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Wirtschaft: Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter glaubt an den Aktienmarkt

Vor mehr als zwei Jahren, als der Dow Jones noch unterhalb der 7000-Punkte-Marke lag, sprach US-Notenbankchef Alan Greenspan bereits von irrationaler Übertreibung an den Aktienmärkten. Seither sind die Kurse - unter kräftigen Schwankungen - weiter geklettert.

Vor mehr als zwei Jahren, als der Dow Jones noch unterhalb der 7000-Punkte-Marke lag, sprach US-Notenbankchef Alan Greenspan bereits von irrationaler Übertreibung an den Aktienmärkten. Seither sind die Kurse - unter kräftigen Schwankungen - weiter geklettert. Die Kursgewinnverhältnisse haben sich von ihren historischen Normalmarken weit entfernt. Einige wenige Aktien, vor allem die Internetwerte, bewegten sich zeitweise sogar im völlig luftleeren Raum.

Europäische Aktien haben diese Kursbewegung mit vollzogen. Allerdings weniger ausgeprägt, weil die Wachstumsdynamik, jedenfalls in Kerneuropa, weit hinter der der USA zurückblieb. Und auch in Asien stiegen die Kurse nach den Schockwellen, die die asiatischen Börsen 1997/98 erschütterten, wieder deutlich.

Zwei Thesen werden gehandelt, die die Höhe der Aktienkurse rechtfertigen könnten: Einmal profunde Aussichten auf kräftige Gewinnsteigerungen und zum anderen die Aussicht auf vergleichsweise niedrige Zinsen. Wie steht es mit diesen beiden Hypothesen?

Es gibt Fachleute, die gern von der neuen Ära sprechen, von einer Zeit, in der den Unternehmen wieder mehr Raum gegeben wird und in der der verschärfte Wettbewerb die Inflationsgefahr entscheidend reduziert. Gewissermaßen als Folge der weltweiten Marktöffnung und der Produktivitätsschübe aufgrund der technologischen Revolution, nicht zuletzt des Internets. Bliebe die Inflation unter Kontrolle, oder - wie in Japan und China - gar die Deflation Realität, so wäre die Erwartung dauerhaft niedriger Zinsen gerechtfertigt. Vor einem Jahr habe ich diese Thesen voll unterschrieben. Heute sehe ich das nur noch eingeschränkt so. Offenkundig setzen sich auf den Rohstoffmärkten - und nicht nur beim Rohöl - Preissteigerungen durch. Auch die langfristigen Zinsen haben sich nach oben in Bewegung gesetzt.

Bislang haben die Zentralbanken zwar mit Maßnahmen gedroht, , aber sich nur mäßig in Bewegung gesetzt. Die Geldmarktzinsen wurden jedenfalls nur in den USA moderat erhöht. in Japan und Europa blieben sie auf historischen Tiefs.

Besteht nun aber für die Aktienmärkte eine Gefahr des Rückschlags, weil sich die Haltung der Zentralbanken bald ändert? Und: Besteht für die Aktienmärkte eine Gefahr, weil sich die günstigen Gewinnerwartungen als falsch herausstellen?

Zwar wächst die US-Wirtschaft nicht mehr so stürmisch wie bis zum Frühjahr dieses Jahres, aber die Kapazitätsengpässe sorgen für Kostensteigerungen und gefährden die Preisstabilität. Aufgrund dieser Sorge wird sich die US-amerikanische Notenbank spätestens zu Beginn des Jahres 2000 zu einer Zinserhöhung durchringen. Dann droht dem US-Aktienmarkt eine Abkühlung.

Wenn der Dow Jones Index absackt, sinken erfahrungsgemäß auch die europäischen Aktienkurse. Also: Ist der Crash nur eine Frage der Zeit? Ich glaube nicht. Während eine zeitweise Korrektur des Aktienkursniveaus durchaus möglich ist, erscheint ein Crash nicht wahrscheinlich. Dies liegt vor allem an der Fülle der noch immer verfügbaren Liquidität, die auf rentable(re) Anlage wartet, mehr noch aber an dem Mangel an Anlagealternativen zur Aktie.

Mit der Stabilisierung der Konjunktur werden die Aussichten auf Kursverluste an den Bondmärkten schiere Gewissheit. Entsprechend sind Rentenanlagen nur etwas für Investoren, die sich ihren Renditeappetit abgewöhnt haben: sie müssen bis zur Fälligkeit durchhalten und mit zwei Prozent in Yen, mit drei Prozent in Schweizerfranken, mit fünf Prozent in Euro und sechs Prozent in US-Dollar auf Dauer (und vor Steuer) zufrieden sein.

Die Volatilitäten, das heißt die ausgeprägten Schwankungen, an den Börsen in den Emerging Markets verschließen vielen Anlegern diese - vor Risikoberücksichtigung - besser verzinsliche Alternative. Und Immobilien sind derzeit - mit Ausnahmen weniger Länder - nicht wirklich attraktiv. So sind viele Anleger trotz ihrer Bedenken über das hohe Kursniveau am Aktienmarkt ohne echte Alternative zur Anlage in Dividendenpapieren. Deshalb dürften Kurskorrekturen - wie die der letzten Wochen - an den Aktienmärkten, vor allem aber in Europa, immer wieder Anlass zu Neuengagements an der Börse sein. Für europäische Aktienmärkte spricht nicht zuletzt, dass die Dollarstärke aufgrund des wachsenden Leistungsbilanzdefizits wohl zu Ende sein dürfte. Somit dürften die Aktienmärkte in dünner Luft weiter nach oben zittern, möglicherweise mit dem einen oder anderen reinigenden Gewitter, das vermutlich durch höhere US-Zinsen ausgelöst wird.

Norbert Walter

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