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Wirtschaft: Die Furcht vor der Baisse an der Börse

So wie ein behäbiger Bär einem Stier in den Weg tritt, holte vergangene Woche die Investoren die Angst vor einen Abflauen der Weltwirtschaft ein.Der Fall des japanischen Yen machte Hoffnungen zunichte, die Volkswirtschaften in Europa und Amerika könnten die Rezession in Asien entschärfen.

So wie ein behäbiger Bär einem Stier in den Weg tritt, holte vergangene Woche die Investoren die Angst vor einen Abflauen der Weltwirtschaft ein.Der Fall des japanischen Yen machte Hoffnungen zunichte, die Volkswirtschaften in Europa und Amerika könnten die Rezession in Asien entschärfen.Das unschöne Ergebnis: Von Manila über Mailand bis Manhattan stürzten die Aktienkurse nach unten.

Aus dem neuen Tiefstand des Yen und der wachsenden Sorge vor einer Abwertung des chinesichen Yuan folgerten Investoren, daß sich die Weltwirtschaft auf niedrigere Wachstumsraten zubewegt.Zuerst traf es die Aktienmärkte in Malaysia, den Philippinen, Hongkong und Indonesien, dann zogen sich Investoren in Osteuropa zurück.Auch in Westeuropa und in den USA fielen die Aktienkurse."Es handelt sich dabei zweifelsohne um eine große Kurskorrektur," sagt Richard Davidson von Morgan Stanley Dean Witter & Co in London."Die entscheidende Frage ist, ob dies der Anfang einer richtigen Baisse ist."

Was hat den Kurssturz ausgelöst? Es herrschte einhellig die Meinung, daß es dem neuen japanischen Premierminister, Keizo Obuchi, am politischen Willen mangele, die Bankenkrise zu lösen.Dies ließ den Yen auf den niedrigsten Stand seit Jahren fallen.Viele Investoren haben schlichtweg den Glauben verloren, die westlichen Märkte könnten die Vorteile des asiatischen Niedergangs - eine geringe Inflation und niedrige Zinsen im Westen - genießen, ohne die nachteiligen Folgen wie sinkende Währungen, niedriges Wachstum, rasant zunehmende Insolvenzen und zerrüttete Finanzsysteme zu spüren.

"Wir gehen davon aus, daß die Weltwirtschaft abflauen wird," sagt Stephen Poloz von der Bank Credit Analyst Research Group, einem Forschungsinstitut im kanadischen Montreal.Die immer gravierenderen Folgen der asiatischen Krise, haben Poloz "noch pessimistischer" als Ende 1997 werden lassen; während er Ende 1997 für 1998 noch ein weltweites Wachstum von 2,5 Prozent prognostizierte, geht er jetzt von zwei Prozent aus - einer Zahl, die von einer "typischen Wachstumsrate von vier bis 4,5 Prozent" weit ab fällt.Während Asien sich Ende 1999 erholen dürfte, werde das Wachstum in den nächsten zwei Jahren bei etwa zwei Prozent verharren, und in diesem Zusammenhang kann man nicht solchen Gewinnzuwachs erzielen, den Investoren erhofft hätten, prognostiziert Poloz.Das bedeutet nicht, daß nun eine Baisse eingesetzt hat.Es bleibt zum Beispiel abzuwarten, ob die verstärkten Warnungen auf beiden Seiten des Atlantik zu einer ernsthaften Abwärtsbewegung in Europa und in den USA führen werden.

Mancher Ökonom hat in der vergangenen Woche wiederholt behauptet, daß die gegenwärtige Konjunkturerholung in Europa stark genug wäre, um die europäischen Aktien zu einem sicheren Hafen im kommenden Sturm zu machen."Wenn das Wachstum in diesen Gegenden aktzeptabel ist, dann müßte der Gewinn ganz vernünftig sein", sagt Davidson von Morgan Stanley."Wenn aber das Wachstum abnimmt, wird es eine Periode der Deflation und sinkender Gewinne geben - und das ist eine Baisse." Daß Investoren immer mehr befürchten, das globale Wachstum werde sich verlangsamen, förderte kürzlich eine weltweite Umfrage von Merrill Lynch & Co unter Geldmanagern zutage: "Fondsmanager sind heute mehr denn je besorgt, daß der globale Deflationsdruck aus Asien bedeutende Auswirkungen auf Wachstum und Gewinne im Westen haben wird."

Investoren bekamen davon in in der vergangenen Woche einen Vorgeschmack, als eine große Zahl von Unternehmensergebnissen in Hongkong zeigte, daß die asiatische Krise einen ernsten Tribut bei den Gewinnen gefordert hat."Wir befinden uns mitten in einer Deflation, und erst jetzt beginnt man, dies zu realisieren", warnt Ray Dalio, Präsident von Bridgewater Associates, einem Geldverwaltungsunternehmen in Connecticut.Schuld an der langsamer wachsenden Weltwirtschaft sei unter anderem der Rückgang des Welthandels.Ein entscheidender Grund für das abnehmende Handelsvolumen ist der zerrüttete Zustand der asiatischen Volkswirtschaften.Ohne die asiatische Finanzkrise und den starken Dollar hätte das nominale Weltwirtschaftswachstum bei 5,4 Prozent gelegen, sagt David Malpass, Chefvolkswirt für Internatonales bei Bear, Stearns & Co.Trotz dieser beiden Hemmnisse hatte Malpass im Januar ein nominales Wachstum von 1,4 Prozent erwartet.Doch im Juni machte er kräftige Abstriche an seiner Prognose, er ging nunmehr von minus 0,4 Prozent aus.Jüngst hat er seine Vorhersage noch weiter nach unten korrigiert - er nimmt an, daß 1998 die Wirtschaft um 2,1 Prozent schrumpfen wird.

Was sollen also die Investoren tun? Angesichts einer Verlangsamung der globalen Wirtschaft "muß man Anleihen kaufen", rät James Lister-Cheese von der Londoner Beratung Independent Strategy."Man müßte wahrscheinlich sehr viel mehr europäische Aktien kaufen", fügt er hinzu, da diese voraussichtlich bei jeder globalen Korrektur defensiv sein werden."Europa ist die einzige Region der Welt, in der das Wachstum beeits recht stark ist und in den nächsten ein oder zwei Jahren voraussichtlich noch zunehmen wird."

Trotzdem fragen sich einige Analysten, ob Deutschland, Europas Wirtschaftsmotor, nicht erneut mit Problemen zu kämpfen habe angesichts eines besorgniserregenden Rückgangs an Aufträgen in der Industrie."In Europa gibt es nur vereinzelte Bereiche mit anhaltendem Wachstum", sagt Poloz von der Bank Credit Analyst Research Group."Aber wenn wir eine globale Verlangsamung haben, werden die Investetitionsausgaben zurückgehen, und Deutschland - das Kapitalgüter exportiert - wird es spüren."

Was gezieltere Ratschläge für europäische Aktien betrifft, schließt sich Lister-Cheese Wohlbekanntem an: Er empfiehlt etwa Lebensversicherungen, da diese von der Entwicklung und dem Wachstum der privaten Pensionspläne in Europa profitieren.Eine andere Empfehlung: "die Nutznießer der Fusions- und Aquisitionsaktivitäten wie Banken und der pharmazeutischen Industrie." Vor allem, sagt Lister-Cheese, "muß man auf die Gewinner des Konjunkturzyklus setzen," wozu die Hersteller von Konsumgütern und die Einzelhändler gehören.

Doch sogar Lister-Cheese warnt: "Exporte in die anderen Länder, in denen die Wirtschaft langsam wächst oder sich schon in der Rezession befindet, dürften schwierig werden." Und wenn die Kurse an der Wall Street um weitere 15 bis 20 Prozent fallen, wären die europäischen Märkte nicht immun.

SARA WEBB[MICHAEL SESIT], SARA CALIAN

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