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Bohnen für Berlin. Rund 120.000 Tonnen Kaffee kommen jährlich im Werk in Neukölln an, vor allem aus Brasilien, Kolumbien und Vietnam. Der größte Teil landet in den herkömmlichen Pfundpäckchen, aber gut 20 Tonnen werden inzwischen täglich in die modernen Kaffeekapseln gepresst.

© Mike Wolff

Jacobs: Deutschlands beliebtester Kaffee kommt aus Neukölln

Seit 50 Jahren wird in Neukölln Kaffee geröstet, die Fabrik in der Nobelstraße ist die weltweit größte der Marke Kraft Foods. Ein Werksbesuch.

Als vor einigen Tagen die Maschinen in der Neuköllner Jacobs-Kaffeerösterei stillstanden, war es nicht die Schuld von Jürgen Köster. Trotzdem fühlte er sich genötigt, den Stillstand zu erklären: „Wegen der Feier“, sagte er ins Mikrofon, „das ist wegen der Feier.“ Der Moderator, der in einer Lagerhalle auf der Bühne stand und nicht mit der Erklärung gerechnet hatte, wiederholte: „Ja, wegen der Feier.“

Man muss Köster, den dienstältesten Elektriker des Werks, verstehen. Wer wie er seit 38 Jahren dafür sorgt, dass Deutschland seine „Krönung“ bekommt, der muss so etwas klarstellen. Die Bänder in den Produktionshallen standen auf Anweisung des Werkleiters still. Es gab etwas zu feiern.

Vor 50 Jahren eröffnete die Bremer Kaufmannsfamilie Jacobs einen Produktions- und Veredelungsbetrieb für ihren Kaffee in Berlin. 1981 zog der Betrieb von der Prinzenstraße in Kreuzberg ins benachbarte Neukölln. Alter und neuer Standort lagen unweit der Sektorengrenze, das Röstaroma war auch in Ost-Berlin zu riechen. Es ist wohl die oft bemühte Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet auf der West-Berliner Insel der bekannteste Kaffee der Bundesrepublik entstand, die Krönung von Jacobs.

Das Werk in der Neuköllner Nobelstraße ist die größte Kaffeefabrik der Weltmarke Kraft Foods. 1990 hatte Kraft Foods den Schokoladenhersteller und Kaffeeröster Jacobs Suchard gekauft. Kraft Foods ist der weltweit zweitgrößte Lebensmittelhersteller, 2010 hatte das Unternehmen einen Umsatz von 49 Milliarden US-Dollar (rund 37 Milliarden Euro) gemacht. Seit der Zusammenführung mit Cadbury ist Kraft Foods größter Anbieter von Süßwaren und Keksen.

Schokolade wird in Berlin nicht hergestellt, nur Trockenprodukte wie Kaffee und Tee laufen hier über die Bänder. In Neukölln sind rund 250 Mitarbeiter beschäftigt, auch sie hatten an jenem Tag ein paar Stunden frei. In Anzügen, Blaumännern oder weißen Hygienekitteln saßen sie an Biertischen in der Fertigwarenhalle. Ausnahmsweise war hier Platz. Nur am Rand stapelten sich Europaletten mit „Ziegelsteinen“, wie die 500-Gramm-Packungen genannt werden, die hier sonst lagern – bereit für die Weiterreise. Ein Teil der Berliner Produktion wird ins Ausland verkauft. Die Abnehmer sitzen in mehr als zwanzig Ländern, etwa in der Ukraine oder Russland. Der Großteil aber, rund zwei Drittel, ist für den deutschen Markt bestimmt.

Durchschnittlich 150 Liter Kaffee trinkt jeder Deutsche im Jahr. Das sind zweieinhalb Tassen pro Tag. Mehr als Mineralwasser (131 Liter) oder Bier (109 Liter). Der Trend geht weg vom Filterkaffee – hin zu Pads.

Auf der nächsten Seite: Ein Rekord, der ohne den Mauerfall nicht denkbar wäre

Auch im Röstwerk in Neukölln werden Pads hergestellt. 2004 wurde mit der Produktion der Tassimo T Discs begonnen, rund 20 Tonnen Kaffeepulver presst die Maschine pro Tag in die kleinen runden Plastikkapseln. Acht Gramm Krönung passen in eine Kapsel. „Der Anteil von Tassimo wird immer größer“, sagt Werksleiter Christian Mauer, „in diesem Jahr haben wir hier im Werk erstmals mehr Beschäftigte in diesem Bereich.“

Die Bohnen für die Krönung kommen hauptsächlich aus Brasilien, Kolumbien und Vietnam. Frisch geerntete Kaffeebohnen werden nicht mehr in Säcken transportiert, sondern lose in Containern. Zwei- bis dreimal die Woche macht sich in Bremen der Logistikzug auf den Weg ins gut 350 Kilometer entfernte Berlin. Die Gleise führen direkt bis in die Nobelstraße, wo seit 1993 rund 120 000 Tonnen Kaffeebohnen pro Jahr ankommen. Würde Jacobs dieselbe Menge via Autobahn transportieren, wären das 115 000 Lkw-Ladungen jährlich – und zwei Drittel mehr CO2 in der Luft.

Der Transport auf Schienen ist ein Baustein des Nachhaltigkeitskonzepts, dessen Kraft sich rühmt. Dazu gehört auch, dass mit der Abwärme aus der Neuköllner Rösterei die Gebäude beheizt werden.

Die Wärme erzeugen zehn sogenannte Jetzone-Röster. Sie stehen aufgereiht in einer der Hallen. Die Geräte stammen aus den USA, wo sie ursprünglich Erdnüsse rösteten. Jacobs adaptierte die Röster für Kaffeebohnen und erhöhte damit den Durchsatz gewaltig. Zwei Hallen weiter rattern neue silberfarbene Maschinen. Vollautomatisch setzen spinnenartige Greifarme leere Kaffeepads in ein Laufband. Am Ende der Produktionskette, die die Arbeiter durch transparente Plastikwände verfolgen, rollen fertige Tassimo-Päckchen vom Band, transportfähig verpackt für den Supermarkt. Acht Pads passen in einen Karton. Plastikkapsel und Aluminiumdeckel passen nicht zum Nachhaltigkeitskonzept. Zurzeit experimentiere man mit anderen Materialien.

Am Ende dieses Jahres wird das Neuköllner Werk erstmals mehr als 100 000 Tonnen Kaffee produziert haben. Ein Rekord, der ohne den Mauerfall nicht denkbar wäre. In den Jahren nach 1989 war der Absatz bei Jacobs schnell gestiegen, weil ihre Manager ein Vertriebsnetz im Osten aus dem Boden gestampft hatten. Der Berliner Standort erwies sich dafür als ideal. Vor dem Mauerfall war das anders: Inmitten der Sowjetzone zu produzieren, war eine zusätzliche logistische Belastung.

Davon zeugt das riesige Kaffeesilo, das man nie so groß gebaut hätte, hätte es nicht die Vorgaben vom Senat gegeben. Sollte Westberlin noch einmal von Nachschub abgeschnitten werden, wie zur Zeit der Luftbrücke, mussten genug Rohstoffe auf Lager sein, um noch eine Woche weiterproduzieren zu können. Ein Anreiz, trotzdem in Westberlin zu wirtschaften, war das Berlinförderungsgesetz. Firmen wie Jacobs erhielten großzügige Subventionen aus Bonn, unter anderem in Form von Steuererleichterungen.

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