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Wirtschaft: Die Pillen-Dreher

Der 19. März war für viele Südafrikaner ein Freudentag: Sie tanzen auf den Straßen und feierten den vermeintlichen Sieg über die mächtige Pharmaindustrie.

Der 19. März war für viele Südafrikaner ein Freudentag: Sie tanzen auf den Straßen und feierten den vermeintlichen Sieg über die mächtige Pharmaindustrie. Die hatte im Streit um patentgeschützte Aids-Medikamente überraschend nachgegeben und eine Klage gegen den Staat Südafrika zurückgezogen. 4,7 Millionen aidskranke Südafrikaner konnten auf einen leichteren Zugang zu den lebensrettenden Medikamenten hoffen, viele andere Aids-Kranke in Entwicklungsländern auf einen Präzedenzfall. Doch ein halbes Jahr später ist die Hoffnung verflogen. "Die Medikamente sind für die Armen immer noch viel zu teuer", sagt David Earshaw von der Nichtregierungsorganisation Oxfam, zwei Tage vor dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Er fordert weitere Zugeständnisse.

Die Pharmakonzerne stecken in einem Dilemma: Jahrelang hatten Nichtregierungs-Organisationen und Globalisierungsgegner ihnen vorgeworfen, zu wenig für die Armen der Welt zu tun, während sie in den reichen Ländern der Welt satte Gewinne einfuhren. Unter dem wachsenden Druck hatten Pharmakonzerne in Südafrika schließlich nachgegeben und sich auf Preisnachlässe eingelassen: Sie hatte Sorge, dass ihre starre Haltung auch ihr Image in den Industrieländern beschädigen könnte.

Der amerikanische Pharma-Konzern Merck etwa hat im März 2001 den Preis für seine Aids-Medikamente in Entwicklungsländern gesenkt: Während eine Jahres-Dosierung Crixivan in Industrieländern 6010 US-Dollar kostet, zahlen Patienten in armen Ländern nur 600 Dollar pro Jahr. Auch das US-Unternehmen Bristol-Myers Squibb verkauft die beiden Aids-Präparate Videx und Zerit in afrikanischen Ländern zum Billigpreis: 85 Cents pro Tag für Videx, und 15 Cents für Zerit - um ein Vielfaches günstiger als der Originalpreis. Auch der Schweizer Pharmakonzern Roche hat die Preise für sein Aids-Medikament Nelfinavir in Brasilien pro Dosis von 1,07 Dollar auf 64 Cents gesenkt - aber erst nachdem die Regierung drohte, die Patentrechte ganz zu brechen. Die alten Preisfindungsmechanismen, die der Industrie völlige Freiheit bei der Preissetzung für patentgeschützte Medikamente ließ, drohten zusammenzubrechen.

Kritiker halten die Preise trotzdem noch für viel zu hoch. Die Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen" beklagen, dass sie häufig Patienten zum Sterben nach Hause schicken müssen, weil sie sich die notwendigen Medikamente nicht leisten können. Die Nichtregierungsorganisationen fordern die Pharmaindustrie daher auf, die Preise noch stärker zu senken als bisher. Wehtun würde es den Unternehmen trotzdem nicht, sagt Oxfam-Sprecher Earnshaw: Pharmaunternehmen wie Merck machten ohnehin nur ein Prozent ihres Umsatzes in Afrika. Von den 3,8 Milliarden Dollar Umsatz mit Aids-Medikamenten wurden im letzten Jahr über 90 Prozent in Industrieländern wie Frankreich, Italien und Deutschland gemacht. Mit Gewinnmargen von bis zu 30 Prozent, sagt der Kritiker, habe die Industrie noch genug Spielraum für Preissenkungen.

Die Pharmaindustrie sieht das anders: Natürlich seien sich die Pharmakonzerne ihre großen ethischen Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern bewusst, sagen die forschenden Arzneimittelhersteller, die die Großindustrie vertreten. Fünf Pharmaunternehmen haben angekündigt, in Kooperation mit internationalen Organisationen die Preise für Aids-Medikamente herunterzusetzen und gleichzeitig die medizinische Infrastruktur für die Verteilung der Arzneien aufzubauen.

Aber ganz umsonst soll das Entgegenkommen nicht sein. Die forschenden Arzneimittelhersteller kündigten bereits höhere Preise in den Industrieländern an, um damit "die notwendigen Beiträge zur Kompensation der Forschungskosten zu erwirtschaften". Dabei sind die Medikamente ohnehin schon teuer genug.

Neue Hoffnung haben die Pharma-Kritiker seit der Welthandelskonferenz in Doha Mitte November. Hier erstritten arme Länder das Recht, im Notfall billige Generika von Aids-Arzneien im eigenen Land herstellen zu dürfen. Generika-Importe sind aber verboten. "Doha ist ein großer Schritt in die richtige Richtung", sagt Oxfam-Sprecher Earnshaw. "Aber es ist noch nicht das Ende der Geschichte."

pet

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