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Wirtschaft: Die Praxis in der Firma

Betriebsärzte sorgen für die Gesundheit der Mitarbeiter. Nicht nur wegen des drohenden Nachwuchsproblems ist der Beruf für Mediziner eine attraktive Alternative

„Gut für den Kreislauf“ steht auf einem Werbeplakat der Berliner Stadtreinigung (BSR) für umweltfreundliches Recycling. Darauf schleppt ein Müllmann in Orange eine ausrangierte Kommode. Dass er sich dabei im wirklichen Leben keinen Bruch hebt und sich auch sonst bei der Arbeit nicht verletzt, ist das Ziel und die Aufgabe von Stefanie Seele.

Die Fachärztin für Arbeitsmedizin ist Leiterin des betriebsärztlichen Dienstes der BSR und mit zwei weiteren Betriebsärzten für die Gesundheit der mehr als 5000 Mitarbeiter zuständig. In ihrem Büro, das mit den vielen medizinischen Geräten einer Hausarztpraxis ähnelt, führt sie Vorsorgeuntersuchungen bei Angestellten durch, die mit gefährlichen Stoffen hantieren oder überprüft, ob schwangere Mitarbeiterinnen weiter ihren Aufgaben nachgehen können. Bei Rundgängen durch den Betrieb kontrolliert sie, ob Computerarbeitsplätze ergonomisch eingerichtet sind und zeigt Mitarbeitern, wie man schweren Sperrmüll Rücken schonend trägt – damit die Arbeit nicht krank macht.

Jeder Betrieb ab einem angestellten Mitarbeiter muss nach dem Arbeitssicherheitsgesetz betriebsärztlich betreut werden. Etwa 640 Betriebsärzte gibt es laut der Bundesärztekammer in Berlin, rund 12 200 sind es deutschlandweit. Betriebsärzte arbeiten als niedergelassene Arbeitsmediziner mit eigener Praxis, sind Mitarbeiter eines überbetrieblichen Dienstes oder, wie Stefanie Seele, bei einem Unternehmen angestellt. Ihr Gehalt zahlen die Unternehmen.

„Für welche Variante sich ein Betrieb entscheidet, hängt nicht nur von der Anzahl der Beschäftigten ab. Viel wichtiger ist es, welchem Risiko die Mitarbeiter am Arbeitsplatz ausgesetzt sind“, sagt Doktor Wolfgang Panter, Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW). Wie oft arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen stattfinden, wird nach einer Gefährdungsbeurteilung durch den Unternehmer und einer Risikoabschätzung gegenüber der zuständigen Unfallversicherung festgelegt.

Vieles ist in der Branche genau geregelt. Nur das Nachwuchsproblem nicht. Dabei ist es höchste Zeit. Der allgemeine Ärztemangel macht sich auch bei den Arbeitsmedizinern bemerkbar. Noch kann laut VDBW jede offene Stelle besetzt werden. Doch das könnte sich in den nächsten Jahren gravierend ändern. Fast jeder zweite Betriebsarzt ist älter als 60 Jahre. Dazu komme, dass Arbeitsmediziner zunehmend gefragt seien, weil immer mehr Unternehmen das Potenzial gesunder Mitarbeiter und der betrieblichen Gesundheitsvorsorge erkennen.

Um junge Mediziner für das Arbeitsfeld zu begeistern, macht nun der Deutsche Betriebsärzte-Kongress vom 21. bis 24. September in Bonn mit „docs@work“, einem Arbeitsmediziner-Casting, auf den Beruf und seine Zukunftschancen aufmerksam. Und das ist dringend nötig. Denn beim Nachwuchs steht Arbeitsmedizin nur selten auf der Karrierewunschliste.

Auch Stefanie Seele begann ihr Medizinstudium nicht mit dem Ziel, für ein Unternehmen zu arbeiten. Im Gegenteil: Die Perspektive schien ihr ziemlich öde. Sie durchlief verschiedene Stationen, arbeitete im Rettungsdienst und einer Landarztpraxis. Den Rest ihres Arbeitslebens wollte sie allerdings nicht dort verbringen. „Im Krankenhaus störten mich die Hierarchien und die Arbeitszeiten. Als niedergelassene Ärztin nervten mich der Abrechnungsstress mit den Krankenkassen und die unbezahlten Hausbesuche“, sagt sie. So kam sie zur Arbeitsmedizin. Heute profitiert sie von ihren vorherigen Berufserfahrungen, sagt sie. Nur manchmal vermisst sie, dass sie keine Krankheiten therapiert, sondern als Betriebsärztin vor allem präventiv tätig ist.

Um die Arbeitsbedingungen ihrer Patienten kennenzulernen, tauscht Stefanie Seele gelegentlich den weißen Kittel gegen orange Arbeitskleidung. Dann fährt sie eine Schicht auf dem Müllauto mit oder schaut sich die Arbeitsbedingungen auf einem Wertstoffhof an. „Am nächsten Tag stehe ich dann in Zivil vor Führungskräften und halte eine Power-Point-Präsentation über Arbeitsschutz“, sagt sie. Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz hält sie daher neben medizinischem Fachwissen für die wichtigsten Eigenschaften von Arbeitsmedizinern.

„Und man muss damit klarkommen, immer irgendwo anzuecken“, sagt Stefanie Seele. Denn nicht immer reagiert die Konzernleitung begeistert, wenn ein Arbeitsplatz für viel Geld umgebaut werden soll, weil das der Gesundheit des Mitarbeiters zugute kommt.

Dass die Vorschläge aber meistens trotzdem umgesetzt werden, ist die Erfahrung des Betriebsarztes Bernward Siebert. „Schließlich haben die Unternehmen ein Interesse daran, dass ihre Mitarbeiter leistungsfähig sind und bleiben“, sagt er. Siebert ist Berliner Landesvorsitzender des VDBW und betreut als Mitarbeiter eines arbeitsmedizinischen Dienstes ganz unterschiedliche Unternehmen, darunter Bäckereien, eine Pharmafirma, Hotels, einen Softwareentwickler und einen Zoo.

Nach seinem Studium wurde Siebert zunächst Allergologe. Dann schloss er die Facharztausbildung an, die jeder Mediziner, der Betriebsarzt werden will, vor sich hat. Sie dauert fünf Jahre, davon müssen zwei Jahre in der Inneren Medizin, in der Allgemeinmedizin oder verwandten Bereichen geleistet werden. Drei Jahre werden die Ärzte dann in der Arbeitsmedizin unter Anleitung eines Weiterbilders eingesetzt. In einem dreimonatigen theoretischen Teil vertiefen die Anwärter ihr Wissen über Ergonomie, Psychologie und Berufskrankheiten.

Wer Betriebsarzt wird, verdient in der Regel weniger als ein Klinikarzt, zumindest, wenn er im öffentlichen Dienst beschäftigt ist. Dort wird nach Tarif gezahlt. Einsteiger erhalten laut der Ärztevertretung Marburger Bund 3109 Euro brutto im Monat. Ein Berufsanfänger in der Klinik steigt mit rund 3800 Euro ein.

Betriebsärzte von Industrieunternehmen oder in überbetrieblichen Diensten stehen oft besser da: Sie verhandeln ihr Gehalt frei und verdienen meist übertariflich. Ein Jahresgehalt kann da laut VDBW 60 000 Euro bis 120 000 Euro brutto oder mehr betragen. Auch die Einstiegsgehälter seien hier wegen des steigenden Bedarfs in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.

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