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Wirtschaft: Deutschland ist reicher geworden

Minister und Forscher glauben an den Aufschwung. Die Regierung kürzt dennoch ihre Prognose

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Die Bundesregierung rechnet mit einer spürbaren konjunkturellen Erholung im weiteren Verlauf dieses Jahres. „Es gibt eine Reihe zuversichtlicher Signale“, sagte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) am Freitag in Berlin. Dennoch hat die Regierung ihre Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum in diesem Jahr deutlich um 0,6 Punkte auf 1,0 Prozent zurückgenommen. Wie im Jahr zuvor geht sie von einem so genannten Wachstumskorridor von 0,75 bis 1,25 Prozentpunkten aus. Für das nächste Jahr – das Bundestags-Wahljahr – rechnet Rot-Grün mit einer Wachstumsbeschleunigung auf 1,6 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen soll nach Clements Erwartungen bis Ende 2006 um knapp 600000 auf etwa 4,4 Millionen sinken.

„Die konjunkturelle Belebung gewinnt an Breite und steht damit auf zwei Beinen“, sagte der Minister bei der Vorstellung der Frühjahrsprognose der Regierung, auf deren Basis die Steuerschätzer Mitte Mai die Haushaltseinnahmen für dieses und das nächste Jahr berechnen und die Bundesregierung im Juni ihren Haushaltsentwurf 2006 erarbeiten wird.

Als Grund für die Senkung der Wachstumsprognosen nannte Clement zum einen statistische Basiseffekte, weil die Konjunktur gerade im letzten Quartal 2004 abgesackt sei. Zum anderen basierten knapp die Hälfte der niedrigeren Erwartungen der Regierung auf dem nach wie vor hohen Ölpreis. Nachdem Clement festgestellt hatte, dass der boomende deutsche Export „nun seine Spuren im Inland hinterlässt“, forderte er die Europäische Zentralbank indirekt zur Senkung der Leitzinsen auf. Wenn bei nur moderatem Wachstum in Europa ein Kernland wie die Bundesrepublik eine außerordentlich niedrige Inflation aufweise, sollte „die Geldpolitik das auch positiv würdigen", sagte er.

Für die Jahre bis 2009 ist die Bundesregierung weitaus optimistischer. Sie geht von einem durchschnittlichen Wachstum von 1,5 bis zwei Prozent pro Jahr aus – spitz gerechnet 1,75 Prozent. Dabei hält Clement in einzelnen Jahren ein Wachstum von mehr als zwei Prozent für erreichbar. Die Reformen der Regierung würden dazu führen, dass das Wachstumspotenzial über die Expertenschätzung hinaus gehen werde, sagte er.

Unterstützung für seine optimistische Einschätzung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands erhielt Clement vom Konjunkturchef des Hallenser Forschungsinstituts IWH, Udo Ludwig. Allein im vergangenen Jahr habe sich das Bruttoinlandsprodukt um 30 Milliarden Euro erhöht, sagte Ludwig dem Tagesspiegel am Freitag. Das zeigten die am Donnerstag vom Statistischen Bundesamt revidierten Berechnungen der volkswirtschaftlichen Entwicklung. „Deutschland ist reicher als je zuvor“, sagte Ludwig. Es sei mehr investiert und konsumiert worden als zuvor. Von einem sinkenden Niveau der deutschen Volkswirtschaft könne daher nicht gesprochen werden.

Erst am Mittwoch hatten die sechs führenden Forschungsinstitute, darunter auch das IWH, in ihrem Frühjahrsgutachten die vorangegangene Herbstprognose für 2005 deutlich auf 0,7 Prozent zurückgefahren. Der IWH-Forscher Ludwig beurteilt die Wachstumsaussichten des laufenden Jahres allerdings weit weniger pessimistisch. „Das Glas ist halb voll und nicht halb leer“, kommentierte er.

Der Wirtschaftsexperte der Unions-Bundestagsfraktion, Ronald Pofalla, sprach hingegen von einem „Eingeständnis eines kolossalen Scheiterns der rot-grünen Wirtschafts- und Finanzpolitik". Clement sei zum „Minister für Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise degeneriert". FDP-Vizechef Rainer Brüderle nannte Clement einen wirtschaftspolitischen Gesundbeter. Der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos kritisierte, unter der rot-grünen Regierung werde die Stagnation zum Dauerzustand.

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