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Wirtschaft: Die erste reguläre Sitzung in Berlin eröffnet

Ein kleines bisschen Wehmut war bei manchen Hauptstadt-Korrespondenten schon zu spüren, als sie sich am Montagnachmittag "zur ersten regulären und regelmäßigen" Bundespressekonferenz der Nach-Bonn-Ära in Berlin versammelten. Und sei es auch nur wegen vermeintlich profaner Dinge.

Ein kleines bisschen Wehmut war bei manchen Hauptstadt-Korrespondenten schon zu spüren, als sie sich am Montagnachmittag "zur ersten regulären und regelmäßigen" Bundespressekonferenz der Nach-Bonn-Ära in Berlin versammelten. Und sei es auch nur wegen vermeintlich profaner Dinge. "Mir wird die Raucherecke fehlen", sagt Hans-Jürgen Leersch, zehn Jahre lang Bonn-Korrespondent des "Münchner Merkur" und jetzt Regierungs-Korrespondent der "Welt". Dabei schaut er über eine Reihe schicker Chromstühle hinweg, auf denen sich nach und nach die Journalisten niederlassen: Neu sind diese Chromstühle, aber kein einziger Aschenbecher weit und breit. An der grauen Wand hängt ein Schild mit einer durchgestrichenen Zigarette. Ganz anders in Bonn: Jeder Stuhl der äußeren Sitzreihen war dort mit einem Ascher ausgestattet.

Und noch etwas anderes fällt ins Auge: Die Wand hinter dem Podium mit den Regierungsvertretern ist blau. Ein kühles, nüchternes Blau. Kein warmes Holz wie in Bonn. Kaltes Metall. Das schmerzt Alfred Gertler, Korrespondent des "Flensburger Tageblatts" und Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz. Er vermisst die braune Mahagoni-Wand, die seit Jahrzehnten das Bild der Bundespressekonferenz prägte. "Die Holzwand war das Markenzeichen", sagt er, "die blaue Wand ist zu beliebig." Gerne hätte Gertler das markanteste Kennzeichen der Bundespressekonferenz mit nach Berlin genommen. Aber die meterhohe Wand blieb zurück. Sie war zu einem Symbol für Bonn geworden. "Die Wand war Bonn, Bonn war die Wand", schrieb kürzlich ein Korrespondent.

Jeder Fernsehzuschauer kannte die quadratischen Paneele an der Stirnseite des Saales. 50 Jahre lang gaben sie die Kulisse für Fotos und Fernsehaufnahmen von Politikern ab, für Regierungserklärungen, Journalistenfragen und Politikerantworten. Knapp 10 000 Sitzungen der Bundespressekonferenz haben vor dieser Täfelung stattgefunden. Zwischendurch war sogar überlegt worden, sie im Haus der Geschichte auszustellen. Dann entschied sich das Bonner Museum aber für ein paar kleinteiligere Stücke aus dem historischen Saal. In Zukunft will der Hausbesitzer, die Allianz-Versicherung, den Mahagoni-Saal als Mehrzweckhalle nutzen.

Vor der nun blauen Wand im Saal der Berliner Dienststelle des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung versammeln sich an diesem Montag Vize-Regierungssprecherin Charima Reinhardt und die Sprecher der Ministerien. "Dies ist ein historischer Moment, und gleichzeitig ist es eine Routineveranstaltung", sagt Alfred Gertler in seiner Funktion als Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz. "Vom Raumschiff Bonn haben wir uns auf den Flugzeugträger Berlin gebeamt." Mit der Bundespressekonferenz ist eine jener Bonner Institutionen nach Berlin gezogen, die die politische Kultur der Bundesrepublik geprägt haben. Oder zumindest die öffentliche Wahrnehmung von Politik. Die Konferenz war eine der wichtigsten Quellen für die Journalisten. Die drei Sitzungen pro Woche - jeweils montags, mittwochs und freitags - lieferten die Themen und Bilder, aus denen dann im Fernsehen und in den Zeitungen die Nachrichten wurden. Gleichzeitig aber war sie ein Ort, an dem Journalisten die Vertreter der Regierung ins Kreuzverhör nehmen konnten. Ein Symbol für die Unabhängigkeit der Presse. Hier darf jeder Journalist fragen, was er will. Und jeder Regierungsvertreter muß antworten - und sei es nur so, wie es Sprecherin Reinhardt an diesem Montag tut, als sie nach der Meinung Gerhard Schröders zu den Steuerplänen Peter Strucks gefragt wird: "Der Kanzler ist im Urlaub, er will sich dazu nicht äußern."

Die Regie bei dieser Veranstaltung führen nicht die Politiker, sondern die Journalisten. Die Regierungsvertreter sind stets nur Gäste des Vereins Bundes-Pressekonferenz e. V. Und der wird von Journalisten geleitet. Im Jahre 1949 wurde er gegründet, mehr als 800 Mitglieder zählt er heute bereits. Den Vorsitz hat übrigens derzeit Tagesspiegel-Korrespondentin Tissy Bruns.

Kenner der Bonner Bundespressekonferenzen staunten am Montag, wie viele Journalisten sich im großen Saal des Bundespresseamtes drängelten, der den Journalisten als Provisorium dient, bevor sie im kommenden Jahr ihr eigenes Domizil im Spreebogen beziehen können. 150 Korrespondenten waren es bei dieser Premiere. "Wir würden uns freuen, wenn Sie immer so zahlreich kämen", scherzte die Regierungssprecherin. An normalen Tagen, in Bonn, kam nur ein Bruchteil der Korrespondenten.

Sensationen werden nur selten mitgeteilt. Die Bundespressekonferenz sei zu einem Ritual geworden, klagen manche, die schon lange dabei sind. "Früher wurde die Kultur des Fragens viel mehr gepflegt", erinnert sich Günther Henrich, der seit 1969 für den Rundfunk aus Bonn berichtete und jetzt das Berliner NDR-Büro aufgebaut hat. "Heute gibt es kaum noch Kreuzverhöre der Politiker, weil die Journalisten Angst haben, sich ihre exklusive Geschichte kaputtzumachen, wenn die Kollegen davon erfahren", sagt Henrich. Früher, da sind sich zumindest die älteren Korrespondenten einig, waren die Konferenzen Foren, auf denen es wirkliche Neuigkeiten zu erfahren gab. Spätestens seit der Kohl-Regierung verlor der Termin jedoch an Wert. Auch Charima Reinhardt berichtet an diesem Montag wenig Informatives. Hat Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier SPD-Fraktionsschef Peter Struck im Auftrag des Kanzlers für seine steuerpolitische Initiative gerügt? Die beiden trafen sich zu einem Gespräch: Das war alles, was sie verriet.

Dennoch gehört der Besuch auch heute noch zum Pflichtprogramm der Regierungskorrespondenten. Die wirklich wichtigen Informationen bekommen die meisten Journalisten jedoch bei Gesprächen mit Politikern in Hintergrundkreisen, bei informellen Gesprächen oder beim gemeinsamen Bier mit einem Polit-Informanten nach Feierabend. Für die Auskünfte der Politiker vor der Bundespressekonferenz hingegen gilt zunehmend, was ein Agentur-Korrespondent kürzlich schrieb: "Nichts Neues, aber das in vielen und wichtigen Worten." Das wird sich in Berlin nicht ändern.

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