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Wirtschaft: „Die Energiepreise gefährden unsere Industrie“

Werner Marnette, der Chef der Norddeutschen Affinerie, über Energiepolitik, den Standort Deutschland und seine Erwartungen an eine Kanzlerin Merkel

Herr Marnette, Sie sind CDUMitglied. Was erwarten Sie von einer CDU-geführten Bundesregierung?

Es muss besser als bisher erkannt werden, dass Energiepolitik Standortpolitik ist, die man von Ideologien freihalten muss. Wir haben seit Jahren – beginnend schon in den Neunzigern – der Ökologie Vorrang gegeben. Das führt zu dramatischen Kostennachteilen. Andere in der Welt werden da nie auf unsere Standards kommen. Die Welt ist in der Wirtschaft global, aber auch im Umweltschutz. Da hat man bei uns völlig den Maßstab verloren. Wir sind in der absurden Situation, dass die Energiepolitik in zwei Verantwortungen liegt: beim Umweltminister und beim Wirtschaftsminister. Das gehört in eine Hand, ins Wirtschaftsministerium.

Was halten Sie vom Programm der Union?

Ich finde ein paar gute Ansätze, aber nicht die Klarheit, die ich mir wünsche.

Die CDU wird Ökosteuer, Emissionshandel und Strombörse nicht abschaffen.

Das kann ich nicht akzeptieren. Diese Doppel- und Dreifachbelastungen erwürgen industrielles Handeln. So setzen wir die Deindustrialisierung fort. Ich erwarte ein ganz klares energie- und industriepolitisches Konzept einer CDU-geführten Bundesregierung. Wir laufen Gefahr, die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Ich investiere doch nicht in eine energieintensive Technologie, wenn sich in den letzten zwei Jahren die Preise an der Strombörse ungebremst verdoppelt haben, während die Erzeugungskosten nur um 20 Prozent gestiegen sind.

Was muss passieren?

Ein wahrer Paradigmenwechsel. Ich bin für erneuerbare Energien, die haben ihren Stellenwert im Energiemix. Nur muss man dann auch so konsequent sein, dass die Förderung degressiv ist und Wettbewerb herrscht. Die Umweltpolitik ist das eine, die Umstrukturierung des Strommarktes das andere. Beide Entwicklungen sind verhängnisvoll und hängen miteinander zusammen. Die Politik hat ja geduldet, dass wir jetzt ein Oligopol der Stromerzeuger haben. Die Energiepreise sind das Bedrohlichste für die Industrie. Das ist Wohlstand, der abfließt. Da muss die Bundesregierung etwas tun, aber auch die EU. Deswegen habe ich die Wettbewerbskommissarin angeschrieben und mit dem Energiekommissar gesprochen. Wir brauchen den europäischen Binnenmarkt. Die Grenzen müssen für Stromlieferungen geöffnet werden. Wir sind in einer fatalen Insellage.

Um die Norddeutsche Affinerie steht es doch gar nicht schlecht.

Wir haben einen sehr guten Cashflow, und wir werden am morgigen Dienstag gute Quartalszahlen vorlegen. Aber sie könnten noch besser sein, wenn ich zu fairen Energiepreisen versorgt würde.

Sind Sie so gut wie im vorigen Quartal – da waren es gut 60 Prozent mehr Gewinn?

Ich darf das ja nicht sagen. Aber Sie werden sehen, wir sind in der Kontinuität.

Kennen Sie Frau Merkel persönlich?

Ja, schon lange, schon seit sie Umweltministerin war. Ich glaube, sie ist eine ganz außergewöhnliche Frau. Ihr klarer Blick, ihr klares Verständnis, das hat mich schon damals überzeugt. Ich habe sie seitdem häufig erlebt, auch in Gesprächen über Energiepolitik, und ich kann nur sagen: Die Dame versteht was davon. Ich traue ihr das Amt zu. Dass das eine Herausforderung wäre, ist klar. Die Figuren um sie herum sind nicht gerade einfach.

Ist die große Zeit der Industrie in Deutschland vielleicht vorbei?

Nein, definitiv nicht. Ich kann nicht mit der Aussage der CDU leben, dass wir uns im Übergang vom Industriezeitalter zum Wissenszeitalter befinden. Industrie ist Wissen. Industrie ist Technologie. Wir können uns nicht erlauben, Industriearbeitsplätze aufzugeben. Überlegen Sie doch mal, wie viele junge Menschen es gibt, die nicht die Fähigkeiten haben, um ein Studium zu absolvieren, aber hervorragendes manuelles Können. Wo bleiben wir denn mit denen? Wir treiben gerade die Aluminiumindustrie aus dem Land, aber wir vergessen, dass wir diese Wertschöpfung brauchen. Hier in Hamburg! Eine Aluminiumschmelzhütte aufgeben, da kann man sagen, na und. Aber am Ende der Wertschöpfung steht der Flugzeugbau, den wir ja alle wollen.

Die Norddeutsche Affinerie verlegt ihre Wertschöpfung zum Teil nach China.

Nein. Wir sind dabei, einen Parallelschritt zu machen. Wir wollen die Technologie, mit der wir hier sehr erfolgreich sind, in China duplizieren. Damit geben wir hier nichts auf, sondern partizipieren am schnell wachsenden Kupfermarkt in China. Die Entscheidung müssen wir spätestens zum Jahresende treffen. Wir würden 50, 55 Millionen Euro investieren.

Sie haben hier hohe Lohn- und Energiekosten – warum produzieren Sie hier?

Europa hat ein schwaches Wachstum, aber ist nach wie vor ein interessanter Markt. Europa hat einen Kupferbedarf von über vier Millionen Tonnen im Jahr. Kupfer ist ein Metall, das in alle Lebensbereiche reicht. Selbst relativ bescheidende Wachstumsraten erzeugen relativ große Mengen. Eine Norddeutsche Affinerie hat in ihrer heutigen Konstellation immer eine Berechtigung. Wir haben Hochtechnologie hier, wir entwickeln uns weiter. Wir haben eine permanente Unruhe im Betrieb, das wissen meine Mitarbeiter. Ohne Unruhe läuft hier nichts.

Unruhe gibt es auch im energiepolitischen BDI-Arbeitskreis, den Sie leiten. Die Energieversorger sind nicht glücklich mit Ihnen.

Die Verbraucher aber schon.

Lassen Sie sich aus dem Amt drängen?

Das ist eine Konfliktsituation, die der BDI kaum lösen kann. Damit muss ich sorgfältig umgehen. Aber wie auch immer – das ist kein Rausdrängen. Ich möchte nicht, dass der BDI Schaden nimmt. Ich möchte aber weiter meine Meinung in aller Deutlichkeit sagen.

Dafür brauchen Sie den BDI nicht.

Nein, dafür brauche ich ihn nicht. Aber der BDI darf nicht beschädigt werden.

Wie beschädigt ist das Bild des Unternehmers nach den jüngsten Korruptionsskandalen in der Wirtschaft?

Das sind Auswüchse, 99 Prozent der deutschen Unternehmen haben nichts damit zu tun. Aber getroffen hat mich diese Heuschreckendebatte, weil ich ja viel mit ausländischen Investoren spreche. Wissen Sie, wir brauchen Finanzmittel, ich brauche meine ausländischen Aktionäre, die Vertrauen zu uns haben. Solche üblen Debatten müssen wirklich aufhören.

Bringen Sie so etwas mit dem Anschlag auf Sie in Verbindung?

Ich weiß nicht, warum man mich ausgesucht hat. Ich bin nicht der Ausbeuter. Ich tue eine Menge für diese Firma und die Arbeitsplätze hier.

Wie hat sich Ihr Leben geändert?

Ich glaube, dass ich vieles bewusster tue. Ich habe jetzt rund um die Uhr Polizei und Sicherheitsdienste bei mir zuhause. Das ist eine gewaltige Einschränkung, vor allem für meine Frau. Aber eines war gut: zu sehen, wie sich Kollegen, Mitarbeiter, Freunde mit einem solidarisieren. Auch Politiker. Ole von Beust hat seinen Urlaub unterbrochen, das fand ich gut.

DER MANAGER

Werner Marnette (60) ist Vorstandschef der Norddeutschen Affinerie (NA) in Hamburg, dem größten Kupferproduzenten und - verarbeiter Europas. „Napoleon“ nennt ihn die Branche, weil er die „Affi“ gegen alle Widrigkeiten 1998 an die Börse brachte und auf Erfolg trimmte.

DER LOBBYIST

Marnette leitet den energiepolitischen Arbeitskreis des Bundesverbandes der Industrie (BDI) sowie den Industrieverband Hamburg.

DAS OPFER

Ende Juli zündeten Unbekannte seinen Dienstwagen an. In einem Bekennerbrief wurde unter anderem gefordert, „den Widerstand gegen den G8-Gipfel in Gleneagles weiterzutragen“.mod

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