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Wirtschaft: Die Renaissance der gesamtwirtschaftlichen Steuerung

Von professoralem Ratschlag aus den Wirtschaftswissenschaften halten die politischen Schwergewichte in der neuen Regierung offenbar nicht allzu viel.Der künftige Kanzler Gerhard Schröder wird bis jetzt zumindest mit keinem Lehrstuhlinhaber in Verbindung gebracht.

Von professoralem Ratschlag aus den Wirtschaftswissenschaften halten die politischen Schwergewichte in der neuen Regierung offenbar nicht allzu viel.Der künftige Kanzler Gerhard Schröder wird bis jetzt zumindest mit keinem Lehrstuhlinhaber in Verbindung gebracht.Er vertraut auf den Rat ihm bekannter Unternehmer und weniger Berater.Den Rest gibt die politische Taktik und der Druck des linken Parteiflügels vor - wie bei dem Versprechen zur Rücknahme der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die selbst gemäßigte Ökonomen als sinnvoll einstuften.

Etwas günstiger sieht es für die Wirtschaftsprofessoren schon bei Parteichef Oskar Lafontaine aus.Von ihm ist bekannt, daß er engeren Kontakt zum Hamburger Landeszentralbankchef, dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW), Hans-Jürgen Krupp, pflegt.Gewicht haben in den Kreisen um den künftigen Finanzminister auch Stellungnahmen von Peter Bofinger (Universität Würzburg), Wolfgang Filc (Trier), Wolfgang Franz (Mannheim) und von dem Altkeynesianer Jürgen Kromphardt (TU Berlin).

Bofinger ist in den akademischen Schlachten um die Europäische Währungsunion als Anhänger des Euro bekanntgeworden, auch schon zu Zeiten, als Lafontaine noch vor den Folgen des Einheitsgelds für die Arbeitsmärkte warnte.Franz wirkt seit 1994 im Sachverständigenrat (SVR) und vertritt gerade in Arbeitsmarktfragen einen weniger scharfen angebotspolitischen Kurs als die anderen "Weisen".

Zum engen Beraterkreis um Lafontaine gehören die Genannten allerdings nicht.Da verläßt sich der künftige Minister lieber auf seine Frau Christa Müller, Volkswirtin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, und auf den freien Publizisten und ehemaligen Wirtschaftsstaatsrat in Hamburg, Claus Noé, der schon 1994 dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping als Berater diente.Vor allem aber hört Lafontaine auf Heiner Flassbeck, den Konjunkturchef des DIW in Berlin.

Wer Müllers (gemeinsam mit Lafontaine verfaßtes) Buch "Keine Angst vor der Globalisierung" und Noés Kommentare in "Der Zeit" liest, liest im Grundtenor doch nur Flassbeck, den brillantesten und schärfsten Denker von den Dreien.Und auch aus Lafontaines Mund meint man oft genug Flassbeck zu hören - zugespitzter als der Ökonom in der Warnung vor "weltweiten Kostensenkungswettläufen", versöhnlicher, wenn es um die gewerkschaftliche Lohnpolitik geht, ebenso scharf, wenn die Geldpolitik als zu rigide attackiert wird.

Flassbeck kokettiert mit der Rolle des "verlorenen Sohnes" unter den wissenschaftlichen Politikberatern.Als Ökonom an der Universität des Saarlands unter Wolfgang Stützel und Herbert Giersch groß geworden, arbeitete er im Wirtschaftsministerium unter Hans Tietmeyer und im SVR unter Olaf Sievert, einer - wie früher Stützel - kräftigen Stimme im Kronberger Kreis liberaler Ökonomen und Juristen.Ob Flassbeck Sievert verließ oder aber Sievert Flassbeck verstieß, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.

Tatsache aber ist, daß Flassbeck, den Krupp 1986 zum DIW holte, öffentlich die schärfste Position gegen die Angebotspolitik einnimmt - sieht man von Rudolf Hickel (Universität Bremen) ab.Zahlreiche Minderheitsgutachten in den Gemeinschaftsdiagnosen der Forschungsinstitute gehen auf Flassbeck zurück.Der Endvierziger kennt seinen Keynes, beruft sich aber auch auf den Theoretiker des dynamischen Unternehmertums, Joseph Alois Schumpeter, und auf einen liberalen Verfechter der Marktwirtschaft, den Ökonomie-Nobelpreisträger von 1974, Friedrich August von Hayek.Weit weniger als die letzten beiden betrachtet Flassbeck jedoch die Wirtschaft vom einzelnen Menschen aus.Er ist ein Mann der gesamtwirtschaftlichen Sicht, ein stetiger Mahner vor einer zu schwachen Binnennachfrage.

Vulgäre Kaufkrafttheorie ist das nicht.Flassbeck mahnt zugleich zu einer streng am Produktivitätswachstum orientierten Lohnpolitik.Nur dann habe die Notenbank die Chance, den Unternehmen einen weit geschnittenen monetären Mantel für Investitionen zu geben, ohne Inflation anzustoßen.Was Flassbeck außen vor läßt ist, daß sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität auch aus Entlassungen speist und daß sich frühere lohnpolitische Verfehlungen nur durch jahrelange Zurückhaltung der Gewerkschaften beheben lassen.

Der DIW-Ökonom diagnostiziert die deutsche Arbeitslosigkeit überwiegend als konjunkturelle, nicht aber als strukturelle, und begründet so seinen Ruf nach einem geldpolitischen Impuls.Auch eine expansive, defizitfinanzierte Fiskalpolitik als Stärker der Binnennachfrage weiß Flassbeck durchaus zu schätzen.Das harmoniert mit den Bonner Gerüchten, er habe Duzfreund Oskar schon geraten, sich über Artikel 115 des Grundgesetzes hinwegzusetzen, nach dem das öffentliche Defizit nicht höher als die Investitionen ausfallen darf.

Eine Wirtschafts- und Lohnpolitik der Kostensenkung gilt Flassbeck als Teufelszeug: Bei flexiblen Wechselkursen ende das in Abwertungswettläufen, die keinem etwas brächten.Der Berliner vernachlässigt dabei die unternehmerische Dynamik in einer von Kostenlast befreiten Wirtschaft und das dadurch getriebene Wachstum.Bei festen Wechselkursen wie im Euroland müsse sich die nationale Lohnpolitik ohnehin an das jeweilige Produktivitätswachstum anpassen, solle es nicht zu Arbeitslosigkeit und zu einer Transferunion kommen.Den Gewerkschaften mit ihren Träumen einer angleichenden europäischen Lohnpolitik gefällt das nicht - und auch Lafontaine scheut vor dieser Aussage zurück, so wie er Flassbecks Warnungen vor einer Umverteilung der Arbeit nicht übernimmt.

Flassbeck wird - wie Claus Noé - als Staatssekretär im Finanzministerium gehandelt.Das steht für einen Politikwechsel: Bonn hat die gesamtwirtschaftliche Steuerung wiederentdeckt.Wie sich das mit den Empfehlungen der Schröder-Berater Bodo Hombach, dem künftigen Kanzleramtsminister, und Alfred Tacke verträgt, ist eine offene Frage.Tacke ist Staatssekretär im niedersächsischen Wirtschaftsministerium und soll als beamteter Staatssekretär in das Rumpf-BMWi des Jost Stollmann wechseln, das seinen Wünschen gemäß Forschungs- und Technologiereferate aus dem Bildungsministerium erhält.

Wo Flassbeck die Wirtschaft als System begreift, schauen die Pragmatiker Hombach und Tacke auf die Probleme vor Ort.Beide sind Männer der schnellen Entscheidungen, die das Grundsätzliche wenig kümmert.Von großen Entwürfen zur Steuerung der Volkswirtschaft ist da nicht die Rede, da geht es um Kostenlast und einstürzende Sozialsysteme, um "innovatives Wachstum" und um Wege, Unternehmen im Land zu halten.Tacke hat mit dem von ihm vorbereiteten Preussag-Stahl-Deal der Landesregierung Schröder in Niedersachsen gezeigt, wie das geht.

Weniger die "neoliberal" klingenden sozialpolitischen Reformvorstellungen von Hombach, die bei den Sozialpolitikern der SPD auf heftigen Protest stoßen, wohl aber eine Industriepolitik à la Tacke ließe sich in der Regierung Schröder noch am ehesten mit einer Renaissance der Makrosteuerung vereinbaren - wäre da nicht Flassbecks Warnung, den wirtschaftlichen Strukturwandel nicht aufzuhalten.(HB)

PATRICK WELTER

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