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Wirtschaft: Deutschland wird zum Dauersünder

EU-Kommission hält auch 2005 Verstoß gegen Stabilitätspakt für möglich/Rüge für Arbeitsmarktpolitik

Brüssel (lob). Die Herbstprognose der EU-Kommission gibt Kritikern der Bundesregierung Recht: Deutschland wird nach den Vorhersagen aus Brüssel nicht nur in diesem und im kommenden Jahr deutlich gegen den EU-Stabilitätspakt verstoßen. Die Kommission hält auch für 2005 – dann zum vierten Mal in Folge – einen Verstoß Deutschlands gegen die im Maastricht-Vertrag festgelegten Defizitkriterien für möglich. Auch für den deutschen Arbeitsmarkt sieht die EU 2004 trotz eines wieder anziehenden Wachstums schwarz. Erst für 2005 sagt die Kommission eine leichte Belebung voraus.

Nach dieser Defizitprognose (siehe Lexikon) wird Deutschland zusammen mit Frankreich zum Dauer-Haushaltssünder. Im kommenden Jahr würde Berlin bereits zum dritten Mal in Folge gegen den EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt verstoßen. Damit drohen saftige Strafen – falls Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) es nicht im Schulterschluss mit den Franzosen schafft, Brüssel milde zu stimmen.

Dies wird einiger Überzeugungsarbeit bedürfen, denn die Zahlen aus Brüssel sprechen eine eindeutige Sprache: 2003 liegt die deutsche Neuverschuldung demnach mit 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) deutlich über der von der EU tolerierten Drei-Prozent-Marke. Für das kommende Jahr sieht Brüssel ein Defizit von 3,9 Prozent voraus. Und falls die Bundesregierung nicht gegensteuert, würde Berlin der EU-Prognose zufolge sogar noch 2005 die Maastricht-Latte reißen.

Schützenhilfe leistet Brüssel der Bundesregierung allerdings beim Thema Steuerreform und Subventionsabbau: Würde diese Politik konsequent umgesetzt, läge das Defizit im kommenden Jahr nur bei mindestens 3,25 Prozent des BIP. Bei einer Fortsetzung des Konsolidierungskurses von Finanzminister Hans Eichel (SPD) würde der Haushaltsfehlbetrag 2005 dann wieder knapp unter die Drei-Prozent-Marke rutschen.

Über die möglichen Konsequenzen hielt sich EU-Währungskommissar Pedro Solbes am Mittwoch in Brüssel bedeckt. Der Stabilitätspakt werde „so angewandt wie er existiert“, sagte Europas oberster Haushaltswächter. Das Regelwerk biete „ausreichenden Spielraum für Flexibilität“. Was er genau darunter versteht, ließ Solbes offen.

Derweil werden die Rufe nach einer Lockerung des Regelwerks lauter. Italiens Regierungschef, EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi, forderte erst vor gut einer Woche im Europaparlament eine „offenere Haltung“ zum Pakt. Kein Wunder, bewegt sich doch die italienische Neuverschuldung gemeinsam mit der Portugals und der Niederlande ebenfalls deutlich in Richtung drei Prozent. Auch Schröder und seine französischen Freunde demonstrieren beim Defizit Geschlossenheit. Ob sich die Achse Berlin-Paris ein weiteres Mal durchsetzen kann, wird sich nächsten Dienstag zeigen: Dann sollen die EU-Finanzminister Frankreich nach Solbes’ Willen deutlich machen, welche Schritte notwendig sind.

Arbeitslosigkeit über dem EU-Schnitt

Mehr Kopfzerbrechen dürfte dem Kanzler aber die Vorhersage der Kommission zum Arbeitsmarkt bereiten. Denn hier fürchtet Brüssel einen weiteren Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Die deutsche Arbeitslosenquote wird demnach von 9,4 Prozent in diesem Jahr auf 9,6 Prozent im Jahr 2004 steigen. Damit liegt die Quote immer noch deutlich mehr als einen Prozentpunkt über dem EU-Schnitt. Und einen Lichtblick sieht die Kommission erst ab 2005.

Frohe Kunde konnte Solbes beim Thema Konjunktur verbreiten: Nach drei Jahren Flaute werde die EU-Wirtschaft in den kommenden zwei Jahren wieder um zwei Prozent oder mehr wachsen. „Das Schlimmste liegt hinter uns.“ Aber auch hier hinkt Deutschland hinterher – mit einer Null in diesem Jahr und einem mageren Plus von 1,6 Prozent im kommenden. Doch Solbes tröstete: „Dies liegt an einem allgemein bekannten Grund – der Wiedervereinigung.“

Und noch eine gute Nachricht hatte Brüssel für Deutschland: Deutschlands Beitrag zum EU-Haushalt soll für das laufenden Jahr um gut 1,1 Milliarden Euro gekürzt werden, wie die EU-Kommission dem Ministerrat und dem EU-Parlament vorschlug. Grund ist, dass fünf Milliarden Euro, die von den EU-Ländern aus den EU-Strukturfonds für die Jahre 1994 bis 1999 bis heute nicht in Anspruch genommen wurden, endgültig aus dem Budget gestrichen werden sollen.

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