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Wirtschaft: Die Renaissance der Bewahrer

Mit 62 Jahren übernimmt Jürgen Dormann den Chefposten bei ABB. Die stürmischen Manager der Boomjahre werden abgelöst

Die Börse hat ihr Urteil schon gefällt: Kaum war bekannt geworden, dass Jürgen Dormann künftig Europas größten Industrieausrüster ABB führen wird, fiel der Aktienkurs. Dabei zählt der ehemalige Hoechst-Chef eigentlich zu den profiliertesten Managementköpfen. Sein Meisterstück hatte er mit der erfolgreichen Fusion von Hoechst und Rhone Poulenc zum schlagkräftigen deutsch-französischen Pharmakonzern Aventis vorgelegt. Nun soll er den angeschlagenen schwedisch-schweizerischen Elektroriesen sanieren. Keine gute Wahl, meinen offenbar die Börsianer an den wichtigen Finanzplätzen.

Die Skepsis ist begründet. Denn mit Dormann bekommt schon wieder ein Manager nahe dem Rentenalter einen Chefposten in der ersten Liga der europäischen Unternehmen. Der 62-jährige Dormann löst einen 50-jährigen Vorgänger ab und folgt damit seinem Fusionspartner Jean-René Fourtou (63). Denn auch dem Franzosen und Ex-Chef von Rhone-Poulenc ist die Zeit als Aufsichtsrat von Aventis zu lang geworden. Seit zwei Monaten saniert Fourtou den angeschlagenen französischen Medienkonzern Vivendi. Schon im Juli, als der Wechsel an der Spitze der Deutschen Telekom hohe Wellen schlug, stellte sich die Frage, ob nun die Renaissance der Rentner angebrochen ist. Ron Sommers Nachfolger Helmut Sihler ist immerhin 72 Jahre alt.

Für Friedrich Boyens, Partner der Personalberatung Egon Zehnder International, ist das Comeback der gestandenen Manager eine „Reaktion auf die stürmische Phase der letzten Jahre“. In den Boomzeiten der Börse und der New Economy wurde diversifiziert und globalisiert, was das Zeug hielt. Jetzt folgt die Konsolidierung in den Unternehmen. Und da, so Boyens, werde gern auf Bewährtes, eben auf erfahrenere Manager zurückgegriffen.

Die Vorgaben für Dormann, Fourtou oder Sihler sind klar: Sie sollen aufräumen und die Hinterlassenschaften ihrer Vorgänger sortieren. Reihenweise haben die nämlich Unternehmen zugekauft, die weltweite Präsenz und riskante Geschäfte aufgebaut. Auf die Kosten hat keiner geachtet.

Jetzt liegt die Konjunktur am Boden, der Börse ist die Luft ausgegangen. Die Wirtschaft, meint Boyens, ist wie paralysiert. In dieser Situation suchten Aufsichtsräte nach Garanten für die Konsolidierung. Im Zweifelsfall vertrauen sie nur sich selbst, wie Sihler oder Dormann beweisen. Denn beide waren zuvor Aufsichtsräte der Unternehmen, die sie nun managen. Gibt es denn keine jüngeren, gleichwohl erfahrenen Manager, die die Ron Sommers dieser Welt ablösen könnten? Es gibt sie, sagt Boyens. Aber für ABB, Telekom oder Vivendi werden absolute Spitzenleute gebraucht. Da sei die Auswahl doch schon sehr klein.

Den geordneten Rückzug auf die Kerngeschäfte will wohl auch Dormann antreten. Der neue Konzernchef steht vor einem gewaltigen Berg von Problemen. Die Eigenkapitalquote soll nur noch 6,2 Prozent betragen, Schulden von rund 5,2 Milliarden Dollar haben sich aufgetürmt. Zudem machen Asbest-Sammelklagen in den USA gigantische Rückstellungen erforderlich. Und natürlich belastet die weltweite Konjunkturflaute das Geschäft.

Die Probleme von ABB sind ein wenig anders gelagert als die der Medien- oder Telekomkonzerne. Nicht die Fehlentwicklungen der Boomjahre müssen jetzt in erster Linie korrigiert werden. Der Ursprung des Debakels liegt in der Vergangenheit. Noch vor zehn Jahren galt ABB als Modell einer geglückten Fusion. Heute zeigt sich: Die schwedische Asean und die schweizerische Brown Boveri sind nie richtig zusammengewachsen. Dieter Fockenbrock

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