hingeworfen hatte. Felcht hatte selbst in den vergangenen Wochen als Wackelkandidat gegolten.

Allerdings dürfte ihm die neue Entwicklung in die Hände spielen. "Felcht sitzt stabiler, wenn Lutz Bahnchef wird", hieß es aus seinem Umfeld. Zwischen den beiden gebe es eine intakte Arbeitsbeziehung. Auch im Verkehrsministerium gebe es keine Indizien, dass Felcht abgelöst werden solle. Im Gegenteil: Dobrindt soll Felcht nach dem Grube-Rückzug signalisiert haben, dass er im Amt bleibe, solange er Verkehrsminister sei.

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