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Um die schwarzen Schafe zu finden, schicken die Detektive Fangbriefe herum.

© Kai-Uwe Heinrich

Deutsche Post: Wenn Kunden sich gelb ärgern

Seit die Post ganz privatisiert ist, zählen die Behörden doppelt so viele Beschwerden wie vorher. Auf den Spuren eines Phänomens.

Von Maris Hubschmid

Zum Geburtstag will Frau J. ihrer Nichte in Berlin ein Smartphone schicken. Frau J. entscheidet sich, obwohl es teurer ist, für den Expressversand. Dann werde das Päckchen an ihre Nichte persönlich ausgeliefert, erklärt man ihr bei der Post. Außerdem könne sie so jederzeit nachverfolgen, wo sich die Sendung befindet.

Zwei Tage später hat ihre Nichte, die den ganzen Tag zu Hause war, einen gelben Zettel im Briefkasten. Man habe sie leider nicht angetroffen. Sie soll einen neuen Zustelltermin vereinbaren, online. Aber: „Die Sendung konnte nicht gefunden werden“, meldet das System. Auch die freundliche Dame vom Kundenservice kann nicht helfen. „Da muss der Zusteller vergessen haben, den Code zu scannen“, bedauert sie. Momentan sei es nicht möglich, das Päckchen zu orten.

Für die Nichte beginnt ein wochenlanges Ärgernis, wie es auch viele andere Kunden erleben. Jeden Tag befördert die Deutsche Post 65 Millionen Briefe und drei Millionen Pakete. Dass da mal was schiefläuft, ist verständlich. Seit einigen Jahren aber gibt der Ärger mit der Post als Gesprächsthema mehr her als das Wetter. Jeder kann Geschichten erzählen, von aufgerissenen Glückwunschkarten, von Boten, die gar nicht erst versuchen, Pakete an Empfänger oberhalb des Erdgeschosses zuzustellen, von Briefen, die trotz Nachsendeantrag im falschen Kasten landen. Und tatsächlich: Seit die Post im Jahr 2008 vollständig privatisiert wurde, zählt die Bundesnetzagentur jährlich doppelt so viele Beschwerden, die die Post betreffen, wie vorher, als sie noch staatlich war. Statt 1000 waren es im Schnitt 2000. „Auffällig war eine relativ hohe Zahl von Beschwerden über Qualitätsmängel bei der Beförderung nachzuweisender Sendungen“, heißt es im Jahresbericht 2011.

Fälle wie der von Frau J.: Fünf Tage nach der ersten Beschwerde klingelt bei der Nichte das Telefon. Das Paket soll am nächsten Morgen zwischen acht und 13 Uhr zugestellt werden. Doch um 14 Uhr hat sie noch immer nichts erreicht. Sie hakt nach. Die Dame am anderen Ende der Leitung weiß es besser. „Ihr Paket wurde heute früh um acht Uhr zugestellt“, teilt sie der überraschten Anruferin mit. „Die Sendung wurde an einen Herrn Böhm übergeben. Ist das Ihr Mitbewohner?“ Die Nichte kennt keinen Herrn Böhm. Da sieht die Post-Mitarbeiterin auf ihrem Bildschirm: „Herr Böhm wohnt in Sieverdingen.“ Was macht ihr Geburtstagsgeschenk in Sieverdingen? Die Nichte ist baff. Die Post-Mitarbeiterin dagegen glaubt, die Lösung zu kennen. Wahrscheinlich sei, dass Frau J. zwei Pakete gleichzeitig aufgegeben und etwas durcheinandergebracht habe. Doch Frau J. hat kein zweites Päckchen verschickt.

Hat alles seine Ordnung: Zusteller beladen ihren Transporter in Heiligensee.
Hat alles seine Ordnung: Zusteller beladen ihren Transporter in Heiligensee.

© Kai-Uwe Heinrich

Wenige Tage später gibt es einen neuen Hinweis. Laut Systemvermerk soll die Nichte in Berlin angerufen und darum gebeten haben, das Paket umzuleiten. Tante und Nichte ärgern sich: Abermals vermutet der Kundenservice den Fehler auf ihrer Seite. Herr Böhm bestätigt, die Sendung erhalten zu haben. Er gibt an, dass er sie in den nächsten Briefkasten geworfen hat, da sie ja nicht für ihn bestimmt gewesen sei. Doch das Smartphone trifft nie bei seiner rechtmäßigen Empfängerin ein. Frau J. bekommt Geld erstattet. Die Versicherungssumme deckt die Anschaffungskosten des Geräts aber bei Weitem nicht ab. Noch mehr ärgert Frau J. jedoch, dass der Fall zu den Akten gelegt wird. „Es ist doch offensichtlich, dass dieser Herr Böhm mit irgendeinem Postmitarbeiter gemeinsame Sache macht“, sagt sie.

„Merkwürdig“ findet man den Fall in der Pressestelle des Unternehmens. „Da scheint an gleich mehreren Stellen etwas böse danebengegangen zu sein. Eine absolute Ausnahme“, sagt ein Sprecher. Noch einmal aufarbeiten kann oder will die Post den Fall nicht. Ist es ihr egal, ob Pakete ankommen? Mitnichten, sagt der Sprecher. Zwar sei die Zahl der Beschwerden „verschwindend gering“. Dennoch habe man ein „ausgetüfteltes Kontrollsystem“ etabliert.

Bundesweit beschäftigt die Post 300 sogenannte Qualitätsmanager. Sie prüfen, ob an den Zustellstützpunkten, von denen die Brief- und Paketboten ausschwärmen, alle korrekt arbeiten. Silke Müller beobachtet das seit zwölf Jahren. Stichprobenartig zählt die 42-Jährige, wie viele Pakete ein Zusteller wieder mit in die Zentrale mitbringt, nachdem er seine Tour beendet hat. Sind es wiederholt ungewöhnlich viele, fährt sie dem Boten heimlich hinterher. Wie oft es vorkomme, dass sie enttäuscht wird und sieht, dass ihre Mitarbeiter unehrlich sind? Das sei wohl schon mal vorgekommen, aber vor langer Zeit. „Wirklich, ich kann mich nicht erinnern“, sagt sie. Überhaupt gebe es nur äußerst selten Probleme. Hin und wieder finde ein Postbote die Adresse nicht, weil der Hauseingang sich auf der Rückseite des Hauses befindet. „Dann gehe ich gemeinsam mit dem Boten zum Kunden und wir klären das“, sagt Müller. Wenn trotz Umzugs- oder Urlaubsbenachrichtigung Post im alten Kasten lande, handele es sich fast immer um Sendungen, die mit anderen Versandunternehmen verschickt wurden, sagt Müller. „Die Kunden verstehen das meistens nicht.“

Die Post tut einiges. Aber tut sie genug?

Seit die Post ganz privatisiert ist, zählen die Behörden doppelt so viele Beschwerden wie vorher.
Seit die Post ganz privatisiert ist, zählen die Behörden doppelt so viele Beschwerden wie vorher.

© dapd

„Auffallend häufig“, heißt es im Bericht der Bundesnetzagentur weiter, habe der Verbraucherservice zudem Beschwerden hinsichtlich Falschzustellungen erhalten. Dabei beschäftigt die Post neben Silke Müller und ihren Kollegen noch rund 130 Adressermittler, die ausschließlich dafür da sind, Sendungen in Zweifelsfällen dem rechtmäßigen Empfänger zuzuordnen. In den Briefzentren werden die Adressen von einer Maschine gescannt, die die Umschläge mit einem Code versieht. Bis zu zwölf Adressen erkennt sie in einer Sekunde. Sie liest sogar Sütterlin. Passiert es dennoch, dass Briefe nicht korrekt zugeordnet wurden, landen sie irgendwann auf dem Schreibtisch von Ufok Duman. 500 bis 600 Briefe bearbeitet er in der Stunde. Acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche, seit 17 Jahren. Er korrigiert Zahlendreher oder ergänzt Hausnummern. „Manchmal steht sogar nur eine Telefonnummer drauf“, sagt der 39-Jährige. Selbst diese Herausforderung meistert er, notfalls, indem er die angegebene Nummer anruft. Was er und fünf Kollegen am Standort Schöneberg für Briefe erledigen, übernehmen andere für Pakete. Duman und seine Vorgesetzten sind überzeugt: „Wir ermitteln für nahezu alle Sendungen auf Anhieb den korrekten Empfänger.“

Und dann gibt es Mitarbeiter, die aktiv werden, wenn einer wie der ominöse Herr Böhm ins Spiel kommt. Post-Detektive, die für die Konzernsicherheit zuständig sind. Sie sollen kriminelle Machenschaften innerhalb des Unternehmens aufdecken. 100 Mitarbeiter sind es in allen Bundesländern insgesamt, zwei bis drei pro Niederlassung. Sie wollen anonym bleiben. Zu Einzelfällen und Ermittlungsmethoden gibt es keine Auskunft. Wohl aber das Bekenntnis: „Ja, es gibt Kriminalität in den Reihen der Post.“ Und diverse Stellen, von denen aus ein Paket, wie im Fall von Frau J., umgeleitet werden könne. Seit die Post privatisiert wurde, lagert sie bestimmte Arbeitsschritte aus, an Subunternehmen. Sind bei deren Mitarbeitern womöglich die Hemmungen geringer? „Natürlich hat man auf fremde Mitarbeiter weniger Zugriff“, sagt ein Sprecher. „Wir können aus dem Unternehmen aber keinen Überwachungsstaat machen. Schwarze Schafe gibt es überall.“

Um die zu finden, schicken die Detektive Fangbriefe herum. Zwar weist das Unternehmen offiziell darauf hin, dass man kein Geld mit der Post verschicken soll. Trotzdem tun das vor allem ältere Menschen immer wieder. Und immer wieder verschwinden Geldsendungen. Krakelige Handschrift, Marienkäferaufkleber, in der ersten Adresszeile die Anrede: „Dem Geburtstagskind“. So etwa könne ein Fangbrief aussehen, erklärt ein Mitarbeiter. Darin sei eine Farbe, wie sie bei Geldübergaben an Erpresser verwendet wird. Wer die einmal an den Fingern hat, wird sie so schnell nicht los. „Die Versuchung ist groß“, sagt Qualitätsmanagerin Müller wie zur Entschuldigung. „Gerade in der Zeit vor Weihnachten, Ostern oder Jugendweihe und Konfirmation.“ Wenn sie einen Verdacht haben, erstatten die Detektive Anzeige bei der Polizei. Bis zu zehn Brief- und Paketzusteller, gibt das Unternehmen auf Nachfrage bekannt, werden allein in Berlin jedes Jahr wegen Veruntreuung entlassen.

„Zehn von 2650. Das ist nicht viel“, sagt der Sprecher. Er weist darauf hin, dass deutlich mehr Post „durch Fremdeinwirkung abhandenkommt“. Posttaschen, Postfahrräder, ja, ganze Postautos würden geklaut und jede Menge Briefkästen aufgebrochen. In Berlin so viel wie nirgendwo sonst in Deutschland. Doch Zahlen dazu gibt es auf Nachfrage keine. Müssten da nicht die Sicherheitsvorkehrungen verschärft werden? „Das ist nicht zu leisten“, sagt der Sprecher. „Wir betreiben größtmöglichen Aufwand im Rahmen des uns Möglichen.“

Die Post tut einiges. Aber tut sie genug? Zwei Monate nach dem Verlust ihres Geburtstagsgeschenks erhält die Nichte von Frau J. ein Päckchen zurück, das für ihre Großmutter in Köln bestimmt war. „Der Empfänger konnte nicht ermittelt werden“, heißt es auf dem Vermerk. Die Großmutter lebt seit 30 Jahren im selben Mehrfamilienhaus, Klingelschild und Briefkasten gut sichtbar an der Tür. Die Berlinerin schickt das Paket erneut los, erneut kommt es zurück. Sie beschwert sich. Einmal. Zweimal. Als Entschädigung bekommt sie erst eine Päckchenmarke im Wert von 4,10 Euro, dann eine Paketmarke im Wert von 6,90 Euro. Adressermittler oder gar Qualitätsmanager, die bei der Großmutter vorbeigehen könnten, um die Situation vor Ort zu klären, werden offensichtlich nicht bemüht. An der Sache ändert sich nichts.

„Auch hinsichtlich der Nichtbeachtung von Beschwerdefällen gingen zahlreiche Beschwerden ein“, schreibt die Bundesnetzagentur.

Weil die Anrufe ihrer Enkelin in Berlin nichts ausrichten, geht die 84-Jährige Großmutter in Köln persönlich zur Post-Filiale und beklagt sich, dass sie kein Paket erreicht. Die Dame hinter dem Tresen ist sehr freundlich. Sie gibt ihr ein gelbes Kärtchen mit einer Telefonnummer. „Da können Sie sich beschweren“, sagt sie. „Wenn ich’s versuche, geht aber nie jemand ran. Viel Glück!“

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