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Wirtschaft: Die Besten gehen zuerst

In harten Zeiten kürzen die Unternehmen zuerst beim Personal – doch damit gefährden sie ihre Zukunft, warnen Fachleute

Wenn Firmen sparen, fangen sie bei den Mitarbeitern an. In konjunkturschwachen Zeiten reduzieren Unternehmen in erster Linie Personalkosten. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Und wenn Personal abgebaut wird, dann trifft es zuerst die älteren und die ganz jungen Mitarbeiter. „Die Jungen wird man leichter los, oder man übernimmt die Auszubildenden gar nicht erst“, sagt Hartmut Buck, Teamleiter beim Fraunhofer IAO. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen.

In der Industrie hat es die große Entlassungswelle in der Mitte der 90er Jahre gegeben. In eineinhalb Jahren wurden dort eine Million Arbeitsplätze abgebaut. Von gut sieben Millionen blieben nur gut sechs Millionen übrig. Dabei sind auch viele qualifizierte Mitarbeiter entlassen worden. Als es wieder aufwärts ging, stellten die Unternehmen fest, dass sie diese Qualifikationen nun dringend benötigten, aber diese auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung standen. Schlimmer noch: Damals entschieden sich immer weniger junge Menschen für ein Ingenieurstudium, weil sie befürchteten, in diesem Bereich sowieso keinen Job zu bekommen. „Der von der Industrie beklagte Mangel an Fachkräften, war mithin zumindest teilweise selbst produziert“, sagt Kurt Hornschild, Leiter der Abteilung Innovation, Industrie, Dienstleistung beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Vom Arbeitsplatzabbau in den 90er Jahren waren vor allem ältere Mitarbeiter betroffen. „Heute gibt es in vielen großen Unternehmen kaum noch Mitarbeiter über 50“, sagt Hornschild. Größere Einbrüche in der Beschäftigung erwarte er in der Industrie trotz der schwachen Konjunktur momentan nicht. Aber: „Wo jetzt noch abgebaut wird, muss es zwangsläufig die Jungen treffen.“

Personalabbau kann auch kosten

„Wenn ein Unternehmen mit dem Betriebsrat einen Sozialplan aushandelt, dann sind es die jungen alleinstehenden Mitarbeiter, die bei der Sozialauswahl auf eine niedrige Punktzahl kommen und als erste gehen müssen“, sagt Martin Wolff, Managing Consultant bei der Unternehmensberatung Cap GeminiErnst&Young. Neben dem gewünschten Ziel, das Personal zu reduzieren, kann es dabei zu einem unerwünschten Nebeneffekt kommen: „Die Besten gehen zuerst“, sagt Wolff. Die wissen nämlich, dass ihr Marktwert deutlich sinken wird, wenn die Tatsache, dass ihr Unternehmen Personal abbaut erst einmal publik geworden ist. Sie suchen sich vorher einen neuen Posten.

Dabei ist es keineswegs gesichert, dass der Personalabbau zu sinkenden Kosten führt: „Die Entlassung von Ingenieuren rechnet sich betriebswirtschaftlich nicht in allen Fällen“, sagt Buck vom Fraunhofer IAO. „Die Hälfte der in der Studie befragten Unternehmen sagte, dass die erwarteten Einsparungen sich nicht haben realisieren lassen.“ Oft stellen Unternehmen nämlich später fest, dass eine Know-how-Lücke entsteht. „Dann müssen die Unternehmen das fehlende Know- How wieder zukaufen“, sagt Buck. Die kurzfristige Personalplanung kann sich auch später noch als teuer erweisen: Wenn die Konjunktur wieder anzieht, müssen die Firmen ihre Rekrutierungsmaßnahmen wieder intensivieren – mit den entsprechenden Kosten. Und ein Unternehmen, dass zuvor massiv Mitarbeiter abgebaut hat „ist als Arbeitgeber nicht besonders attraktiv“, sagt Buck.

Heute findet der Beschäftigungsabbau überwiegend in den großen Dienstleistungsbereichen statt. „Bei den Banken etwa herrschte früher absolute Jobsicherheit, jetzt absolute Verunsicherung“, sagt Hornschild vom DIW. Beschäftigungsabbau ist zwar nicht gleichbedeutend mit Entlassungen, dennoch kann er die Entwicklungsmöglichkeiten der Unternehmen limitieren. „Der Stellenabbau funktioniert meist so, dass Neueinstellungen weitgehend unterbleiben. Es kommen keine neuen Qualifikationen ins Unternehmen“, sagt Hornschild.

Durch Innovationen wachsen

Gegenwärtig schauten die Unternehmen zu sehr auf die eine Seite der Medaille, die Kostensenkung. „Sie fragen zu wenig, wie sie ihr Potenzial besser nutzen können und durch Innovation und neue Leistungen wachsen und ihre Marktposition verbessern können“, kritisiert Hornschild. Das Problem: Die Kostensenkungen zeigen sich sofort, die positiven Effekte aus Innovationen erst später.

Dennoch haben Unternehmen aus den negativen Erfahrungen der Vergangenheit gelernt. Viele setzen flexible Arbeitszeitmodelle ein, reduzieren Überstunden, bieten Teilzeit an, bevor sie Mitarbeiter nach Hause schicken. Siemens etwa hat nach dem letzten Stellenabbau im Frühjahr Vorsorge getroffen, um qualifizierte Mitarbeiter ans Unternehmen binden zu können. Das Programm heißt „sabbatical plus“. Es sieht vor, dass Mitarbeiter sich bis zu 24 Monate ausklinken und damit ihre Stelle retten können. Das Gehalt wird in dieser Zeit bei geringerer Arbeitszeit reduziert beziehungsweise ausgesetzt. Das Programm soll in Bereichen zum Einsatz kommen, wo es nach Auffassung von Siemens nur eine vorübergehende Konjunkturdelle gibt.

Wer Personal abbauen muss und dennoch zukunftsfähig bleiben will, muss den verbliebenen Mitarbeitern vermitteln, wie es weiter gehen soll. „Es muss einen klaren Plan geben, der den Leistungsträgern eine Perspektive im Unternehmen aufzeigt“, sagt Berater Wolff. „Ich muss Erfahrung, Potenzial und Veränderungsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter beurteilen“. Sonst werde die Auswahl beliebig. Und gefährlich für das Unternehmen. Wolff ist allerdings nicht allzu pessimistisch. „Die meisten Unternehmen haben dazu gelernt. Sie wissen, dass sie mittelfristig ein Problem bekommen, wenn sie sich nicht um den Nachwuchs kümmern.“ Umgekehrt ausgedrückt heißt das: „Diejenigen, die das nicht begriffen haben, werden bald keine Handlungsmöglichkeit mehr haben.“

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