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Wirtschaft: Die Handelsreisende in China

Angela Merkel startet zu ihrer ersten Fernostreise als Kanzlerin. Die Wirtschaft hat hohe Erwartungen

Chinas Wirtschaft ist in der deutschen Politik schon lange Chefsache. Helmut Kohl sah sich einst als Türöffner für deutsche Konzerne im Reich der Mitte, Gerhard Schröder flog während seiner Amtszeit fast jedes Jahr mit einem Airbus voller Wirtschaftsmanager nach Peking. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, begleitet von einer 40-köpfigen Wirtschaftsdelegation, will auf ihrer am Sonntag beginnenden Chinareise den Handel voranbringen.

Verträge im Wert von einigen hundert Millionen Euro dürften während der zwei Tage in Peking und Schanghai unterzeichnet werden. Dabei wurde hinter den Kulissen „bis zur letzten Minute“ verhandelt, wie es aus informierten Kreisen in Peking heißt. Wenn alles klappt, unterzeichnet der Chemiekonzern BASF einen Vertrag zur Erweiterung des Verbundstandortes in der ostchinesischen Stadt Nanjing. Siemens erwartet einen Auftrag zum Bau von mindestens 200 Lokomotiven, die mit einem chinesischen Partner in Zhuzhou in der Provinz Henan produziert werden sollen. Lufthansa- Chef Wolfgang Mayrhuber will in Peking ein Abkommen über den Beitritt von Air China zum Flugbündnis Star Alliance unterzeichnen. Merkel wird am Dienstag in Schanghai voraussichtlich auch mit der deutschen Magnetschwebebahn Transrapid fahren; unklar ist noch, ob auch schon die Erweiterung der Transrapid- Strecke von Schanghai nach Hangzhou unterschriftsreif ist.

Trotz dieser Abschlüsse soll es Kritik aus der deutschen Wirtschaft gegeben haben, dass ihr zu wenig Raum gegeben wird. Das Interesse war jedenfalls groß – Merkel hätte auch viermal so viele Unternehmen und Manager mitnehmen können, heißt es in Berlin. Die Regierungschefin wird begleitet von Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Für die Kanzlerin ist China kein vertrautes Terrain. Den Staatspräsidenten Hu Jintao und den Ministerpräsidenten Wen Jiabao kennt sie bislang nur durch Gespräche am Telefon oder in Deutschland. Zuletzt war Merkel 1997 als Umweltministerin der Kohl-Regierung in China. Das Land ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Asien, noch vor Japan. Begehrt sind in Fernost vor allem Maschinen, Autos und chemische Erzeugnisse „made in Germany“. China verkauft in großen Volumina vor allem Textilien, Büromaschinen und elektronische Geräte. Im vergangenen Jahr hatten die Exporte der Volksrepublik nach Deutschland einen Wert von knapp 40 Milliarden Euro, was einem Zuwachs von 21,7 Prozent entspricht. Umgekehrt stiegen die Ausfuhren von Deutschland in die Volksrepublik deutlich geringer um 1,4 Prozent auf 21,3 Milliarden Euro an.

Nach Ansicht des Siemens-Aufsichtsratschefs und Merkel-Beraters Heinrich von Pierer wird das wachsende Handelsdefizit deshalb ein Thema bei den Gesprächen der Kanzlerin mit Pekings Führung sein. Eine Ursache des Problems sei die nicht frei gehandelte chinesische Währung. Für wachsenden Unmut bei deutschen Unternehmen sorgen zudem die Produktpiraterie und der mangelnde Schutz des geistigen Eigentums in China. Westliche Investoren müssen beim Bau von Fabriken oft genaue Bauskizzen und andere Betriebsgeheimnisse offen legen, die später dann von chinesischen Firmen kopiert werden. Die deutsche Industrie ist davon besonders betroffen und verliert Schätzungen zufolge durch chinesische Produktkopien jährlich 25 bis 30 Milliarden Euro. Das ist etwa ein Zehntel des weltweiten Schadens, den Chinas Produktpiraten anrichten.

Der Gesamtverband der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie wird am Rande des Merkel-Besuchs erstmals ein Abkommen gegen Produktpiraterie unterzeichnen. Darin soll sich die chinesische Textilindustrie verpflichten, Ausstellern, die zuvor mit gefälschten Textilien aufgefallen sind, die Teilnahme an Modemessen und -schauen zu verbieten. Produktpiraten sollen auch aus dem chinesischen Spitzenverband ausgeschlossen werden. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die sich bereits am Freitag auf den Weg nach China gemacht hat, will den Schutz geistigen Eigentums zu einem der zentralen Themen des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs machen.

Harald Maass[Peking]

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