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Wirtschaft: "Die Agenda-2000-Debatte wird kein Teekränzchen"

EU-Generaldirektor van der Pas über den neuen europapolitischen Ton aus Deutschland, die deutsche Ratspräsidentschaft und den EU-EtatTAGESSPIEGEL: Herr van der Pas, welchen Stellenwert hat die Währungsunion für die Europäische Union (EU) und für den Prozeß der europäischen Erweiterung?VAN DER PAS: Die Währungsunion ist ein Qualitätssprung.

EU-Generaldirektor van der Pas über den neuen europapolitischen Ton aus Deutschland, die deutsche Ratspräsidentschaft und den EU-Etat

TAGESSPIEGEL: Herr van der Pas, welchen Stellenwert hat die Währungsunion für die Europäische Union (EU) und für den Prozeß der europäischen Erweiterung?

VAN DER PAS: Die Währungsunion ist ein Qualitätssprung.Durch den Euro wird das europäische Bewußtsein verstärkt, die Union rückt den Menschen näher.Außerdem steigt das Ansehen der EU weltweit.Das heißt auch: Europa wird ernster genommen.Die Stabilität, die von der Währungsunion ausgehen wird, wird viele vom Euro und von Europa überzeugen.Für die Erweiterungsverhandlungen bedeutet das: Die EU wird nicht nur für die Beitrittskandidaten attraktiver, sie selber wird auch stärker für die Erweiterung.

TAGESSPIEGEL: Länder wie Schweden oder Großbritannien bleiben bewußt draußen.Wie dringlich ist deren Beitritt zur Währungsunion?

VAN DER PAS: Man kann niemanden zwingen.Die Briten können machen, was sie wollen.Es gibt für sie keinerlei Verpflichtungen, keine Zwänge.Aber niemand kann übersehen, daß sich die Briten bereits stärker für den Euro interessieren.Mit der Zeit wird es sich kein Land leisten wollen, im Abseits zu stehen.

TAGESSPIEGEL: Glauben Sie nicht, daß die durch den Maastricht-Vertrag verordnete Haushaltspolitik eine Erweiterung verhindern wird, weil sie zu teuer wird?

VAN DER PAS: Wenn die Mitgliedsstaaten in Zukunft nicht mehr nach Brüssel überweisen müssen als bisher, sehe ich keine finanziellen Engpässe.Selbst wenn die Wirtschaft nicht mit den erwarteten 2,5 Prozent sondern eher nur mit zwei Prozent wachsen sollte, reicht der finanzielle Spielraum noch für die Aufnahme neuer Mitglieder.Mit der Agenda 2000, dem neuen Finanzrahmen, dürfte es auch in den kommenden Jahren keine Probleme geben.Die Margen reichen aus.

TAGESSPIEGEL: Auch für schnelle Beitritte?

VAN DER PAS: Sogar für Beitritte, die theoretisch schon 2002 stattfinden würden.

TAGESSPIEGEL: Selbst auf die Gefahr hin, daß ein scheller Beitritt die Stabilität des Euro gefährde könnte?

VAN DER PAS: Es wird natürlich immer fraglicher, ob zu einem so frühen Termin Länder beitreten werden.Entscheidend ist erst einmal, daß der Geist der Stabilität der Währungsunion - und mithin der Union - zu der notwendigen Glaubwürdigkeit verholfen hat.Das darf man nicht unterschätzen.Auch in den Augen der Kandidaten ist das von herausragender Bedeutung.

TAGESSPIEGEL: Finden Sie es klug, daß der künftige Ratspräsident Gerhard Schröder den finanziellen Aspekt so stark in den Vordergrund stellt, und sagt: "Wir wollen nicht länger Zahlmeister der Union sein"?

VAN DER PAS: Das hat man vorher auch schon gehört.Es ist normal, daß man seine eigene Rechnung aufmacht, wenn es jetzt darum geht, sich auf einen neuen Finanzrahmen für die Union, auf die Agenda 2000, zu verständigen.Da gibt es Klagen von allen Seiten.Das ist richtig.Man muß sich manchmal die Wahrheit sagen.Es ist aber genauso wichtig klarzustellen, daß nicht alle Rechnungen in Geld auszudrücken sind.Man macht es sich zu einfach, wenn man sagt, wir zahlen zu viel und wollen Geld zurück.

TAGESSPIEGEL: Sie haben viel Verständnis für Schröder.

VAN DER PAS: Ich habe Verständnis für eine neue Regierung, die sich profilieren muß.Aber die Bedeutung der Teilnahme an der Europäischen Union läßt sich gerade für ein Land wie Deutschland nicht nur in D-Mark und Pfennig berechnen.Die deutsche Wirtschaft profitiert mit am meisten von der europäischen Integration.Außerdem sollte man nicht vergessen, daß die Deutschen, als es im Jahr 1990 um die Wiedervereinigung ging, auf die Solidarität anderer angewiesen waren.

TAGESSPIEGEL: Werden die Deutschen das rechtzeitig zur Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft begreifen?

VAN DER PAS: Keine Frage.Sie sind diejenigen, die die Kompromisse zustande bringen müssen.Und die Debatte um die Agenda 2000 wird kein Teekränzchen.Die Interessen liegen weit auseinander.Die einen wollen weniger zahlen, andere nicht weniger empfangen; besonders die ärmeren Länder, die meinen indirekt für die Erweiterung der Union bezahlen zu müssen.In den kommenden Jahren aber stehen nach wie vor enorme Mittel für die schwächeren EU-Mitglieder zur Verfügung.

TAGESSPIEGEL: Was erwartet Brüssel von der deutschen Ratspräsidentschaft?

VAN DER PAS: Die Agenda 2000 muß unter Dach und Fach gebracht werden.Wir brauchen außerdem einen funktionierenden Haushalt.Und zwar bis zum März.

TAGESSPIEGEL: Was passiert, wenn das nicht gelingt?

VAN DER PAS: Dann werden wir zwar weiter diskutieren, aber keine Beschlüsse mehr treffen können.Denn es sind im Juni Europawahlen.Erfahrungsgemäß wird das Parlament dann erst nach der Sommerpause zusammentreten.Mit anderen Worten: vor Oktober würde es nicht weitergehen.

TAGESSPIEGEL: Warum sind Sie so zuversichtlich?

VAN DER PAS: Weil wir keine Alternative haben.Was hätten wir für Schwierigkeiten, wenn wir keine haushaltsrechtliche Grundlage hätten.Wie schwierig würde es für die EU, ihre Position in der bevorstehenden nächsten internationalen Handelsrunde zu formulieren!

TAGESSPIEGEL: Viele Menschen glauben, daß mit der Erweiterung billige Arbeitskräfte kommen und die Arbeitslosigkeit verschlimmern.Beeinträchtigt dies die Erweiterungsverhandlungen?

VAN DER PAS: Wenn Emotionen mit im Spiel sind, ist das meist nicht der Sache dienlich.

TAGESSPIEGEL: Aber über die Freizügigkeit von Arbeit und deren Folgen muß man doch reden.

VAN DER PAS: Genauso wie über den Zugriff auf Immobilien in den östlichen Ländern.Nein, verhandlungstaktisch ist es nicht geschickt, jetzt darüber zu spekulieren, ob die Erweiterung womöglich zu einem Verdrängungseffekt auf dem Arbeitsmarkt führt.Es könnte der Eindruck erweckt werden, daß die EU eine Erweiterung nur noch mit Übergangsfristen verfolgt.

TAGESSPIEGEL: Tut sie das denn nicht?

VAN DER PAS: Es wird sehr wahrscheinlich Übergangsfristen geben, weil die Diskussion schon davongelaufen ist.Da helfen uns keine Studien, die belegen, daß die befürchteten Probleme in dem Umfang gar nicht eintreten werden.

TAGESSPIEGEL: Aber die EU-Kommission selbst will sich nicht auf ein Beitrittsdatum oder einen verbindlichen Zeit-Fahrplan festlegen.Was vergibt sie sich damit?

VAN DER PAS: Ehrlicherweise kann sich die Kommission nicht festlegen.Das wäre Unsinn.Die Union hat nicht wirklich detaillierte Kenntnisse über den Stand der Reformbemühungen in den Kandidatenländern.Nehmen wir das Beispiel Beihilfenpolitik.Auch hier müssen die Kandidaten die Regeln der EU annehmen.Bis heute tappen wir aber im Dunkeln.Wir wissen nicht, wo welche Beihilfen gezahlt werden.Selbst in Ungarn nicht.Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn die Kandidaten regelmäßig eine öffentliche Zwischenbilanz ziehen würden.Sie sollten die Erfolge ihrer Bemühungen regelmäßig dokumentieren.

TAGESSPIEGEL: Und wenn die Kandidaten ihre Hausaufgaben schneller machen als die EU-Länder?

VAN DER PAS: Das wird nicht der Fall sein.Die Aufgaben für die Kandidaten sind ungleich größer.Und ich habe keine Zweifel, daß wir in kurzer Zeit die Agenda 2000 unter Dach und Fach bekommen.

TAGESSPIEGEL: Was ist mit der Agrar- und der institutionellen Reform?

VAN DER PAS: Wir sind zum Erfolg verurteilt.Nehmen wir an, die Deutschen scheitern und es gibt keinen tragfähigen Haushalt für das Jahr 2000.Uns wird schon etwas einfallen, um nicht offiziell von Pleite sprechen zu müssen.Aber selbst das bedeutete noch nicht, daß die Erweiterung hinausgeschoben würde.Von Hinausschieben könnte man nur sprechen, wenn es jemals eine verbindliche Terminzusage gegeben hätte.Die hat es aber nicht gegeben.Die Zahl 2002 in der Agenda 2000 war eine Rechenübung und keine Vorhersage.

TAGESSPIEGEL: Wird die Mehrheit der sozialdemokratischen und sozialistischen Regierungen in der Union auf das Europa von morgen abfärben?

VAN DER PAS: Grundsätzlich gilt: Europa und die Integration waren schon immer stärker als einzelne Personen oder verschiedene politische Programme.Allerdings ist es durchaus zu begrüßen, daß nunmehr auch die Beschäftigungspolitik eine übergeordnetere Bedeutung in Europa bekommen soll.Und das ist tatsächlich eine Folge der Regierungswechsel in den Mitgliedsländern.

TAGESSPIEGEL: Bisher ist die europäische Beschäftigungspolitik nicht mehr als ein Versprechen.

VAN DER PAS: Aber es ist etwas anderes, wenn man sich plötzlich im Kreis der Partner rechtfertigen muß.Genau das ist das Ziel.Künftig wird man sich nicht nur die Inflation, die Defizite und Schulden ansehen, sondern auch die Arbeitslosenquoten.Das kann kaum schaden.Es muß nicht immer alles um das Geld gehen.Es geht oft - auch hier - eher um Reformen.

TAGESSPIEGEL: Und wo hört Europa auf?

VAN DER PAS: Dort, wo die Politiker eines Tages die Grenze legen werden.Jetzt gibt es noch keine konkrete Antwort darauf.

TAGESSPIEGEL: Gehört Zypern in die Europäische Union?

VAN DER PAS: Der Europäische Rat wollte gezielt Erweiterungsverhandlungen mit Zypern; auch als Katalysator, um eine politische Einigung herbeizuführen.Mein Verhandlungsmandat schließt Zypern nach wie vor ein.Und wir hoffen, daß am Ende auch die Türkei positive Signale gibt.

TAGESSPIEGEL:Gehört die Türkei zur Union?

VAN DER PAS: So, wie es der Europäische Rat deutlich gesagt hat.

TAGESSPIEGEL: Wir sprechen so oft von der Achse Bonn-Paris.Gibt es nicht mehr Gemeinsamkeiten zwischen London und Bonn, wenn es um die Osterweiterung der Union geht?

VAN DER PAS: Funktioniert die Achse Bonn-Paris, ist vieles möglich, was ohne sie unvorstellbar ist.Das beste Beispiel dafür ist die Währungsunion.Diese Achse, dieser Motor hat die Union bisher vorangebracht.Die Briten standen am Rande.Das ändert sich jetzt, was jeder begrüßen muß.Ein funktionierendes Dreieck wäre sicher sinnvoll.Es darf natürlich nicht auf Kosten der kleinen Staaten gehen.

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