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Wirtschaft: Deutscher als deutsch

Türkische Unternehmer in Berlin verkaufen nicht nur Döner und Gemüse – sie reparieren auch Computer oder beraten andere Selbstständige

Der Tee in Emre Kiraz’ Büro schmeckt würzig und süß. Wie es sich für einen guten Tee in einem der türkischen Restaurants in Kreuzberg, Schöneberg oder Neukölln gehört. Emre Kiraz führt aber kein Restaurant. Der 37-Jährige ist selbstständiger Unternehmensberater in Berlin-Mitte, beschäftigt 15 Mitarbeiter und engagiert sich im Vorstand in der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg. Mittlerweile besitzt er einen deutschen Pass.

Kiraz zählt zu einer wachsenden Gruppe junger Unternehmer, die beweisen, dass Türken und aus der Türkei Stammende nicht nur Döner und Gemüse verkaufen können. Nach einer Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien (ZfT) der Universität Essen sind inzwischen mehr als ein Drittel der 5500 selbstständigen Türken in Berlin im Dienstleistungssektor aktiv. „Besonders die jungen Unternehmer zieht es stärker in innovative Branchen wie Wirtschaftsberatung oder Computerservices“, sagt Martina Sauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZfT. Rund die Hälfte der Selbstständigen arbeitet noch in den typischen Branchen Gastronomie und Handel.

Die wirtschaftliche Dynamik unter den türkischen Einwanderern und ihren Kindern ist seit Jahren ungebrochen. Türkische Unternehmer erwirtschafteten im vergangenen Jahr allein in Berlin 2,2 Milliarden Euro Umsatz. Eine Existenzgründerwelle setzte bereits Ende der 80er Jahre ein. Zwischen 1985 und 1995 schnellte die Zahl der türkischen Selbstständigen in Deutschland von 17 000 auf mehr als 40 000, heute sind es 57 000. Grund waren Erleichterungen für Existenzgründer, die nicht aus der EU stammen. Damals verabschiedeten sich viele Türken von der Illusion, eines Tages wieder in ihr Heimatland zurückzukehren.

In dieser Zeit startete auch Ayhan Bastürk in Berlin. Die Räume der Bastürk Computer Consulting (BCC) liegen in einem etwas heruntergekommenen Altbau in der Weddinger Pankstraße. Eine junge Frau mit Kopftuch führt die Besucher in das Büro des Inhabers. In einer Ecke stapeln sich Grafikkarten, Modems und anderes PC-Zubehör. Firmenchef Bastürk verkauft und wartet seit neun Jahren Computer, er installiert Telefonanlagen und gestaltet Webseiten.

Natürlich gibt es Tee zur Begrüßung. 1979 kam Bastürk mit 21 Jahren allein nach Deutschland, um hier zu studieren. „In der Türkei tobten damals an den Hochschulen Kämpfe zwischen rechten und linken Gruppen. Wer sich keiner Seite anschließen wollte wie ich, lebte gefährlich“, erzählt Bastürk. Nach seinem Mathematik- und Informatik-Studium in Karlsruhe bekam er einen Job bei der AEG, der ihm auch eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung einbrachte.

Als sich Bastürk entschloss, eine Firma zu gründen, hatte er nicht viel mehr als die eigenen Ersparnisse und die eigene Arbeitskraft. Inzwischen beschäftigt er neun Mitarbeiter. „Die Kunden schätzen, dass wir flexibler sind als deutsche Firmen“, sagt Bastürk. „Wir berechnen nicht jede Fahrt extra, und wir lassen bei den Preisen mit uns reden.“ Das schätzen nicht nur die türkischen Kunden, darunter viele Händler vom Großmarkt an der Beusselstraße und mehrere Dönerproduzenten.

Von seinen Landsleuten allein kann Bastürk aber nicht leben. Etwa 60 Prozent seines Umsatzes macht er mit deutschen Kunden. „Die neuen türkischen Unternehmer haben nicht nur die eigene ethnische Zielgruppe im Visier“, sagt ZfT-Mitarbeiterin Sauer. „Wollen sie erfolgreich sein, sind sie auf neue Kundengruppen angewiesen.“

Die Unternehmen werden aber auch immer professioneller geführt: So hat die Berliner Supermarktkette „Birlik Markets“ kürzlich ihre neunte Filiale eröffnet und expandiert trotz der Flaute im Einzelhandel munter weiter. Birlik wird im Franchise-System geführt, die einzelnen Geschäfte sind wirtschaftlich eigenständig. „Das ist neu für viele türkische Unternehmer“, sagt Berater Kiraz. Denn türkischen Geschäfte werden traditionell als Familienunternehmen geführt.

Türken machen sich im Schnitt deutlich häufiger als Deutsche selbstständig. Sie sind mit ihren Projekten aber seltener erfolgreich. In Berlin verschwinden etwa 80 Prozent der Neugründungen innerhalb von zwei Jahren wieder vom Markt. Dagegen gehen nur 50 Prozent der deutschen Gründer in diesem Zeitraum Pleite. Für viele Türken ist die Selbstständigkeit aber häufig die Alternative zur Arbeitslosigkeit.

Kiraz und Bastürk haben es allen Widrigkeiten zum trotz geschafft. Ihr Rezept: Besser sein als die deutsche Konkurrenz. Und: Zuverlässigkeit, Fleiß und Präzision, sagt Kiraz. Vielleicht sind seine Büroräume an der Friedrichstraße auch deshalb so sauber und aufgeräumt, fast steril. „Ich bin manchmal päpstlicher als der Papst“, sagt Kiraz. Was er meint ist: deutscher als deutsch.

Maurice Shahd

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