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Wirtschaft: Die Heimwerker

Die Europäer verbringen ihre freie Zeit am liebsten zu Hause – nur die Briten gehen lieber in den Pub

Bei all dem kulturellen Reichtum Europas mit seinen vielen Theatern, Konzerthäusern und Kunsthallen – der Bewohner des alten Kontinents verbringt seine freie Zeit am liebsten in den eigenen vier Wänden. Zu diesem Ergebnis kam jetzt eine Studie, die im Auftrag des Wall Street Journal Europe dem Freizeitverhalten der Europäer nachgegangen ist. 22000 Menschen in 21 Ländern – von Großbritannien bis Russland – befragten die Brüsseler Markforscher von GfK Ad Hoc Research Worldwide nach ihren Vorlieben für die Freizeitgestaltung.

Wenn die Europäer politisch und wirtschaftlich immer näher zusammenrücken, gleichen sich dann auch ihre Freizeitgewohnheiten an? Die Studie zeigt viele Gemeinsamkeiten in den Ländern wie etwa die Dominanz der Stubenhocker. Sie offenbart aber auch einige überraschend deutlich ausfallende Unterschiede.

Das Ausgehen etwa, sei es in Restaurants, Bars oder Clubs, ist zwar europaweit beliebt. Es ist aber zum Beispiel in Großbritannien wesentlich populärer als in Deutschland. Die Spanier wiederum sind die größten Kino- Fans, während man sich in Finnland für Sport und Fitnessaktivitäten interessiert. Die Rumänen heimwerkern am liebsten in ihrer Freizeit, und das Volk der Dänen besucht besonders gern Aufführungen aller Art. Aber das Eintauchen in das städtische Leben kommt an die eigenen vier Wände in SachenBeliebtheit lange nicht heran.

Doch immerhin belegt das Ausgehen in ganz Europa einen ungefährdeten zweiten Rang. Nur in Großbritannien konnten die Nachtschwärmer die Sofa-Fraktion knapp schlagen. Dort geht man auch öfter aus als in den anderen Ländern Nordeuropas: 71 Prozent der befragten Briten gaben an, wenigstens einmal im Monat auswärts zu essen. Dahinter kann man die traditionelle Pub-Kultur vermuten, verbunden mit einer Verbesserung des Speisenangebots in den Restaurants. Glaubt man dem 23-jährigen Studenten Blair Glencorse aus London, liegt dies auch an den unterschiedlichen Essgewohnheiten: „Anders als in den südlichen Ländern, wo man vor allem in der Familie speist und trinkt, ist das Trinken in Großbritannien eine vom Essen getrennte Veranstaltung.“

Sklaven ihres Magens

Die Umfrage enthüllt auch, wem es beim Ausgehen besonders auf das leibliche Wohl ankommt: Am häufigsten werden Restaurants von Griechen, Italienern und Spaniern besucht. „Wir sind ein Land der Speisen, wir sind Sklaven unseres Magens“, meint der Grieche Evan Liaras aus Thessaloniki. Die vielen Restaurants und Cafés sind vor allem ein guter Treffpunkt. „Es ist langweilig, zu Hause zu sitzen, wo jeder das Gleiche isst“, fügt er hinzu. Und wer kommt am seltensten los vom eigenen Herd? Es sind die Deutschen, von denen 60 Prozent angegeben haben, wenn überhaupt dann nur wenige Male im Jahr in ein Restaurant oder eine Bar zu gehen. Viele lassen sich durch die bei der Euro-Umstellung gestiegenen Restaurantpreise und das schlechte Angebot in kleineren Städten abschrecken. „Hier in unserer Gegend hat man kaum eine anständige Auswahl an Restaurants“, sagt die Ärztin Regine Pflück aus dem Städtchen Ahaus im westlichen Münsterland.

Die Arbeit im Garten und das Heimwerkern stehen in anderen Ländern hoch im Kurs. Ganz vorn in Rumänien, wo sie von 56 Prozent der Befragten als eine der drei beliebtesten Freizeit-Beschäftigungen angegeben wurden. In Österreich und Schweden waren es immerhin noch 40 Prozent. „Den Leuten fällt auf, wenn dein Garten grüner ist als der deines Nachbarn“, sagt Michael Buchbauer, Verkaufsmanager eines Gartencenters in Wien. Die Österreicher stehen dafür in Westeuropa am Ende der Liste, wenn es darum geht, in Restaurants zu essen, Bars oder Kinos zu besuchen oder für ein Kulturereignis zwei Stunden Fahrt auf sich zu nehmen. Und selbst wenn sie einmal ausgehen, sind sie vergleichsweise knauserig: 89 Prozent der befragten Österreicher geben für eine Mahlzeit im Restaurant weniger als 29 Euro aus.

Alles, was auf der Leinwand passiert, findet in Spanien die größten Fans. 44 Prozent der befragten Spanier zählen das Kino zu den drei besten Freizeitvergnügen. Mit rund fünf Euro gehören die Eintrittspreise hier auch zu den niedrigsten in Europa. „Die Hollywood- Hits sind besonders beliebt“, sagt Xavier Prats-Monne, ein 47-jähriger Angestellter der EU-Kommission aus Barcelona. Mindestens einmal pro Woche geht er ins Kino. Seine Generation sei vom demokratischen Wandel der 70er-Jahre besonders geprägt worden. Damals war das Kino das Zeichen der neuen Freiheit, meint Prats-Monne.

Nur wenige Europäer füllen ihre Freizeit mit sportlichen Aktivitäten aus. Ausnahmen sind die Finnen, wo Sport und Fitness immerhin von 55 Prozent der Umfrageteilnehmer zu den drei beliebtesten Arten des Zeitvertreibs gewählt wurden, dicht gefolgt von den Schweizern. Die Sport-Begeisterung in Finnland geht weit zurück, sagt Jukka Pekkula, Generalsekretär der finnischen Sportvereinigung. „Früher mussten die Menschen die Ski anschnallen, wenn sie ihre Nachbarn besuchen wollten“, sagt er. Auch heute fahren die jungen Leute auf dem Land häufig mit den Skiern zur Schule.

Festivals für wenig Geld

Der Besuch von Aufführungen gehört dagegen nicht zu den vorrangigen Zerstreuungen der Europäer. Allein in Dänemark, Belgien und Schweden ist dies anders. Die Dänen sind auch am ehesten bereit, für ein kulturelles Erlebnis die Mühen einer Reise in Kauf zu nehmen. Das Land ist berühmt für seine Freiluftveranstaltungen wie das Roskilde-Festival, das im vergangenen Juni 75000 Besucher anzog. Der in Kopenhagen lebende Amjad Halim hat in diesem Jahr schon etliche Konzerte besucht, vom sanft säuselnden Tony Bennet bis zur Rockband Blur: „Man kann hier großartige Künstler für wenig Geld sehen“, schwärmt er.

Mary Kissel

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