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Wirtschaft: Die 35-Stunden-Woche – nur auf dem Papier

Die IG Metall will keine generellen Arbeitszeitverkürzungen mehr – Ausnahme Ostdeutschland

Berlin. Der Rainer aus Coburg weiß Bescheid. „Wir haben zwar auf dem Papier die 35-Stunden-Woche, aber in der Umsetzung gibt es große Probleme.“ Auf der Homepage der IG Metall beklagt der Gewerkschafter, dass Angestellte in der Metallindustrie im Schnitt 45 Stunden und Arbeiter bis zu 42 Stunden in der Woche ranklotzten. Dabei gibt es in der westdeutschen Metallindustrie schon seit 1995 die 35-Stunden-Woche – auf dem Papier. Denn in Wirklichkeit wird hier zu Lande immer länger gearbeitet.

Zwischen 1984 und 1999 wurden die tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeiten in der gesamten Wirtschaft zwar von 40 auf 37,4 Stunden verkürzt, die tatsächliche Arbeitszeit stieg jedoch von 43,7 auf 44,6 Stunden. Offenbar kommt die kollektive Arbeitszeitverkürzung nicht in der Realität an. Trotzdem macht die IG Metall mobil für einen weiteren großen Arbeitszeitschritt. Auf einer Arbeitszeitkonferenz in Mannheim steht in diesen Tagen die 35-Stunden-Woche für Ostdeutschland im Mittelpunkt; gegenwärtig arbeiten die Ost-Metaller 38 Stunden. Jedenfalls sagt das der Tarifvertrag. In Wirklichkeit dürften es, wie im Westen, ein paar Stunden mehr sein.

Klaus Zwickel, Vorsitzender der IG Metall, passt sich den Realitäten an. „Generelle Arbeitszeitverkürzungen“ hätten in absehbarer Zeit „keine tarifpolitische Priorität“, sagte Zwickel. Stattdessen will sich die Gewerkschaft auf „Fragen der Arbeitszeitgestaltung“ konzentrieren: „Die vollständige Erfassung aller Arbeitszeiten, mehr individuelle Rechte zur Arbeitszeitgestaltung, verbesserte Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Tarifverträge zur Gestaltung von Arbeitszeitkonten und den Ausgleich von Überstunden durch Freizeit.“ Das alles betrifft vor allem den Westen. Im Osten geht es dagegen um einen Stufenplan zur 35-Stunden-Woche, damit die „Gerechtigkeitslücke“ geschlossen wird, wie die IG Metall formuliert. IG–Metall-Vize Jürgen Peters rechnet vor, dass die Ostkollegen auf Grund der längeren Arbeitszeit 8,5 Prozent schlechter stehen als die Metaller im Westen. Auf das Jahr hochgerechnet „arbeiten die Leute im Osten praktisch einen Monat umsonst.“ Das bringe die Kollegen in Wallung. Peters spricht vom „bösen Blut“ unter den Gewerkschaftern.

In der Tat wird der Drei-Stunden-Unterschied hier wie da als Ärgernis empfunden. Im Westen ärgern sich die Metaller, dass die Arbeitgeber ihnen ständig die längere Arbeitszeit der Ostkollegen und damit die höhere Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Ost vorhalten. Im Osten, wo seit 1996 die gleichen Tariflöhne wie im Westen gelten, wollen die Metaller endlich auch bei der Arbeitszeit gleichziehen.

Der Druck auf die IG Metall nimmt zu, wie schon die Tarifrunde 2000 zeigte. Damals gab es keine Vereinbarung zur Arbeitszeitverkürzung, woraufhin 150 IG-Metall-Mitglieder aus dem sächsischen VW-Werk die Gewerkschaft verließen. Nun soll es in jedem Fall im kommenden Frühjahr klappen. Die IG Metall strebt einen Stufenplan an, so dass schrittweise über einige Jahre die 35-Stunden-Woche erreicht würde. IG-Metall-Vize Peters: „Wir werden einen sehr, sehr langen Atem brauchen.“

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall argumentiert natürlich für die längere Arbeitszeit, da sie „der letzte tarifliche Pluspunkt der Standorte in den neuen Bundesländern“ sei. Verschwinde dieser Vorteil, bedeute das weniger Investitionen und weniger Arbeitsplätze. Die 35-Stunden-Woche würde für die im Osten ansässigen Betriebe wie eine Lohnerhöhung von 8,6 Prozent wirken. Gesamtmetall: „Die Folge dieses Kostenschubs wäre ein Abbau von Arbeitsplätzen.“ Doch die Arbeitgeber signalisieren Kompromissbereitschaft: Wenn die ostdeutsche Metallindustrie die Produktivität des Westens erreicht, „kann auch die Arbeitszeit angeglichen werden“. Aber wann wird das sein?

Immerhin hat es bereits deutliche Verbesserungen für die Ost-Metaller gegeben. Bis 1990 betrug die Wochenarbeitszeit noch 43,75 und der Jahresurlaub stieg seitdem von 24 Tagen auf 30 Tage. Dennoch ist mancherorts mehr drin. Das VW-Werk in Mosel zum Beispiel ist mindestens so produktiv wie das Stammwerk in Wolfsburg. Also wäre dort die 35-Stunden-Woche sehr wohl verkraftbar.

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