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Deutsche Bank: Das dunkle Erbe des Josef Ackermann

Zehn Jahre führte er das mächtigste Geldhaus der Republik – nun geht er. Unter Ackermann stieg die Deutsche Bank in die Weltliga auf. Doch ihr Ruf ist ruiniert, und viele Kunden klagen wegen Betrugs auf Milliarden von Dollar.

Es war die letzte Frage zur letzten Jahresbilanz, die Josef Ackermann als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank zu verantworten hatte. Und sie betraf das dunkelste Kapitel seiner Ära. „In den USA gibt es diverse anhängige Klagen, in denen der Deutschen Bank Betrug an ihren Kunden vorgeworfen wird. Haben Sie, hat die Deutsche Bank Anlass, sich dafür zu entschuldigen?“, fragte der WDR-Reporter Markus Schmidt zum Schluss der Pressekonferenz zum Geschäftsbericht 2011 Ende Februar in Frankfurt. Mehr als eine sarkastische Antwort war Ackermann das Thema nicht wert. „Alle, die Geld verloren haben, versuchen, einen Teil des Geldes zurückzubekommen“, erklärte er, gerade so, als gehöre der Vorwurf des Betrugs zum Geschäftsalltag. Ja, die Bank habe „in den USA viel Geld verdient“. Da seien die Klagen nun „der Preis, den wir zum Teil bezahlen müssen“. Im Übrigen setze sich die Bank zur Wehr, „wo wir das Gefühl haben, dass wir zu Unrecht beschuldigt werden, schauen wir mal, wie das weitergeht“, verkündete er gelassen.

Doch zu solcher Gelassenheit haben seine Aktionäre keinen Anlass. Nicht nur hat sich der Börsenwert der Bank seit 2006 fast halbiert. Wenn Ackermann Ende Mai seinen Posten abgibt, hinterlässt er auch ein juristisches Schlachtfeld: In Dutzenden von Prozessen sind die Bank und ihre Manager in den USA und Europa schwersten Vorwürfen ausgesetzt, sie müssen Entschädigungs- oder Vergleichszahlungen in Milliardenhöhe fürchten. Vier volle Seiten füllt die Aufzählung der Prozessrisiken im jüngsten Geschäftsbericht.

So rächt sich jetzt, dass Ackermann in den zehn Jahren an der Bankspitze radikal auf den Ausbau des Investmentbankings nach angelsächsischem Vorbild setzte und dabei moralische Kriterien für das Geschäft auf der Strecke blieben. Sein engster Partner war der indischstämmige Investmentbanker Anshu Jain, der nun die Nachfolge antritt. Dabei war es gerade Jain, der das Geschäft mit jenen komplexen Wertpapieren leitete, wegen der nun eine Flut von Klagen gegen die Bank läuft. Mit welch fragwürdigen Geschäftspraktiken Jains Leute dabei arbeiteten und wie zigtausend US-Bürger sowie die deutschen Steuerzahler dafür bluten müssen, dokumentiert nun ein Film des WDR, der am Montagabend in der ARD gesendet wurde und dem Tagesspiegel vorab zur Verfügung stand.*

„Kein Geschäft ist es wert, den guten Ruf der Deutschen Bank aufs Spiel zu setzen“, lautete Ackermanns Mantra, das er allen Kritikern entgegenhielt. Aber schon die lange Liste der Kläger und ihrer Vorwürfe illustriert, dass vom ehedem guten Ruf des Konzerns wenig geblieben ist: Sie reicht vom US-Justizministerium und zwei amerikanischen Aufsichtsbehörden über zahlreiche Versicherungen und Pensionsfonds sowie mehrere deutsche Landesbanken bis hin zum Magistrat und der Staatsanwaltschaft von Mailand. „Und es werden noch viele weitere folgen“, erwartet ein Gutachter, der an verschiedenen Klagen beteiligt ist und bei dem die Kunden Schlange stehen, um der Deutschen Bank Verfehlungen nachzuweisen. Darüber hinaus steht die Bank als Treuhänder für zigtausend Häuser in den USA im Kreuzfeuer der Kritik.

In sämtlichen Fällen weisen die Deutschbanker alle erhobenen Vorwürfe zurück. Aber wenn mögliche Niederlagen vor Gericht drohen, sucht die Bank stets den Vergleich, so wie vorletzte Woche mit dem US-Justizministerium, das eine Deutsche-Bank-Tochter wegen falscher Angaben bei der Vergabe von Hypotheken mit Regierungsgarantien verklagt hatte. Darum gibt es bislang nur ein Urteil gegen die Bank. Dafür wachsen die Vergleichszahlungen stetig an. „Der Preis“ des Erfolgs, von dem Ackermann sprach, kann noch hoch werden, sehr hoch.

* "Verzockt und Verklagt“, von Markus Schmidt, Andreas Orth und Kim Otto, ARD, Montag, 21.5., 22.45 Uhr

Wie tief die Bank in den Markt für komplexe Wertpapiere verstrickt ist

Das größte Risiko erwächst aus der tiefen Verstrickung des Frankfurter Bankriesen in den Billionen-Markt für komplexe Wertpapiere auf Basis US-amerikanischer Hypotheken, deren falsche Bewertung und windige Konstruktion eine der wesentlichen Ursachen für die Finanzkrise war. Das Geschäft beruhte auf einer regelrechten Massenvergabe von Immobilienkrediten, die alsdann von den großen Investmentbanken in riesigen Einheiten (Trusts) zusammengefasst wurden. Diese wurden als Wertpapiere verbrieft und in alle Welt weiterverkauft, womit die Käufer Anteile an den Hypothekenpools erwarben. Viele dieser Papiere wurden sogar zu noch größeren Einheiten zusammengefasst und als „Collateralized Debt Obligations“ (CDO), besicherte Schuldverschreibungen, in großen Tranchen von bis zu dreistelligen Millionenbeträgen an Investoren verkauft (siehe Grafik). Allein in den Jahren 2006 und 2007 brachten die Investmentbanken, darunter die Deutsche Bank, CDOs für mehr als 1000 Milliarden Dollar auf den Markt.

Am Beginn dieser Kette standen zahlreiche Hypothekenbanken und -makler. Weil sie die ausgereichten Kredite an Investmentbanken wie die Deutsche weiterreichen konnten, während sie selbst die Gebühren kassierten, vergaben sie die Hypotheken mit den Jahren zusehends wahllos auch an solche Hausbesitzer, deren Einkommen für Zins und Tilgung eigentlich gar nicht reichte. Weil aber mit den Billigkrediten die Nachfrage wuchs, stiegen die Häuser im Wert, sodass es scheinbar nicht an Sicherheiten für den möglichen Ausfall der Schuldner mangelte. In der so genährten Preisblase verloren alle Beteiligten schließlich jedes Maß. Die Hypothekenvermarkter mogelten bei den Angaben über die Bonität ihrer Kreditnehmer. Die Banken wiederum prüften die Angaben der Vermittler über die Qualität der Schuldner nicht, bevor sie die Kredite zu Tausenden in riesigen Paketen zusammenführten. Die für diese Trusts benannten Treuhänder (Trustees), denen die Sammlung der einzelnen Zahlungen und die Überweisung an die Investoren obliegt, prüften ihrerseits die Dokumente für die übertragenen Hypotheken häufig nicht. Und die Käufer der doppelt und dreifach weiter verbrieften Hypotheken glaubten blind den Versicherungen der Banken und der von ihnen bezahlten Ratingagenturen, dass mit den zu Grunde liegenden Krediten schon alles in Ordnung sei.

Wie die Blase platzte

Als aber ab 2007 immer mehr Schuldner nicht zahlen konnten, stürzten die Häuserpreise und mit ihnen die scheinbaren Sicherheiten. Die Blase platzte, und die Hypothekenpakete verloren mehr als eine Billion Dollar an Wert. Kein Wunder daher, dass die Verlierer nun vor Gericht auf Rücknahme der Papiere oder Schadensersatz klagen. Das trifft sämtliche beteiligten Banken, doch keine so drastisch wie die Deutsche Bank. Denn sie war an allen Stationen der Verbriefungskette führend beteiligt. Und die Kläger haben starke Argumente.

Den Stoff dafür lieferte eine der gewichtigsten Institutionen der USA: der Senat. Rund zwei Jahre lang arbeitete dessen Untersuchungsausschuss die Krise auf. Ergebnis war ein 640 Seiten langer Bericht, ein Kapitel darin ist eine „Fallstudie“ über das Verhalten der Deutschen Bank. Zum Kronzeugen für die Senatsermittler wurde kein geringerer als Greg Lippmann, früherer Chefhändler der Deutschen Bank für eben diese Papiere. Seine Befragung und die Auswertung von Millionen Dokumenten und Mails offenbaren einen raren Einblick in eine aberwitzige „Maschine“ (Lippmann), die sich erst gegen die Kunden und am Ende sogar gegen die Bank selbst richtete.

Lippmann, heute 42 Jahre alt, galt an der Wall Street als schillernde Figur, aber er beherrschte sein Fach. Daher sah er die Krise rechtzeitig kommen. Schon ab 2005 warnte er seine Kollegen, dass viele der Hypothekenpakete bald wegen ausbleibender Zahlungen der Schuldner abstürzen würden. Mit Billigung seiner Vorgesetzten begann er deshalb, im Namen der Deutschen Bank systematisch auf deren Wertverfall zu wetten. Dafür zeichnete er bei anderen Investoren im großen Stil Ausfallversicherungen – „Credit Default Swaps“ genannt – auf die Titel, die wegen des hohen Anteils schlechter Schuldner als besonders gefährdet galten. Bei diesen Deals zahlt der Käufer eine Versicherungsprämie an den Verkäufer und bekommt von diesem alle Verluste erstattet, falls die zugehörigen Darlehen oder Wertpapiere ausfallen, und zwar auch dann, wenn er diese gar nicht besitzt. Gleichzeitig empfahl Lippmann seinen Kunden die gleiche Strategie. Zum großen Teil liefen auch diese Wetten wieder über eigens konstruierte, milliardenschwere Pakete, in denen Hunderte solcher Ausfallversicherungen zusammengefasst und Anteile daran an Investoren verkauft wurden. So übernahmen diese de facto das Ausfallrisiko für zahllose Kreditpakete, bei denen Lippmann voraussah, dass sie faul werden.

"Dumme Deutsche, die glauben noch an die Regeln"

Bei einem seiner Verkaufsgespräche, so berichtete später der US-Journalist Michael Lewis, fragte ein Hedgefondsmanager skeptisch, ob diese Deals nicht „ein Nullsummenspiel“ seien und wer denn als sicherer Verlierer auf der anderen Seite stehe. Nach Erzählung des Fondsmanagers war Lippmanns Antwort ebenso ehrlich wie zynisch: „Düsseldorf, dumme Deutsche, die glauben noch an die Regeln.“ Gemeint waren vermutlich die Einkäufer der in Düsseldorf ansässigen IKB oder der Westdeutschen Landesbank.

Binnen zwei Jahren kaufte Lippmann für die Deutsche Bank eine Absicherungsposition zusammen, die sich auf Papiere im Wert von insgesamt fünf Milliarden Dollar belief, mit deren Verfall er fest rechnete. Doch parallel dazu lief die „CDO-Maschine“ der Bank weiter auf vollen Touren. Obwohl schon ab Herbst 2006 viele Werte verfielen, sammelte die Bank noch immer Hypothekenpakete im Milliardenmaßstab, um sie neu verpackt als CDO weiterzuverkaufen. Eines davon, genannt „Gemstone VII“, Edelstein, und das siebte in einer Serie gleichen Namens nahmen die Senatsermittler genau unter die Lupe. Dabei fanden sie heraus, dass große Teile des Pakets aus Hypothekenanleihen zusammengesetzt waren, die Lippmann gegenüber Kunden und Kollegen als „Mist“ und „Schweinkram“ bezeichnet hatte. Das ging so weit, dass für den vermeintlichen „Edelstein“ auch Anleihen aus dem Eigenbestand der Bank verwendet wurden, für die Lippmann und einer seiner Mitarbeiter sagten, sie würden bereits „platzen“, und Wertverluste bis zu 40 Prozent seien zu erwarten. Auf diese Art, so konstatiert der Senatsbericht, „verschob die Deutsche Bank das finanzielle Risiko dieser Anlagen aus ihrem eigenen Bestand auf ihre Kunden“. Viele „Investoren hätten wahrscheinlich die Meinung des Tophändlers der Deutschen Bank als wichtig für ihre Entscheidung zum Kauf von Gemstone VII angesehen“, heißt es weiter. „Aber diese Informationen wurden ihnen nicht gegeben.“ Stattdessen sei „aggressiv“ vermarktet worden. Der Mailverkehr zeige, „dass sie Angst hatten, Risiken wie das von Gemstone auf ihren Büchern zu halten“, berichtet im Film des WDR der Senatsermittler David Katz, der die Fallstudie schrieb. Unter den Käufern waren auch die Fondsgesellschaften der IKB, für deren Rettung Deutschlands Steuerzahler später acht Milliarden Euro aufbringen mussten. Schon acht Monate nach Auflegung stuften die Ratingagenturen Gemstone VII schließlich auf „Junk“-Status zurück, es wurde „für die Investoren praktisch wertlos“, stellten die Ermittler fest.

Zwischen Dezember 2006 und Februar 2007 habe er auch dreimal mit seinem obersten Chef Anshu Jain aus London über diese Risiken gesprochen, sagte Lippmann dem Senatsausschuss. Doch seine New Yorker Kollegen, die ihre Einnahmen mit der Konstruktion und dem Verkauf der CDOs erzielten, fürchteten um ihre Jobs und Boni und hätten dagegengehalten. Und obwohl der Verfall der Hypothekenkonstrukte zu diesem Zeitpunkt schon begonnen und Lippmanns Gegenwetten darum erheblich im Wert gestiegen waren, ließ Jain das Geschäft weiterlaufen, darunter auch die Vermarktung von Gemstone VII – ein Umstand, der nun zum Einfallstor für die Kläger wird. „Die Deutsche Bank hatte alle kritischen Informationen über den Markt“, sagt etwa Gerald Silk, Anwalt bei der New Yorker Großkanzlei Litowitz, Berger & Grossmann, der unter anderem für den Pensionsfonds TIAA Klage wegen „Betrugs“ gegen die Deutsche Bank eingereicht hat. Doch sie habe diese Informationen „den Investoren vorenthalten“, während seine „Klienten darauf vertrauen mussten, dass die Bank ehrlich mit ihnen umgeht“. Und wer „nicht nach den Regeln spielt, der muss dafür zur Verantwortung gezogen werden“, fordert Silk. Noch weiter geht die Klage der Nachlassverwalter für die Pleitefonds der IKB. Die Deutsche Bank habe sie „betrügerisch zur Investition von fast 440 Millionen Dollar in CDOs verleitet, die dazu bestimmt waren, zu scheitern“, heißt es in deren Klageschrift. Ähnlich argumentieren auch die meisten anderen Kläger.

Was die Deutsche Bank zu den Vorwürfen sagt

Alle diese Vorwürfe wollen die Verantwortlichen der Deutschen Bank offiziell nicht gelten lassen. „Die Einschätzung des Marktes durch die Bank“ sei „durch Analystenberichte und andere Veröffentlichungen breit kommuniziert worden“, erklärte ein Sprecher gegenüber dem WDR. Zudem habe die Bank selbst „per saldo größere Positionen an Wertpapieren auf Immobilienfinanzierungen“ gehalten und „bedeutende Verluste“ erlitten. Tatsächlich blieb die Bank am Ende auf vielen Immobilienpapieren sitzen und verlor viel Geld dabei. Dafür aber brachten Lippmanns Gegenwetten gut 1,5 Milliarden Dollar Gewinn, ihm selbst einen Bonus von 50 Millionen Dollar und milderten die Verluste erheblich – nur eben nicht für die Kunden.

Wenn die nun klagen, „sollen sie uns beweisen, dass da Betrug im Spiel war. Ich bin sicher, das ist nicht ganz einfach“, sagte Ackermann noch im vergangenen September. Doch so sicher kann die rechtliche Position der Bank nicht sein. Denn die offene Schlacht vor Gericht haben ihre Anwälte bisher peinlich vermieden. Mit den IKB-Fondsgesellschaften etwa, die indirekt für die bundeseigene KfW und damit den deutschen Fiskus klagten, haben sie daher schon im Februar einen Vergleich vereinbart, dessen Zahlungsvolumen sie lieber geheim hielten. „Wenn wir Fehler gemacht haben, dann vergleichen wir uns“, räumte Ackermann denn auch ein. Bleibt es bei dieser Einsicht, wird auch sein Nachfolger Anshu Jain noch einige Milliarden Dollar für Vergleiche ausgeben müssen.

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