zum Hauptinhalt

Wirtschaft: "Die Atemlöcher werden verstopft"

Was der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer im nächsten Jahr für die Unternehmen bringen wirdVON KATHRIN SPOERRZum Beginn des kommenden Jahres entfällt die Gewerbekapitalsteuer.Mit Genugtuung reagieren jene, die die Abschaffung dieser aus wissenschaftlicher Sicht ungerechten Substanzsteuer stets gefordert hatten.

Was der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer im nächsten Jahr für die Unternehmen bringen wirdVON KATHRIN SPOERR

Zum Beginn des kommenden Jahres entfällt die Gewerbekapitalsteuer.Mit Genugtuung reagieren jene, die die Abschaffung dieser aus wissenschaftlicher Sicht ungerechten Substanzsteuer stets gefordert hatten.Doch wie hoch ist die ersehnte Entlastung der Unternehmer tatsächlich? Nur am Rande wurde bisher erörtert, wie der Staat das Geld wieder hereinholt, das ihm künftig entgehen wird.Was sich hinter dem Wort "Gegenfinanzierung" verbirgt, ist in Wahrheit eine breite Zugriffspalette auf Unternehmergewinne.Unter dem Strich, das prophezeien Finanzwissenschaftler, werden die Unternehmen stärker belastet werden.Stichpunktartig sollen hier einige wesentliche Änderungen beleuchtet werden, mit denen Unternehmen künftig konfrontiert sind. Rückstellungen, die Firmen bilden, um drohende Verluste aus schwebenden Geschäften aufzufangen, sind künftig nicht mehr zulässig.Dies gilt rückwirkend schon für 1997.Alte Rückstellungen müssen in den folgenden sechs Jahren aufgelöst werden.Damit verlieren Unternehmen den Zinsvorteil, der ihnen sicher war, wenn sie jenen Gewinn erst, wie bisher, in einer späteren Periode ausschütteten, und der sich zu beträchtlichen Summen addieren konnte, insbesondere bei risikofreudigen Unternehmen.Wer sich künftig auf solche Risiken einläßt, wie sie etwa im Exportgeschäft durch schwankende Wechselkurse entstehen, wird diese Geschäfte künftig doppelt prüfen. Damit wird per gesetzlichem Zwang erneut das grundlegende Prinzip des deutschen Steuerrechts eingeschränkt: daß die realen wirtschaftlichen Handlungen auch steuerlich maßgeblich sind, daß also, die Handelsbilanz Grundlage der Steuerbilanz ist."Dies widerspricht eklatant dem Ziel der Vereinfachung, da in der Handelsbilanz, wie bisher, sämtliche Rückstellungen weiter gebildet werden müssen" sagt Sven-Christian Witt, Steueranwalt im Berliner Büro von Gleiss & Partner.Handels- und Steuerbilanz drifteten immer weiter auseinander.Wolfgang Apel, Partner bei der Berliner KPMG, wagt einen Blick in die Zukunft: "Harte Diskussionen mit den Finanzämtern und verstärkte Flucht in Bewertungsspielräume" werde es geben, um dem Zugriff zu entgehen. Um die Begradigung einer ungerechtfertigten Vergünstigung handelt es sich in den Augen des Fiskus auch bei der künftig vorgesehenen Versteuerung von Sanierungsgewinnen.Tatsächlich profitierte früher der Käufer, wenn er ein hoch verschuldetes Unternehmen kaufte und die Gläubiger die Schulden erließen. Diese Begünstigung war vom Gesetzgeber gewollt: Unternehmen in der Krise sollte mit Verlustvortrag und Steuerfreiheit erlassener Schulden unter die Arme gegriffen werden.Künftig, urteilt Apel, wird eine solche Firma nur noch schwieriger einen Käufer finden und eher in den Konkurs gehen - "mit allen Folgen für den Arbeitsmarkt". Starke Kritik der Beobachter provoziert der Eingriff des Gesetzgebers in private Unternehmensverkäufe.Nicht mehr 30 Millionen Mark wie bisher werden künftig mit dem halben Satz besteuert, sondern nur noch 15, vom Jahr 2001 an sogar nur noch zehn Millionen Mark.Diese Einschränkung, die vor allem mittelständische Unternehmer hart trifft, wird sowohl von Betriebswirten und Rechtsanwälten als auch von Volkswirten heftig kritisiert. Nach Überzeugung Apels von der KPMG wird es Unternehmern künftig noch schwerer fallen, sich "zum richtigen Zeitpunkt" vom Familienbetrieb zu trennen.Jedes Verzögern aus steuerlichen Gründen führt aber nach Erfahrung des Beraters zu zum Teil rapiden Wertverlust des Unternehmens.Rechtsanwälte zweifeln zudem an der Systemgerechtigkeit dieser Veränderung."Schlicht willkürlich" sei die Grenze festgesetzt, urteilt Gleiss-Anwalt Witt."Sie war auch schon bei 30 Millionen nicht inhaltlich gerechtfertigt.Aber von nun an werden einfach viel mehr Unternehmer betroffen sein." Bedenken grundsätzlicher Art kommen von den Volkswirten.Der Erlös eines Unternehmensverkaufs dürfte in den Augen von Manfred Rose, Ordinarius für Finanzwissenschaft an der Universität Heidelberg, gar nicht besteuert werden."Das Kapital, das der Unternehmer verkauft, hat er aus Gewinnen gebildet, die schon versteuert wurden.Und zwar nicht zu knapp." Rose sieht in diesem Zugriff Selbstbedienung eines Gesetzgebers, der hier wenig öffentlichen Widerstand erwarten darf, weil es in der öffentlichen Meinung "den Richtigen" trifft."Die Bevölkerung ist völlig unaufgeklärt", beklagt Rose. Ob alle diese Eingriffe vor den Gerichten Bestand haben werden, ist offenbar zweifelhaft.Gleiss-Anwalt Witt hofft vor allem, daß die rückwirkenden Regelungen (mit denen Rechtsformwechsel retrospektiv steuerlich bestraft werden sollen) von der Finanzverwaltung gekippt werden.Die Rückwirkung auf 1997 sei ein "bisher einmaliges Vorgehen des Gesetzgebers", mit dem "jede Planungssicherheit verloren geht". Finanzwissenschaftler Rose geht weiter: Die Regierung ergehe sich in steuerlicher Flickschusterei.Mit keinem System sei der steuerliche Status quo Deutschlands konform, sagt Rose, der selbst in Kroatien ein konsumorientiertes System installierte, auf das die dortige Wirtschaft mit starken Wachsumsraten reagiert. Der deutsche Fiskus hingegen verfalle in das "Finanzgebaren des vergangenen Jahrhunderts".Doch während es vor 150 Jahren "steuerliche Atemlöcher" gegeben habe, täten Politiker heute alles, diese Atemlöcher zu verstopfen."Und das ist das letzte, was unsere Wirtschaft derzeit brauchen kann."

KATHRIN SPOERR

Zur Startseite