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Wirtschaft: Die neue Toskana

In der beliebten Urlaubsregion Italiens werden die Grundstücke knapp. Aber es gibt bereits einen attraktiven Nachfolger: die Marken

Von Denise Kiernan

und Joseph D’Agnese

Der Blick enthüllt sanft geschwungene grüne Hügel voller Olivenbäume, deren Blätter über endlose Felder sich wiegender Sonnenblumen schimmern. Mittelalterliche Bergdörfer sind am sonnendurchfluteten Horizont zu sehen, ihre Terrakotta-Dächer glühen vor dem azurblauen Himmel.

Die jahrzehntelange Faszination für die bekannteste Region Italiens hat zu inflationären Immobilienpreisen geführt. Wo also sollen die Kaufwilligen jetzt das besondere Objekt finden, das sie restaurieren können? Die Suche könnte in einem Buch mit dem Titel „Im Schatten der sibyllinischen Berge“ enden: Le Marche, die Marken. „Ich sagen den Leuten: ,Sie wissen, wo die Toskana liegt; aber wissen Sie auch, was östlich von ihr liegt?’“, sagt Eberhard Fuchs, ein gebürtiger Deutscher, der in den Marken lebt und dort in den vergangenen 13 Jahren Immobilien verkauft hat. Die Marken liegen an der Ostküste Zentralitaliens.

Begrenzt von der Adria auf der einen und den Apenninen mit ihrer dramatischen südlichen Bergkette auf der anderen Seite, werden die Marken zunehmend zum Ziel ausländischer Immobilienjäger.

Jahrelang haben die Heute-Florenz-Morgen-Venedig-Touristen die Region übersehen. „Sie hat keine Magnetstadt“, erklärt Peter Greene, Werbetexter und Webdesigner aus London, der seit 1988 in den Marken lebt. Urbino, die Geburtsstadt des Renaissance-Malers Raffael, die schon lange als Juwel der Region und als eine der schönsten Bergstädte Italiens gilt, ist nicht einmal mit dem Zug zu erreichen.

Aber: Dank steigender Preise im restlichen Zentralitalien und einer andauernden Begeisterung für das Land scheint für die Marken jetzt die Zeit gekommen. In den vergangenen zehn Jahren seien sowohl das Interesse für die Region als auch die Immobilienpreise kontinuierlich gestiegen, sagt Monica Bruni, die in den Marken aufwuchs, dann in Rom Architektur studierte und schließlich nach Hause zurückkehrte.

Insbesondere in den vergangenen drei Jahren habe es einen regelrechten Boom gegeben, sagt Bruni. Neben der Internetpräsenz der Maklerbüros sei dies auch der Tatsache zu verdanken, dass Ryan Air seit 1999 täglich einmal für wenig Geld von London Stansted nach Ancona, der Hauptstadt der Marken, fliegt. Die meisten Kaufinteressenten suchen typisch italienische Bauwerke: majestätische alte Villen oder steinerne Bauernhöfe mit einigen Nebengebäuden oder Scheunen auf einem großen Stück Land. Italien wimmelt von diesen Anwesen. Manche sind teilweise bewohnbar, bei anderen steht die Fassade, wieder andere sind nur noch Ruinen, die eine komplette Renovierung und bedingungslose, aufopfernde Liebe brauchen.

Peter Greene sagt: „Ich bin bestürzt, wie naiv die Menschen an diese Renovierungen herangehen. Sie tun Dinge, die sie zu Hause nie versuchen würden. Können Sie sich vorstellen, dass sich ein Italiener entschließt, ein Herrenhaus im schottischen Hochland zu kaufen und zu renovieren?“

Wenn man die heruntergekommene, steinerne Ruine seiner Träume gefunden hat, sollte man unbedingt beachten – und nicht alle Makler sprechen dieses Thema an –, dass nicht alle großartigen Pläne dem entsprechen, was den örtlichen Behörden vorschwebt. Neben Vorschriften zur Erweiterung gibt es Bestimmungen, die festlegen, wie viel Prozent des Anwesens zu bewohnbarem Raum restauriert werden kann. Also muss vielleicht der Schweinestall so bleiben, wie er ist.

Was man eigentlich immer vergessen kann, ist, auf einem vorhandenen Anwesen neue Wohngebäude zu errichten – egal, wie viel Land man hat. Ein extra Gästehaus ist da nicht drin.

Auch die Renovierungskosten werden oft unterschätzt. Immobilienhändler Fuchs meint, dass die Arbeit von kompetenten Handwerkern, die sich mit den dicken Mauern auskennen und wissen, wie sie Terrakotta-Ziegeln legen müssen, zwischen 650 und 1000 Euro pro Quadratmeter kosten kann.

Trotz steigender Preise in den Marken kosten vergleichbare Anwesen in der Toskana doppelt so viel und in Umbrien immerhin noch ein Drittel mehr. Fuchs und Bruni gehen davon aus, dass wenn der jetzige Trend anhält, die Marken an Preis und Beliebtheit in drei bis fünf Jahren mit der Toskana gleichziehen. Bereits jetzt spekulieren Immobilienmakler, wo die nächste Toskana entstehen wird.

Werden es die Abruzzen sein, südlich der Marken? Das könnte sein, weil Ryan Air auch Pescara anfliegt. Ein befreundeter Immobilienmakler hat Fuchs schon gewarnt: „Schicke mir nur ja niemanden, der kein Geld hat. Auch unsere Preise steigen.“

Übersetzt und gekürzt von Karen Wientgen (Immigranten), Svenja Weidenfeld (Toskana), Tina Specht (Frankreich), Matthias Petermann (Amerikas Feinde) und Christian Frobenius (Weltbank).

Denise Kiernan, Joseph D’Agnese

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