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Wirtschaft: Die letzte Chance

Noch nie haben Berliner Firmen so viele Lehrstellen angeboten wie in diesem Jahr – auch für schwer vermittelbare Jugendliche

Berlin - Die Aussichten auf einen Ausbildungsplatz waren für Nils Niepmann schlecht: Durchschnittlicher Realschulabschluss, zwei abgebrochene Ausbildungen und der Wunsch, einen Beruf auszuüben, der als einer der begehrtesten unter Jugendlichen gilt. Als sich Niepmann in diesem Sommer in mehreren Berliner Unternehmen als Einzelhandelskaufmann bewarb, landeten schließlich auch nur Absagen in seinem Briefkasten. „Ich war ziemlich ratlos“, erzählt der 18-Jährige.

Was vor wenigen Wochen für Niepmann noch unvorstellbar war, ist inzwischen wahr geworden. Seit Mitte November wird er in einem Vodafone-Shop in Berlin-Reinickendorf zum Einzelhandelskaufmann ausgebildet. „Das war ein echter Glücksgriff“, sagt Niepmann. Gelungen ist ihm das mithilfe der Berliner Arbeitsagentur, die jedes Jahr gemeinsam mit der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer (IHK) eine Nachvermittlungsaktion durchführt. Dabei werden Jugendlichen, die bis nach Beginn des offiziellen Ausbildungsjahres noch als unvermittelt gelten, noch unbesetzte Lehrstellen angeboten. In diesem Jahr offenbar mit Erfolg.

Rund 1000 Jugendliche waren zur Nachvermittlungsaktion Ende Oktober erschienen. Auf sie warteten insgesamt knapp 800 Angebote, darunter 342 zusätzlich eingeworbene Stellen. Mehr als 80 dieser zusätzlichen Stellen seien inzwischen bereits besetzt, heißt es bei der Arbeitsagentur. Daneben gebe es noch andere nachträglich vermittelte Jugendliche, die gar nicht in der Statistik der Nachvermittlunsgaktion auftauchten. Abschließende Zahlen liegen aber erst gegen Ende des Jahres vor.

„Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt entspannt sich deutlich“, bilanziert Eleonore Bausch, bei der IHK für den Bereich Ausbildung zuständig, die bisherigen Ergebnisse. „Wir konnten in diesem Jahr sogar Leute in Ausbildung bringen, die in anderen Jahren keine Chance gehabt hätten.“ Ursache sei, dass die Unternehmen noch nie so viele Plätze angeboten hätten wie momentan. „Wir sind dem Zustand, die Lehrstellenlücke bis Ende des Jahres zu schließen, schon ganz nah“, sagt Bausch.

Für manche Ausbildungsbetriebe bedeutet das aber auch, dass ihre Auswahl an Bewerbern nicht mehr so groß ist wie vorher. Janet-Madlen Scheffel, Chefin des Auszubildenden Nils Niepmann im Vodafone-Shop, sagt, dass sie sogar Schwierigkeiten hatte, jemanden zu finden. „Ich wollte ausbilden, nur hat sich niemand bei mir beworben.“ Die Nachvermittlung sei für sie daher ein Volltreffer gewesen. Sechs Leute hätten sich bei ihr nach der Aktion gemeldet. „Die Entscheidung für Herrn Niepmann fiel aber ganz schnell“, erzählt sie. „Sein Auftreten war überzeugend.“ Dass Niepmann keinen nahtlosen Lebenslauf mitbrachte, hätte sie nicht abgeschreckt. „Er hat mir plausibel erklären können, warum er seine vorherigen Ausbildungen nicht beendet hat“, sagt sie.

Eleonore Bausch von der IHK meint, dass so positive Fälle in der Vergangenheit nicht sehr oft vorgekommen seien. In diesem Jahr ergäben sich Entwicklungen, wie man sie sich vor kurzer Zeit, als die Lage auf dem Ausbildungsmarkt noch viel angespannter war, kaum habe vorstellen können.

Kaum vorstellbar war es auch für Natalia Kuliber, als sie vor einem Monat mit ihrer Ausbildung zur Kosmetikerin beginnen konnte. Die 32-jährige Russin hatte die Hoffnung auf eine Lehrstelle nach jahrelanger Suche fast aufgegeben. „Alle haben gesagt, dass ich zu alt für eine Ausbildung bin und zu schlecht Deutsch spreche“, sagt Kuliber, die vor sechs Jahren nach Deutschland gekommen war, „aber ich wollte immer Kosmetikerin werden.“ Kuliber hatte Glück, dass ihre heutige Chefin den Lehrstellenplatz erst nach Beginn des offiziellen Ausbildungsjahrs bei der Kammer meldete. Die Russin erfuhr zufällig davon. „Ich bin dann zur Kammer gegangen und habe mich nach allen Einzelheiten der Stelle erkundigt“, sagt sie. Dass sich ihre Chefin für sie entschied, konnte sie erst gar nicht glauben, wie sie sagt. „Komisch, und mittlerweile denke ich schon, dass alles doch gar nicht so schwierig war.“ Yasmin El-Sharif

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