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Wirtschaft: Die Arbeitslosen-Industrie

Die Jobkrise kostet Milliarden. Nicht jeden stört das – rund um die Arbeitsämter lebt eine ganze Branche prächtig vom Geld der Beitragszahler

WER AN DER BESCHÄFTIGUNGSKRISE GELD VERDIENT

Von Carsten Brönstrup

und Cordula Eubel

Der Mann hat eine Schwäche für goldene Siegelringe, teure Autos aus bayerischer Produktion und Luxushotels. Als großzügiger Behördenchef lässt er auch seine Mitarbeiter gern in schicken BMW-Limousinen durch die Gegend kurven, schaut bei den Spesen nicht auf den Euro, lässt die Säle seines Amtes mit den neuesten technischen Finessen ausstatten und beschäftigt teure, aber mäßig fähige Berater. Und statt im engen Nürnberg zu verwalten, jettet er gern und oft nach Berlin zur Bühne der großen Politik. Der Mann ist teuer – dabei soll er doch den armen Arbeitslosen ein Vorbild sein. Und angeblich nimmt er es sogar mit der Wahrheit nicht so genau – über sein Auftragsgebaren im Fall WMP soll er sogar den Bundestag belogen haben.

Über Florian Gerster, den Chef der Bundesanstalt für Arbeit (BA), steht viel in der Zeitung in diesen Tagen. Positiv ist es meistens nicht. Ob all die Vorwürfe und Anekdoten zutreffen, prüfen derzeit die Presse, die Politiker und der Bundesrechnungshof. Fest steht nur: „Viele sind von Gersters Vorgehen nicht gerade begeistert und streuen mit Vorliebe unschöne Gerüchte über ihn“, sagt einer aus dem Umfeld der BA vorsichtig. „Über seinen Rücktritt würden einige sogar Freudentränen vergießen“, sagt ein anderer.

Ein Interesse daran haben viele. Nicht nur die mehr als 90000 Mitarbeiter in der Nürnberger BA-Zentrale und den regionalen Arbeitsämtern, denen die unsanfte Reformpolitik ihres Chefs zusetzt. Rund um die riesige Behörde hat sich über die Jahre eine milliardenschwere Industrie gebildet, die gut vom Geld der Beitragszahler lebt. Knapp 57 Milliarden Euro darf die Bundesanstalt im kommenden Jahr ausgeben. Der große Teil davon fließt als Unterstützungszahlung an die Arbeitslosen. Doch ein beträchtlicher Batzen bleibt für die, die sich an der Arbeitslosigkeit schadlos halten. Das sind Firmen, die Bildungslehrgänge oder ABM-Einsätze organisieren, Berater, private Arbeitsvermittler oder Unternehmen, die sich die Einrichtung einer Personal-Service-Agentur von der BA bezahlen lassen.

Bis vor zwei Jahren funktionierte das Geschäft der Branche wunderbar. Dann aber deckte der Bundesrechnungshof auf, dass die Behörde viel weniger Arbeitslosen eine neue Stelle verschafft, als sie in ihren Statistiken behauptete. Seitdem hat sich viel geändert bei den Arbeitsämtern. Und in der Führungsetage: Florian Gerster kam an die Spitze der BA – und sagte der Verschwendung den Kampf an.

„Gigantische Verschwendung“

Als erstes strich er die ineffizienten und teuren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zusammen. „Die schaden eher, als dass sie den Arbeitslosen nützen“, sagt Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Zudem nahm Gerster die Weiterbildungs-Branche ins Visier. Rund 3,5 Milliarden Euro zahlte die BA bislang pro Jahr an Bildungsträger, die Arbeitslosen in Kursen Englisch, den Umgang mit Software oder die richtige Bewerbungsstrategie beibringen.

Doch gebracht haben diese Schulungen meist kaum etwas – gut ein Drittel der Teilnehmer stand nach dem Ende wieder ohne Job auf der Straße. „Die Kurse gingen oft am Markt vorbei, weil Planung und Genehmigung so lange dauerten, dass die Inhalte auf dem Arbeitsmarkt schon gar nicht mehr gefragt waren“, sagt Heinz Streicher, Unternehmensberater bei der Consulting-Firma Lünendonk. „Eine gigantische Verschwendung“, bestätigt Martin Werding, Arbeitsmarkt-Fachmann beim Münchener Ifo-Institut. Auch das soll sich ändern: Seit Jahresbeginn bezahlen die Arbeitsämter nur noch dann Weiterbildungen, wenn absehbar ist, dass mindestens sieben von zehn Teilnehmern danach eine reguläre Stelle finden.

Ein Schaden ist das nicht, meinen viele. Denn die Weiterbildungs-Unternehmen sind dominiert von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Beide Lager sitzen pikanterweise zugleich im Verwaltungsrat der BA, wo sie zusammen mit dem Staat darüber befinden, wohin das Geld der Beitragszahler fließt – zum Beispiel an die Weiterbildungsträger. Im deutschen Sozialstaat nennt man das Selbstverwaltung. „Weit hergeholt“ findet Rudolf Helfrich vom Bundesverband beruflicher Bildung Vorwürfe über mögliche Interessenkonflikte. Dirk Niebel nicht. „Ein Kartell“ nennt der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP das Interessengeflecht in der BA. Es führe dazu, dass Beitragsgelder „nicht effizient“ eingesetzt würden – und nun im Verwaltungsrat gegen die neue Politik Gersters laut protestiert werde.

Das wahre Problem der Bundesanstalt ist aber nicht ihre Führung und auch nicht, dass sie von vielen für ihre Interessen missbraucht wird, sagt Hilmar Schneider, Direktor am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. „Die BA ist überfrachtet mit Aufgaben – ein Tanker, der nur noch schwer zu steuern ist“, findet er. Effizient arbeiten könne die Behörde erst, wenn sie „radikal entschlackt“ werde. „Die Vermittlung würde mit kleinen, dezentralen Jobbüros, die nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisiert sind, viel besser funktionieren“, schätzt Schneider. Zudem sei es gerechter, wenn strukturschwache Regionen aus Steuermitteln unterstützt würden – und nicht aus dem Topf der Bundesanstalt. Willkommener Effekt: „Mit einer solchen Reform kann der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um die Hälfte sinken, und hunderttausende neue Jobs würden entstehen.“ Und Florian Gerster müsste sich um seinen Posten sicherlich keine Sorge mehr machen.

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