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Wirtschaft: „Die Pflegeversicherung wird viel teurer“

Debeka-Vorstand Roland Weber über einen Pflege-Tüv und das Problem der geburtenstarken Jahrgänge

Herr Weber, der jüngste Pflegereport hat gravierende Mängel bei der Pflege offenbart. Hat Sie das überrascht?

Ich glaube, dass es viele Trittbrettfahrer gibt, die versuchen, schlechte Leistungen für viel Geld zu vermarkten. Deshalb muss man in diesen Bereich stärker hineinschauen. Die private Krankenversicherung richtet aus diesem Grund eine Internetplattform ein, auf der sich Angehörige von Pflegebedürftigen über ihre Erfahrungen mit bestimmten Heimen und Pflegediensten austauschen können. Das erhöht den Druck auf die Anbieter. Mit professionellen Testern und Prüfern kriegen Sie das nicht so schnell hin.

Sind Sie gegen einen Pflege-Tüv?

Das wäre eine zusätzliche Bürokratie. Ob das was bringt, weiß ich nicht. Vor allem, wenn es ein staatlich finanzierter Prüfdienst ist. Dann besteht nämlich die Gefahr, dass sich das Prüfergebnis an den finanziellen Ressourcen der Pflegeversicherung orientiert. Ich glaube, Äußerungen der Betroffenen und Untersuchungen von Verbraucherschützern sind hilfreicher.

Sollte man nicht zumindest die Prüfergebnisse des Medizinischen Dienstes veröffentlichen?

Der Medizinische Dienst untersucht derzeit eher den Zustand des Pflegebedürftigen, weniger das gesamte Heim. Aber richtig ist, dass man mehr tun muss. Die Pflegekassen, auch die private Pflegepflichtversicherung, müssen sich stärker um die Qualität der Heime und der ambulanten Pflegedienste kümmern.

Warum hat man das nicht schon früher getan?

Man hatte zu viele andere Baustellen. Und man hat kommen sehen, dass es in der Pflegeversicherung finanziell immer enger wird. Alles, was man zusätzlich tut, kostet Geld. Es gibt ja auch Leute, die sagen, erst die gesetzliche Pflegeversicherung habe dafür gesorgt, dass manche Familien ihre Angehörigen ins Heim „abschieben“. Und dass es anfangs gar nicht genug qualifizierte Pflegeeinrichtungen gab. Vielleicht ist das heute immer noch so. Außerdem haben wir viel zu wenig getan, um Menschen, die pflegebedürftig waren, wieder zurückzuholen – in eine niedrigere oder gar keine Pflegestufe.

Beschweren sich auch privat Pflegeversicherte über schlechte Pflegeheime?

Wir haben wenig Beschwerden über die Qualität von Pflegeheimen. Wir haben mehr Beschwerden über die Bürokratie, die mit der Pflegepflichtversicherung verbunden ist. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: Die Oma wird pflegebedürftig, und der Arzt sagt, die Frau braucht jetzt ein Pflegebett, und das Bad muss umgebaut werden. Die Angehörigen tun das alles und machen erst dann Meldung an die Pflegekasse. Die Pflegekassen dürfen aber nur zahlen, wenn erst der Medizinische Dienst seine Inspektion vorgenommen hat und danach die Sachen angeschafft werden. Hat die Familie das Pflegebett zwei Tage vorher gekauft, dürfen wir die Kosten nicht übernehmen.

Auch dann nicht, wenn die alte Dame später Pflegestufe 3 bekommt?

Nein, auch dann nicht. Das ist verboten. Und auch wenn der Medizinische Dienst schon da war, aber das Bett nicht im Pflegehilfsmittelverzeichnis der sozialen Pflegekassen aufgelistet ist, dürfen wir die Kosten nicht tragen. Das sind bürokratische Zwänge, über die sich unsere Versicherten aufregen, weil sie solche Kleinlichkeiten von der privaten Krankenversicherung eigentlich nicht gewöhnt sind. Aber bei der Pflegepflichtversicherung haben wir keinen Spielraum.

Gehen privat Versicherte später ins Heim als Kassenpatienten?

Ja. Das macht rund zwei Jahre aus. Unsere Versicherten in den pflegenahen Jahrgängen sind meistens Beamte. Nach meinem Eindruck werden sie länger in der Familie gepflegt, als das in Arbeitnehmerhaushalten üblich ist. Aber: Wenn das nicht mehr geht, sind die Versicherten meist auch so schwer pflegebedürftig, dass sie tendenziell eher in Pflegestufe 2 oder 3 kommen. Und da sie im Durchschnitt eine höhere Lebenserwartung haben, sind sie auch insgesamt länger Pflegefall.

Nimmt die anstehende Pflegereform das Demenzrisiko ausreichend ernst?

Das Hauptproblem bei der Reform ist, dass man die Leistungen in einem Bereich, der Demenz, ausweitet, ohne zu überlegen, woanders zu sparen. Es könnte sein, dass die Abdeckung des Demenzrisikos viel mehr kostet, als die Bundesregierung glaubt, weil mehr Leute erkranken, als die Politik annimmt. Ich bin überzeugt davon, dass die bereits jetzt geplanten Beitragserhöhungen in der Pflegeversicherung nicht reichen werden.

Wie teuer wird es Ihrer Meinung nach?

Es kann sein, dass die Beiträge auf bis zu 2,5 Prozentpunkte steigen. Aber auch das würde nicht reichen. Ab 2025 kommen wir in eine ganz schwierige Situation, weil dann die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. 1964 gab es 1,4 Millionen Geburten, heute ist es gerade einmal die Hälfte. Wenn der geburtenstarke Jahrgang 1964 in Rente geht und nicht mehr in die Sozialversicherung einzahlt, stattdessen dann nur noch die Hälfte der Beiträge in die Sozialversicherung fließt, wird sich das Problem drastisch verschärfen. Deshalb müsste man jetzt einen Kapitalstock aufbauen, solange man noch viele Beitragszahler hat.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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