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Wirtschaft: „Deutschland kann von ihm lernen“

Heute sind die einst umstrittenen Lehren des Nobelpreisträgers Allgemeingut / Von Michael Burda

Milton Friedman war einer der größten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Ein Großteil der USA ebenso wie der Rest der Welt versucht heute zu verstehen, wie dieser Nobelpreisträger, ein Vorkämpfer für das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte, jemals eine umstrittene Person sein konnte. Diese Menschen wissen nicht oder erinnern sich nicht daran, wie er sich in den 60er und 70er Jahren in den USA ständig Kämpfe lieferte mit der überwältigenden Mehrheit, die das soziale Netz auf noch nie da gewesene Dimensionen ausgeweitet hatte. In dieser Zeit war Milton Friedman ein Blitzableiter, ein Prügelknabe, ein Beispiel für das herzlose Gesicht des Kapitalismus. Er schrieb Bücher mit Namen wie „Kapitalismus und Freiheit“ und „Chancen, die ich meine“. Für viele Amerikaner war er die Karikatur eines unerfreulichen Vertreters des freien Marktes, und er wurde als unsozial und kalt kritisiert.

Dabei hat er sich selbst nie als konservativen Ökonomen gesehen. Im Gegenteil: Er wollte die Dinge nicht konservieren, er wollte sie ändern. Er nannte sich liberal im europäischen Sinn des Wortes, er trat für eine sich selbst auflösende Ordnung ein, um zu verhindern, dass der Leviathan unaufhaltsam immer größer würde. Er wiederholte immer wieder, und zwar so oft, dass er die Menschen damit wahnsinnig machte, dass es der größte Fehler sei, Politik nach ihren Intentionen zu beurteilen und nicht nach ihren Ergebnissen. Er liebte es, Politiker herauszufordern, ihm nur ein einziges Regierungsprogramm zu nennen, das tatsächlich die Ziele erreicht habe, für die es gemacht worden sei. Hinter all seinen Ideen stand der Grundgedanke, dass die Menschen in der Lage sind, sich um sich selbst zu kümmern – Freiheit! – und dass Regierungen häufig mehr schaden als nützen. Diese Botschaft sollte sich Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu Herzen nehmen.

Ehrlich gesagt hatte ich das meiste davon bis vor kurzem vergessen. Ich konnte mich nur daran erinnern, wie ich als Teenager „Chancen, die ich meine“ und seine wöchentlichen Kolumnen in „Newsweek" verschlungen hatte. Vor kurzem hat mir ein Kollege dann einen Link zu einem alten Video geschickt: eine Sendung mit Friedman, die in den 70ern ausgestrahlt wurde. Und plötzlich erinnerte ich mich, was für ein umstrittener und provokativer Mann das war. Doch trotz der intensiven Kritik, die er erfuhr, ließ sich Milton Friedman nie beirren. Er forderte freien Handel, Schulgutscheine, Steuergutschriften für Geringverdiener, er kritisierte Staatsausgaben auf Pump und hohe Steuern.

Ich habe Friedman leider nie getroffen, aber ich musste vieles von dem lesen, was er geschrieben hat. Da ging es um den Konsum von Privathaushalten, die Theorie der Entscheidung unter Unsicherheit, die Determinanten der Arbeitslosigkeit – und natürlich seine herausragende Studie der amerikanischen Geldpolitik gemeinsam mit Anna Schwartz. Dieses letzte Buch war Pflichtlektüre, nicht weil wir glauben sollten, dass „Inflation immer und überall ein geldpolitisches Phänomen“ sei, sondern weil es ein exzellentes Beispiel sorgfältiger empirischer Forschung war. Und diese Deutung der amerikanischen geldpolitischen Geschichte brachte unseren Berufsstand dazu, Geld wieder in die Inflationsgleichung einzubeziehen. Dass in den 60ern das Geldmengenwachstum ignoriert wurde, führte zu der hohen Inflation in den 70ern. Und das stimmt in beide Richtungen: Für Friedman war die amerikanische Notenbank für die Weltwirtschaftskrise verantwortlich, weil sie es zuließ, dass das Bankensystem nach den Kreditexzessen der 20er Jahre implodierte und die Volkswirtschaft mit nach unten zog. Das führte im Gegenzug zu den Sozialreformen der 30er und dem sogenannten New Deal: der Wohlfahrtsstaat als unausweichliche menschliche Reaktion auf eine sozial nicht hinnehmbare Situation.

Friedman hob gerne hervor, dass die überwiegende Mehrheit der Menschheit in der Tyrannei lebt und dies immer schon getan hatte. Die Erhebung der Demokratie und des freien Handels in den vergangenen drei Jahrhunderten sah er als einen nur kleinen Schritt in die andere Richtung. Seine moderne Artikulation – gar Wiederbelebung – der Moralphilosophie von Adam Smith ist vermutlich sein dauerhaftester Beitrag.

Die einzige Sache, mit der er unrecht gehabt hat, war seine Vorhersage, dass die Welt sich unausweichlich auf einen Kollektivismus hinbewegt – und vielleicht hatte er unrecht, weil seine Warnung gehört wurde. Vertraue den Märkten. Aber habe dabei Geduld, weil sie Zeit brauchen, um zu funktionieren. Erlaube den Menschen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Nimm zur Kenntnis, dass Regierungen von Partikularinteressen geleitet sein können. Das sind Milton Friedmans Lehren, und sie haben gewirkt. Die Einstellung der Menschen zu den Märkten und zur Freiheit kann sich ändern, und sie hat es mit Sicherheit in den USA getan. Deutschland kann viel von diesem großen Mann lernen.

Professor Burda, 1959 in Amerika geboren, hat an der Harvard-Universität promoviert und lehrt seit 1993 Volkswirtschaft an der Humboldt-Universität .

Das erwähnte Video findet sich unter www.tagesspiegel.de/friedman

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