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Wirtschaft: Die Partei vergessen

EDITORIALS In Frankreich und Italien müssen Demonstranten auf die Straßen strömen, um ein Reformprojekt zu blockieren. In Deutschland besorgen das die Sozialdemokraten selbst.

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In Frankreich und Italien müssen Demonstranten auf die Straßen strömen, um ein Reformprojekt zu blockieren. In Deutschland besorgen das die Sozialdemokraten selbst. Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde zum Rücktritt vom Parteivorsitz bewegt – und schon fühlt sich die alte Garde in der SPD gestärkt. Die Rufe nach einer Wohlstandssteuer und einer Ausbildungsplatzabgabe werden wieder lauter. Mit Franz Müntefering hat Schröder einen treuen Gefolgsmann als Nachfolger ausgesucht. Ihm wird zugetraut, dass er die Skeptiker in den eigenen Reihen von der Notwendigkeit von Reformen überzeugen kann. Schließlich gehörte Müntefering bis vor kurzem selbst zu den „Betonköpfen“ in der SPD, die an die Idee vom alle umsorgenden Wohlfahrtsstaat glauben. Als frisch konvertierter Reformanhänger hat Müntefering noch eine besondere Bindung zu den Traditionalisten. Dies könnte ihm helfen, für den Reformbedarf neue Anhänger zu finden. Und im Gegensatz zu Schröder war Müntefering schon immer „an der Spitze der Parteiseele“, wie es ein Sozialdemokrat ausgedrückt hat. Schröder hatte es verpasst, seine erste Amtszeit für Reformen zu nutzen. Im letzten Jahr beschloss er dann plötzlich, das Land zu modernisieren. Übersehen hatte er nur, dass er das Land nicht verändern kann, ohne zunächst seine Partei zu verändern. Im Idealfall erkundet eine Partei die eigene Seele, während sie noch in der Opposition ist. Die SPD hatte dafür 16 Jahre Zeit, und trotzdem war sie bei Schröders Amtsantritt 1998 richtungslos.

Als letzter Trumpf bleibt Schröder der Fakt, dass er die einzig wählbare Person unter den Sozialdemokraten ist. Selbst dem verbohrtesten „Betonkopf“ dürfte klar sein, dass es niemanden außer Schröder gibt, mit dem die SPD eine weitere Bundestagswahl gewinnen kann. Andererseits wäre selbst der politische Selbstmord nichts Neues für die Partei. Helmut Schmidt stürzte 1982 auch über die eigenen Genossen. Die Christdemokraten könnten daher früher als erwartet zurück an die Macht kommen. Wenn sie nicht in die gleiche Falle wie Schröder tappen wollen, sollten sie ihre internen Streitigkeiten beilegen und ernsthaft über das Regieren nachdenken. Denn wie Schröder lernen musste, ist es zu spät, erst dann ein Programm aufzustellen, wenn man an der Regierung ist.

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