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Wirtschaft: "Die Favoriten werden wechseln" - Merrill-Lynch-Chefanalyst McCabe über Zinsen und Psycholgie

Richard T. McCabe, Absolvent der New York University Graduate School of Business, ist Chef-Analyst des weltgrößten Maklerunternehmens Merrill Lynch.

Richard T. McCabe, Absolvent der New York University Graduate School of Business, ist Chef-Analyst des weltgrößten Maklerunternehmens Merrill Lynch. McCabe kam 1962 als Portfolio-Analyst zu Merrill Lynch. 1993 übernahm er die Leitung der Abteilung Marktanalyse, die elf Mitglieder zählt. Wöchentlich veröffentlicht die Gruppe den "Market Analysist Comment". McCabe zählt zu den meist zitierten Experten der technischen Marktanalyse. Er ist verheiratet und Vater von fünf Kindern. Mit McCabe sprach Walter Pfaeffle über die aktuelle Frage: Aktien oder Anleihen?

Herr McCabe, ist der lange Börsenboom zu Ende? Sind Aktien out?

Nein, aber ich glaube nicht, dass sich die Abwärtsbewegung schon tot gelaufen hat. Viele Anleger sind lange den sogenannten "big caps" nachgelaufen, also Unternehmen mit einer hohen Börsenbewertung. Das hat den Dow-Jones-Index und den S & P-500-Index auf immer neue Höhen getrieben.

Das heißt, Indizes sind kein echtes Spiegelbild dessen, was sich im Gesamtmarkt abspielt?

Genau. Barometer sind irreführend. Seit den Sommerhöchstständen sind die Indizes auf Grund der Schwäche bei Verbrauchsgüter-und Technologieaktien lediglich um etwa elf Prozent gefallen. Der Rest des Marktes ist hingegen um über zwanzig Prozent abgerutscht.

Wie weit werden die Barometer noch nachgeben?

Ich rechne mit weiteren vier Prozent oder etwas mehr. Für den Dow heißt das: ab unter die Marke von 10 000 Punkten.

Welche Bedeutung haben so runde Zahlen wie 10000 Punkte?

Für die technische Analyse sagen sie gar nichts aus; für die Psychologie der Investoren sehr viel. Ende März überschritt der Dow erstmals die 10 000-Punkte-Marke nach oben. Doch seither hat er keine großen Sprünge mehr gemacht. Die meisten Aktien haben im April Höchstkurse erreicht, als sich der Gesamtmarkt bereits auf dem Rückmarsch befand. Es ist durchaus möglich, dass sich in umgekehrter Richtung etwas Ähnliches abspielen wird: Fällt der Dow unter 10 000 Punkte, könnten die Kurse wohl noch etwas fallen, aber nicht sehr weit.

Einen massiven Einbruch, vor dem die Investoren besonders im Crash-Monat Oktober Angst haben, . . .

halte ich für äußerst unwahrscheinlich.

Und wie steht es um die Inflation? Der Anstieg der Erzeugerpreise im September war doch höher als erwartet und der Dow reagierte mit einem drastischen Einbruch.

Wir sind der Meinung, dass die Inflation keine ernsthafte Gefahr darstellt. Aber unabhängig davon wirkt sich die durchaus vorhandene Sorge, dass unsere Notenbank die Zinsen erhöhen könnte, negativ auf die Marktpsychologie aus.

Glauben Sie, dass die US-Notenbank die Zinsen in diesem Jahr noch ein- oder zwei Mal erhöhen wird?

Unsere Volkswirte gehen nur von einer einzigen Zinserhöhung aus, wahrscheinlich im November, wenn der Offenmarktausschuss zu seiner nächsten Sitzung zuammenkommt. Mehr wird man in diesem Jahr nicht sehen. Es besteht keine Gefahr einer konjunkturellen Überhitzung.

Das klingt alles sehr optimistisch. Wann kommt der nächsten Börsen-Boom?

Ich rechne damit, dass der Aufschwung früh im Jahr 2000 beginnt und bis Ende 2001 dauert. Erst danach dürfte wieder eine Korrekturphase eintreten. Doch wird es wohl einen Favoriten-Wechsel geben. Das heißt: viele werden von den "big caps" auf Aktien mittelständischer und kleinerer Unternehmen umsteigen. Diese beiden Gruppen sind von den Anlegern doch recht stark vernachlässigt worden.

Was sollte man kaufen?

Ich denke in erster Linie an Energie-und Konsumgüter-Aktien. Aber man darf nicht nur an Aktien denken. Auch Anleihen sind interessant geworden. Der Kursrückgang am Rentenmarkt hat im Oktober vergangenen Jahres begonnen. Die Renditen sind attraktiv.

Sind Anleihen also attraktiver als Aktien? Beispiel: Technologie-und Internetaktien?

Wenn Aktien wie die Technologiewerte so stark steigen wie 1998 und 1999, dann muss es zwangsläufig Rückschläge geben. Abwärts-und Seitwärtsbewegungen, die etwa zwei Jahre dauern, hat man schon Anfang der neunziger Jahre bei den Biotechnologieaktien beobachten können. Der technologielastige Nasdaq-Index liegt nur um 6,3 Prozent unter seinem jüngsten Höchststand. Er dürfte in den nächsten Wochen auf dem Weg nach unten noch einiges nachzuholen haben. Und bei den Internetwerten wird es wohl noch eine Weile dauern, ehe sie ihre erheblichen Zuwächse der letzten Jahre verdaut haben. Trotz der teilweisen Kurserholung im September rechne ich mit einer Fortsetzung der Kursschwäche.

Herr McCabe[ist der lange Börsenboom zu Ende]

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