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Wirtschaft: Deutschland darf länger Regeln brechen

EU-Stabilitätspakt muss erst 2007 eingehalten werden / EU-Finanzminister warnen EZB vor Zinserhöhung

Brüssel/Berlin - Die europäischen Währungshüter geben Deutschland ein zusätzliches Jahr Zeit, um den EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder einzuhalten. EU-Währungskommissar Joaquin Almunia hat der neuen Bundesregierung eine entsprechende Zusage gemacht, die Berlin im nächsten Jahr finanzpolitisch mehr Spielraum lässt. Spätestens 2007 muss die Neuverschuldung der öffentlichen Hand aber wieder unter den drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, die der EU-Stabilitätspakt als Obergrenze festschreibt.

Die Bundesregierung wird in diesem Jahr mit einem Staatsdefizit von vermutlich vier Prozent des BIP zum vierten Mal in Folge den Stabilitätspakt brechen. Das drohende Strafverfahren gegen Berlin konnte Bundesfinanzminister Hans Eichel im vergangenen Jahr nur deshalb abwenden, weil er in Brüssel immer wieder versprach, spätestens 2006 zu den Regeln des Pakts zurückzukehren. Doch inzwischen nimmt niemand mehr ernsthaft an, dass dies gelingen wird.

Wie am Dienstag in Koalitionskreisen verlautete, wollen Union und SPD im kommenden Jahr nicht nur den abermaligen Verstoß gegen den Brüsseler Pakt, sondern auch den Verstoß gegen die deutsche Verfassung hinnehmen. Erstmals in der Geschichte des Landes soll bereits im Haushaltsaufstellungsverfahren ein Etat entstehen, bei dem die Summe der Neukredite die Investitionssumme überschreitet, hieß es bei Union und SPD. Ziel ist, einen Teil der von Eichel für 2006 geplanten Privatisierungen in die Folgejahre zu verschieben, um zusätzlichen Spielraum für 2007 zu erhalten, in dem man die Maastricht-Kriterien einhalten und einen verfassungsmäßigen Etat aufstellen will. Der Umfang der Privatisierungen hat dabei allein auf dieVerfassungsmäßigkeit des Etats Einfluss, nicht jedoch auf die Einhaltung der EU-Kriterien. Um den Brüsseler Kriterien zu genügen, muss im staatlichen Gesamthaushalt etwa die Summe von 290 Milliarden Euro gespart werden, für die Verfassungsmäßigkeit des Bundesetats sind größere Kürzungen nötig.

Der Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage rechnet 2006 mit einer Neuverschuldung von 3,3 Prozent. Dass die EU-Kommission Berlin bis 2007 Zeit lässt, die Kriterien wieder einzuhalten, hat einerseits damit zu tun, dass der Pakt auf Druck der Bundesregierung und Frankreichs gelockert worden ist. Zudem will EU-Währungskommissar Almunia zunächst die Vorlage des Bundeshaushalts 2006 abwarten, der wegen des Regierungswechsels in Berlin erst im kommenden Jahr verabschiedet werden kann. Man wolle zuerst sehen, welche Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen die neue Bundesregierung treffe, heißt es in Brüssel.

Der Finanzexperte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) begrüßte die Haltung der Kommission als „gut, weil sie realistisch ist“. Die neue Regierung könne nicht so schnell in den Haushalt 2006 eingreifen. 2007 kann sie es Heinemann zufolge schaffen, den Pakt einzuhalten, auch dank der geplanten Steuererhöhungen.

Auf ihrem Treffen haben die EU-Finanzminister die Europäische Zentralbank ungewöhnlich offen angemahnt, ihre Zinsen nicht zu erhöhen, um das Wirtschaftswachstum nicht zu bremsen. „Wir haben die EZB gebeten, dieses zu berücksichtigen“, sagte der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker. Die EZB muss ihre Entscheidungen eigentlich unabhängig von der Politik treffen.

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