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Wirtschaft: Deutschland - eine Steueroase für die Unternehmen?

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) spielt ein gefährliches Spiel.In seinem Bemühen, die deutschen Unternehmen vom Vorwurf der "Steuertrickserei" freizusprechen, liefert er Argumente gegen jene Steuerreform, die auch die Unternehmen mit guten Gründen seit Jahr und Tag fordern.

Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) spielt ein gefährliches Spiel.In seinem Bemühen, die deutschen Unternehmen vom Vorwurf der "Steuertrickserei" freizusprechen, liefert er Argumente gegen jene Steuerreform, die auch die Unternehmen mit guten Gründen seit Jahr und Tag fordern.

Mit einer Umfrage bei 3000 Unternehmen wollte der Kammer-Dachverband nachweisen, daß deutsche Unternehmen entgegen allen mißgünstigen Behauptungen keineswegs ihre Gewinne zur Steuervermeidung vornehmlich ins Ausland verlagern.Doch die Rechtfertigungsbilanz geriet den Steuerexperten des DIHT unbeabsichtigt zu einer Lobpreisung des Steuerstandorts Deutschland.Für viele Unternehmen, so der Tenor, mache es gar keinen Sinn, Gewinne aus steuerlichen Gründen ins Ausland zu verlagern - im Gegenteil.Insbesondere die Möglichkeit, Gewinne mit Verlustvorträgen zu verrechnen, etwa auch in Folge von Beteiligungen an Unternehmen in den neuen Bundesländern, machten Deutschland für Unternehmen außerordentlich attraktiv, hieß es vom DIHT.Brauchen wir also gar keine Steuerreform mit niedrigen Steuersätzen auch für Unternehmen?

Der Reihe nach: In der Tat führen hohe Verluste beziehungsweise Verlustvorträge aus dem Jahre 1995 und davor dazu, daß einige Unternehmen keine oder nur geringe Ertragssteuern zahlen.Bekanntestes Beispiel ist die kerngesunde Daimler-Benz AG, die noch immer rund 10 Mrd.DM Verlustvorträge aus der Ära des Visionärs Edzard Reuter mit sich herumschleppt und deshalb im vergangenen Jahr in Deutschland kaum Steuern abgeführt hat.

Eklatante Fälle wie diese legen natürlich die Frage nahe, ob die Folgen strategischer Fehlentscheidungen des Managements vom Steuerbürger mitbezahlt, also sozialisiert werden sollen.Das Mißbehagen der Öffentlichkeit ist verständlich, aber müßig.Das Steuerrecht muß sich an objektive Kriterien halten und darf sich nicht in der individuellen Bewertung unternehmerischen Handelns verlieren.

Dennoch hat die SPD im Rahmen der Steuerreformdiskussionen immer wieder eine Einschränkung der Verrechnung gefordert.Sogar Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) liebäugelte vor Jahresfrist aus lauter Geldnot damit, das Verlustvortragsrecht der Steuerpflichtigen einzuschränken - ein Recht, das doch erst 1994 aus gutem Grund zur Verbesserung der deutschen Standortbedingungen erweitert worden war.

Doch die Verlustverrechnung ist eben keine Steuervergünstigung, die im Zuge einer Vereinfachung des Steuerrechts Knall auf Fall gestrichen werden kann.Nach Paragraph 10d Einkommensteuergesetz dürfen Verluste, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von insgesamt 10 Mill.DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte des zweiten, dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Veranlagungszeitraum abgezogen werden.Soweit diese Verlustverrechnung noch nicht genügt, ist der Abzug der überschießenden Verluste auch für das dem Veranlagungszeitraum vorangegangene Jahr möglich (Verlustrücktrag).Sind die Verluste eines Jahres dann immer noch nicht ausgeglichen, können sie in unbeschränkter Höhe in den folgenden Jahren von den Einkünften abgezogen werden (Verlustvortrag).

Diese Behandlung von Verlusten weicht zwar vom grundlegenden Jahresprinzip des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts ab.Doch ist dieses wiederum eine Ausnahme vom alles beherrschenden Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.Im Grunde müßten Bürger und Unternehmen über die gesamte Lebenszeit hin besteuert werden.Weil das nicht praktikabel ist, behilft sich der Gesetzgeber mit der Krücke "Jahreseinkommen".Grundsätzlich aber darf der Staat nur am Gesamtergebnis eines Unternehmens partizipieren.Er darf sich nicht nur an den Gewinnen beteiligen, er muß über einen längeren Zeitraum auch die Verluste berücksichtigen.

Die Möglichkeit der Verlustverrechnung macht Deutschland aber noch keineswegs zur "Steueroase".Sie ist vielmehr international üblich.Der Verlustvortrag ist in vielen Ländern gleichermaßen unbegrenzt möglich, beim Rücktrag sind einige wichtige Konkurrenzländer (USA, Großbritannien, Niederlande) sogar großzügiger als Deutschland, indem sie einen dreijährigen Verlustrücktrag ohne betragsmäßige Beschränkung zulassen.

Ganz sicher läßt sich die Bewertung des Steuerstandorts Deutschland nicht an den Bedingungen der Verlustverrechnung festmachen.Zudem werden in den kommenden Jahren angesichts der bei vielen Unternehmen fortgeschrittenen Strukturveränderungen weniger Verlustvorträge anfallen.Auch der finanzielle Aderlaß durch Ost-Beteiligungen, wie er vor allem in den Jahren von 1992 bis 1995 entstanden sind, wird sich nicht in dieser Größenordnung fortschreiben.Die entscheidende Frage lautet also, wie die aus Investitionen erzielten Gewinne behandelt werden.

Im internationalen Wettbewerb muß ein Steuerrecht attraktive Bedingungen anbieten.Deutschland ist davon noch weit entfernt.Insbesondere ausländische Investoren lassen sich nicht vom vielfach moderaten realen Steuerniveau locken, sondern werden von den hohen Nominalsätzen abgeschreckt.Der Ansatz aller Steuerreformbemühungen der letzten Jahre ist also weiterhin gültig: niedrigere Steuersätze und eine breitere Bemessungsgrundlage.Bei der Streichung von Steuervergünstigungen wird auch die Wirtschaft Federn lassen müssen.Die Verlustverrechnung freilich ist dafür der falsche Ansatzpunkt.

MARC BEISE (HB)

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