zum Hauptinhalt
„Der Drops ist noch nicht gelutscht.“ Die NGG-Chefin Michaela Rosenberger setzt sich für einen flächendeckenden Mindestlohn ohne Ausnahmen ein.

© Kai-Uwe Heinrich

Die neue Chefin der Gewerkschaft NGG: Aus Solidarität

Michaela Rosenberger ist die neue Chefin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, der ältesten Gewerkschaft Deutschlands. Was treibt sie an, was hat sie vor?

Es war wohl die Liebe. Aber die älteren Schwestern spielten auch eine Rolle. Mitte der 70er Jahre, Michaela Rosenberger war „unsterblich verliebt“ in einen Juso, begann sich die 15-Jährige für Politik zu interessieren. Und zu engagieren. Etwa gegen das Kernkraftwerk Brunsbüttel, das damals das Blut der Schleswig-Holsteinerin in Wallung brachte. Rosenberger hörte Nina Hagen, Konstantin Wecker und Klaus Hoffmann und stand links, wie eben die älteren Schwestern. Da steht sie immer noch, und die inzwischen 53-Jährige wird ein wenig schwermütig, wenn sie auf die Jugend von heute schaut. „Sie tragen T-Shirts mit dem Porträt von Che Guevara. Wäre es nicht sinnvoller, wenn sie stattdessen sein wunderbares Zitat ,Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker’ tragen würden?“

Solidarität ist das Geschäft der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die seit vergangenem Herbst von der gelernten Hotelfachfrau und Berufsschullehrerin Rosenberger geführt wird. Mit knapp 210 000 Mitgliedern „eine kleine, stolze Organisation“, wie sie sagt. Und in jedem Fall die älteste deutsche Gewerkschaft – Ende nächsten Jahres feiert die NGG ihren 150. Geburtstag.

„Ich wollte immer was mit Politik machen“, blickt Rosenberger zurück auf die Pinneberger Juso-Jahre in den 70ern. Für die Partei war sie zu links, die SPD prägende Typen wie Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder waren nicht ihr Ding. Also eine Gewerkschaftslaufbahn in Lübeck und Hamburg, dem Sitz der NGG; 2003 kam Rosenberger in den Vorstand, den sie nun, als Nachfolgerin des 21 Jahre amtierenden Franz-Josef Möllenberg, leitet. Mit Marlis Tepe (GEW) und Rosenberger gibt es jetzt zwei Frauen an der Spitze einer der acht DGB-Gewerkschaften. „Frauen in Führungspositionen werden oft misstrauisch beobachtet; ihnen wird unterstellt, dass sie es nur wegen des Geschlechts nach oben geschafft haben“, sagt die NGG-Chefin und hat dabei die Verhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt im Blick. Und viele Frauen hielten es oben nicht lange durch, „weil sie keine Lust haben auf die Spielchen an der Spitze und weil sie nicht so gut vernetzt sind wie Männer“.

Sie selbst fühlt sich im Kreis der DGB-Fürsten gut aufgenommen, und selbstverständlich weiß sie, dass die Chefs von IG Metall und Verdi, also Detlef Wetzel und Frank Bsirske, den Ton angeben im Dachverband, der dennoch „gerade für uns kleinere Gewerkschaften unglaublich wichtig ist“. Zum Beispiel bei der Platzierung und Positionierung von Standpunkten in Öffentlichkeit und Politik. Nach dem Vorbild der Mindestlohnkampagne wünscht sich die NGG-Vorsitzende für die nächste Zeit eine Mitbestimmungskampagne, denn „viel zu wenige Betriebe haben einen Betriebsrat“. Doch erst mal muss in diesem Frühling die Ernte beim Mindestlohn eingefahren werden.

Es war die NGG, die vor gut einem Dutzend Jahren wegen der Erfahrungen im Gastgewerbe für einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn zu werben begann. Heute gibt es in Hotels und Gaststätten rund eine Million „normaler“ sozialversicherungspflichtig Beschäftigter und dazu fast eine Million Minijobber. „Die Branche ist unglaublich erfindungreich, so viele Menschen wie möglich billig zu beschäftigen“, sagt Rosenberger, die selbst vor vielen Jahren ein kleines Hotel in Hamburg geführt hat. Der Mindestlohn von 8,50 Euro, wie ihn die neue Regierung ab dem nächsten Jahr vorschreiben will, würde ein paar hunderttausend Personen im Gastgewerbe mehr Geld bringen. Die Gewerkschaft hat das nicht geschafft – zu wenige Mitglieder, und nur gut ein Drittel der Gaststätten und Hotels zahlt überhaupt noch Tarif.

Derzeit wird im Arbeitsministerium an einem Gesetz über die Einführungsmodalitäten beim Mindestlohn gearbeitet, die Arbeitgeber fordern Ausnahmen für Praktikanten, Saisonarbeiter und weitere Beschäftigtengruppen, die Gewerkschaften 8,50 Euro für alle. „Der Drops ist noch nicht gelutscht, jetzt geht es darum, dass es keine Ausnahmen geben darf“, sagt Rosenberger. Und wenn doch, „bekommen wir noch mehr Minijobber im Gastgewerbe und verlieren dafür sozialversicherungspflichtige Arbeit“.

Befürchtungen, wonach der Mindestlohn Arbeitsplätze kosten könnte, teilt die NGG-Chefin nicht. Beispielsweise seien im Bäckerhandwerk viele Betriebe „darauf angewiesen, ihren Mitarbeitern so wenig wie möglich zu zahlen, um in diesen selbstausbeuterischen Systemen überhaupt über die Runden zu kommen“. Ein Bäcker mit einem Jahresumsatz von 50 000 Euro habe eben keine Zukunft.

„Brauchen wir wirklich Arbeitsplätze mit Stundenlöhnen von vier oder fünf Euro?“ Keinesfalls, meint Rosenberger. „Mit solchen erbärmlichen Löhnen produzieren wir Altersarmut, verlagern also das Problem in die Zukunft, anstatt die jungen Leute in der Schule und der Ausbildung zu qualifizieren und ihnen eine Perspektive im Beruf zu geben.“ Die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, und dazu gehören eben die Bedingungen der Erwerbsarbeit, steht für sie ganz oben. Und sei durchaus auch mit der Bundeskanzlerin zu diskutieren. „Es hat mich beeindruckt, wie Angela Merkel im Zusammenhang mit den Koalitionsverhandlungen die Gewerkschaften eingebunden hat.“ Ganz ohne die Spielchen der Männer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false