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Wirtschaft: „Die Bundesregierung setzt sich zwischen alle Stühle“

Die neue Pendlerpauschale ist verfassungsrechtlich bedenklich und unsinnig Von Rolf Peffekoven

Zwei Positionen lassen sich bei der Pendlerpauschale vertreten. Die erste – vom Autor dieses Beitrags seit Jahren verfochtene – lautet: Die Wahl des Wohnortes ist eine private Entscheidung; Aufwendungen für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind als Kosten der privaten Lebensführung steuerlich unerheblich. Nach dem Grundsatz „Die Arbeit beginnt am Werkstor“ ist die Pendlerpauschale eine Steuervergünstigung, die ersatzlos zu streichen ist.

Die zweite Auffassung, die wohl von der Mehrheit vertreten wird, sieht in den Aufwendungen für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Werbungskosten, die erforderlich sind, um das Einkommen zu erzielen und zu sichern. Nach dem Nettoprinzip müssten diese bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage berücksichtigt werden; die Pendlerpauschale stellt bei dieser Argumentation keine Steuervergünstigung dar. Dabei wird man schon aus Gründen der Steuervereinfachung zwar mit pauschalierten Ansätzen arbeiten können. Begrenzungen der Abzugsmöglichkeit auf eine Mindest- und Höchstentfernung sowie die geltende Begrenzung auf 4500 Euro (wenn kein eigener Pkw genutzt wird) sind hier aber unangebracht und ein Verstoß gegen das Nettoprinzip.

Der Bundesregierung ist nun das Kunststück gelungen, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Auf der einen Seite will sie durch eine Kürzung der Pendlerpauschale Mehreinnahmen erzielen, aber offenbar die Mehrzahl der Pendler auch nicht verärgern – nach dem Motto: Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass. Zwar stimmt sie neuerdings der Position „Die Arbeit beginnt am Werkstor“ zu, zieht daraus aber nicht die gebotene Konsequenz, die Pendlerpauschale zu streichen. Stattdessen hat sie eine Neuregelung beschlossen und gewährt die Pauschale zwar weiterhin, schränkt sie aber in der Weise ein, dass sie erst ab einer Entfernung über 20 Kilometer in Anspruch genommen werden kann. Dieser Verstoß gegen das Nettoprinzip wird eine Fülle von Rechtsstreitigkeiten auslösen und wohl auch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht nach sich ziehen. Das hat die Bundesregierung offenbar erkannt und zählt die neue Pendlerpauschale nicht mehr zu den Werbungskosten, für die das Nettoprinzip zu beachten wäre. Die Pendlerpauschale kann nunmehr wie Werbungskosten bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Damit wird das Nettoprinzip formal umgangen. Als Begründung wird die „Vermeidung von Härten für Fernpendler“ angeführt; das bringt aber die Pendlerpauschale in die Nähe der „außergewöhnlichen Belastungen“, ohne dass die Voraussetzungen dafür (Paragraf 33 Einkommensteuergesetz) erfüllt wären. Danach müsste sogar für jeden Pendler eine zumutbare Eigenbelastung ermittelt und von der Pauschale abgezogen werden. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Regelung ist steuersystematisch nicht zu begründen. Es zeigt sich, dass die große Koalition offenbar wie die Vorgängerregierung gewillt ist, sich über steuerpolitische Grundsätze leichtfertig hinwegzusetzen. Auch in dieser Hinsicht sollte sie schleunigst eine Wende einläuten.

Professor Peffekoven ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Universität Mainz und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium.

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