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Wirtschaft: „Die Leute sind nicht in der Lage, 30 Jahre im Voraus zu planen“ Versicherungspräsident Michaels über private Vorsorge,

komplizierte Verträge und die Krise der Branche

Herr Michaels, die Deutschen müssen mehr privat vorsorgen, sagen die Experten der Rürup und der Herzog-Kommission. Ist das Wasser auf Ihre Mühlen?

Ja. Obwohl das keine neue Erkenntnis ist. Es ist nur deshalb eine neue Nachricht, weil die Regierungskommission und die Kommission der Opposition bereit sind, zuzugeben, dass der Anteil der privaten Vorsorge zunehmen muss. Wir sagen das schon seit 20 Jahren, aber für viele Menschen kommt die Nachricht überraschend. Die Leute wissen jetzt, dass sie mehr für ihre Altersvorsorge zurücklegen müssen und weniger Geld für den Konsum übrig behalten. Das ist für viele schon ein gewaltiger Schlag.

Ist das kapitalgedeckte System der privaten Versicherer, bei dem jeder für sich selbst spart, der umlagefinanzierten, gesetzlichen Rentenversicherung wirklich überlegen?

Es ist demographieresistenter als das System in der gesetzlichen Rentenversicherung, aber es ist nicht völlig demographieresistent. Natürlich spielt die demographische Entwicklung auch bei uns eine Rolle. Das fängt schon bei den Leistungen an. Wenn die Leute immer älter werden und über eine längere Zeit Rente beziehen, müssen die Versicherer entweder die Beiträge erhöhen oder die Renten senken.

Was passiert, wenn alle Menschen ihre Altersvorsorge auf Immobilien oder Aktien aufbauen und in 20 Jahren niemand da ist, um diese Häuser oder Papiere zu kaufen?

Diese These stimmt nur, wenn man das Geld ausschließlich im eigenen Land anlegt. Sie stimmt aber nicht mehr, wenn man weltweit anlegt, also auch in Ländern mit einer ganz anderen wirtschaftlichen Entwicklung. Außerdem gibt es bereits wissenschaftliche Berechnungen zu diesem Problem. Ergebnis: Es geht um eine Größenordnung, die sich hinter dem Komma abspielt.

Viele Bürger haben in diesem Jahr den Glauben an die private Vorsorge verloren. Die Lebensversicherer haben Milliardenverluste an der Börse erlitten, die Mannheimer Leben musste aufgeben. Können Sie garantieren, dass sich das nicht wiederholen wird?

Man kann in der Wirtschaft keine Garantien abgeben. Aber man kann versuchen, die Diskussion zu versachlichen. Es gibt keinen einzigen Kunden eines deutschen Lebensversicherungsunternehmens, der seine ihm garantierten Ansprüche einschließlich der bis heute zugewiesenen Überschussbeteiligungen nicht voll erfüllt bekommen hätte. Und das wird auch in Zukunft so sein.

Aber der garantierte Zins interessiert doch niemanden. Wichtiger sind die Überschussbeteiligungen, und die sind für die Zukunft nur prognostiziert und nicht garantiert.

Viele Menschen haben geglaubt, dass die hohe Überschussbeteiligung der Vergangenheit in Zukunft genauso sicher ist wie der niedrigere Garantiezins. Wer über 25 Jahre in eine Lebensversicherung einzahlt und darauf hofft, jedes Jahr eine Verzinsung von sieben Prozent zu erhalten, ist jetzt natürlich enttäuscht.

Wessen Schuld ist das?

I ch glaube, es ist uns nicht immer gelungen, den Kunden den Unterschied zwischen der gesetzlich festgelegten Garantieverzinsung und der Überschussbeteiligung, die von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ist, ausreichend deutlich zu machen. Die Versicherer haben es nicht fertig gebracht, ihren Kunden das Produkt Lebensversicherung wirklich zu erklären. Das müssen wir ändern.

Wird es nach der Mannheimer noch weitere Fälle für Ihre Notfall-Rettungsgesellschaft Protektor geben?

Das weiß ich nicht. Ich kann es nicht hundertprozentig ausschließen, auch wenn die Aufsichtsbehörde BaFin bisher keine weiteren Problemfälle sieht. Aber selbst wenn Protektor noch einmal einspringen müsste, hätte die Gesellschaft auf jeden Fall genug Kapital, um die Ansprüche der Kunden zu erfüllen.

Haben denn inzwischen alle Versicherungen ihre Einlagen bei Protektor bezahlt?

Ich weiß nicht, ob das Geld schon eingetroffen ist, aber es steht außer Zweifel, dass jeder bezahlen wird. Die Unternehmen sind doch keine Anfänger. Als die Versicherungsgesellschaften seinerzeit beschlossen hatten, Protektor zu gründen, wussten sie doch, dass das Unternehmen eines Tages Wirklichkeit werden kann. Die Versicherer haben vernünftig kalkuliert, ob sie sich Protektor leisten können. Jetzt kneift keiner.

Ist die Krise vorbei? Die Börsen haben sich ja wieder etwas erholt.

Wir reden über Größenordnungen, die wir nie hatten. Die Börse ist extrem nervös, die Ausschläge sind sehr groß.

Also keine Entwarnung?

Die Versicherer haben ihren Aktienbestand deutlich reduziert. Sie haben Papiere verkauft, ein Teil des Bestandes ist inzwischen abgeschrieben, Reserven auf Aktien bestehen nur noch in entsprechend geringem Umfang. Für uns ist die Kapitalmarktsituation inzwischen beherrschbar, aber immer noch schwierig. Die geringen Erträge im Kapitalanlagebereich haben natürlich Einfluss auf unser Preis-Leistungsverhältnis Aber insgesamt gesehen kann man heute Entwarnung geben, was die existentielle Gefährdung von Unternehmen angeht.

Das heißt, die Renditen der Lebensversicherungen bleiben niedrig?

Die Kapitalmarktzinsen für zehnjährige Bundesanleihen sind katastrophal abgesunken, von neun Prozent auf unter vier. Die Lebensversicherer zahlen heute noch eine Gesamtverzinsung von 4,5 Prozent. Wenn Sie die Inflationsrate abziehen, bleibt noch eine Realverzinsung von drei Prozent. Ich finde, das ist immer noch ganz ordentlich.

Aber es wird ja nicht die gesamte Prämie verzinst, sondern nur der Sparanteil.

Der macht aber immerhin 85 Prozent der Prämie aus. Viele Menschen glauben, dass ihre gesamte Prämie verzinst wird. Das ist falsch. Der Irrtum mag an uns liegen, weil wir die Zusammenhänge nicht ausreichend erläutert haben. Aber viele Kunden interessieren sich auch nicht besonders für Versicherungsbedingungen. Wir könnten noch mal 100 Seiten Information ausdrucken, das Ganze auf eine CD brennen oder den Kunden ein Video ins Haus schicken. Wenn sich die Menschen das nicht angucken oder durchlesen, wissen sie einfach nicht Bescheid.

Auch bei der Riester-Rente blicken viele nicht durch. Die Zahl der Verträge ist enttäuschend. Sollte die Riester-Rente Pflicht werden?

Nein, wir brauchen keine Pflichtversicherung. Es dauert einige Jahre, bis sich ein neues System durchsetzt. Hinzu kommt ein merkwürdiges menschliches Phänomen: Die Leute verstehen zwar intellektuell, dass sie heute handeln müssten, um in 30 Jahren davon zu profitieren. Aber sie tun es nicht, weil sie nicht in der Lage sind, 30 Jahre im Voraus zu planen.

Also müssen sie zu ihrem Glück gezwungen werden?

I ch bin ein hoffnungsloser Liberaler. Ich glaube nicht, dass Zwang der richtige Weg ist. Man muss die Menschen überzeugen und motivieren. Hier ist die Bundesregierung mit der Riester-Förderung auf dem richtigen Weg.

Betriebsrenten laufen gut. Sollte man statt der Riester-Rente nicht besser die Betriebsrente noch stärker fördern als geplant?

Das ist eine Frage der Ideologie. Wollen Sie Kollektivsysteme wie die Betriebsrente oder soll jeder individuell entscheiden dürfen, wie er seine private Altersvorsorge gestaltet? Ich finde, beide Systeme sollten gleichermaßen unterstützt werden. Auch die Betriebsrente ist noch kein Selbstläufer. Zwar haben viele Unternehmen Rahmenverträge abgeschlossen, aber jetzt müssen die einzelnen Mitarbeiter überzeugt werden. Und das ist schwerer und aufwendiger, als man ursprünglich gedacht hatte.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgetragen, bis zum 31. Dezember 2004 die Besteuerung der Renten, Pensionen und Lebensversicherungen neu zu regeln. Noch gibt es keinen Gesetzentwurf. Wird die Zeit knapp?

Das weiß ich nicht. Es gibt noch keine Vorgaben aus dem Ministerium und noch keine Diskussion mit den Betroffenen. Daher kann es schon sein, dass die Zeit knapp wird. Aber ich finde es sowieso unsinnig, die Steuerfrage unabhängig von der Rentenreform zu regeln. Je mehr man die gesetzliche Rente kürzt, desto stärker muss man die private Vorsorge ausbauen, und das geht nicht ohne Anreize, auch steuerliche. Aber dieses Thema wird ein Fall für meinen Nachfolger.

Was geben Sie dem mit auf den Weg?

N ichts. Ich finde nichts unerträglicher als Menschen, die aufhören und glauben, sie müssten ihren Nachfolgern noch sagen, was sie tun sollen. Das ist unglaublich arrogant.

Das Gespräch führte Heike Jahberg.

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